Sind die Deutschen etwa doch nicht so romantisch wie gedacht? Knapp jeder Zweite würde den Bund der Ehe nicht eingehen, ohne die Möglichkeit einer Scheidung im Hinterkopf zu wissen. Warum das sogar gut ist, verrät der bekannte Münchner Rechtsanwalt Irmak Sezer.
Service – Verliebt, verlobt, verheiratet… geschieden? Wer die große Liebe gefunden hat, lässt sie nie wieder los. Das schwören sich die meisten Paare zumindest zum Zeitpunkt der Eheschließung. Und tatsächlich ist die Anzahl der Scheidungen in Deutschland seit 1950 rückläufig, im Jahr 2020 landeten laut Statistischem Bundesamt circa 143.801 Scheidungen vor dem Richter – das sind etwa 40 Prozent aller Ehen. Umso überraschender kam kürzlich die Nachricht des amerikanischen Millionärs und CEOs Brandon Wade (51), der bei seiner vierten Hochzeit im Juni 2022 nicht nur auf einen Ehevertrag verzichtet, sondern auch auf sein Recht auf Scheidung.
Romantik oder Leichtsinn? Wie die Deutschen zu dieser Geste stehen, hat das Dating-Portal Seeking.com kürzlich bei einer Umfrage herausgefunden und dazu mit Rechtsanwalt Irmak Sezer gesprochen. Dieser beantwortet juristische Fragen nicht nur in seiner Münchner Kanzlei, sondern auch auf seinem TikTok Account @rechtsanwalt.sezer mit über 100.000 Followern. Und anders als Brandon Wade teilt er die Meinung von rund 44 Prozent der befragten Deutschen, trotz großer Gefühle nicht auf sein Scheidungsrecht verzichten zu wollen: „Ich würde eine Scheidung zwar nicht grundsätzlich als ‚Vorteil‘ bezeichnen, aber ganz plakativ gesprochen, ist es ihr Sinn, sich aus einer gescheiterten Ehe und den damit verbundenen rechtlichen Auswirkungen lösen zu können, ohne erst auf den Tod warten zu müssen“, sagt Rechtsanwalt Irmak Sezer. „In Deutschland kann man deshalb auch nicht rechtswirksam auf sein Scheidungsrecht verzichten. Denn Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetztes gewährt nicht nur das Recht auf die Eheschließungsfreiheit, sondern auch das Recht auf Scheidung. Eventuelle vertragliche Vereinbarungen, die eine Scheidungsmöglichkeit grundsätzlich ausschließen, sind nicht mit dem Grundgesetz vereinbar und somit in Deutschland rechtsunwirksam – selbst wenn das Paar noch so verliebt ist.“
Der Ehevertrag zur Streit-Prävention
Zweifelsfrei ist die Liebe ein zentrales Element beim Thema Heiraten. Etwa 82 Prozent der Umfrageteilnehmer gaben an, die Ehe sei für sie das ultimative Zeichen von Verbundenheit und Vertrauen. Doch währt dieses Vertrauen auch über eine mögliche Trennung hinweg? Für die nötige Absicherung kann ein Ehevertrag sorgen, der laut Irmak Sezer nicht nur den Trennungsprozess im Falle einer Scheidung erheblich verkürzen kann, sondern auch Streitigkeiten und Konflikten verbeugt – und so letztlich sogar Kosten durch langwierige Verhandlungen einsparen kann.
Dem stimmt auch rund die Hälfte der befragten Deutschen (56 Prozent) zu und will ihre Ehe vertraglich regeln lassen. Schließlich können in einem gemeinsamen Ehevertrag die Konditionen einer möglichen Trennung bereits dann vereinbart werden, wenn die Liebe der beiden Partner wahrscheinlich noch am größten ist.
Vertraglich geregelter Ausgleich für Care-Arbeit
„Ein Ehevertrag bietet zahlreiche Regelungsmöglichkeiten und somit ein hohes Maß an Flexibilität, weswegen er zwangsläufig einer notariellen Beurkundung bedarf“, erklärt Herr Sezer weiter. „In einem Ehevertrag können dann zum einen finanzielle, als auch private Aspekte geregelt werden, was einen zukünftigen Scheidungsstreit erheblich vereinfachen kann. Mögliche finanzielle Regelungen sind zum Beispiel Unterhaltszahlungen, eine ausgeglichene Altersvorsorge oder Gütertrennung anstelle einer Zugewinngemeinschaft. Vor allem, wenn ein Ehepartner über deutlich mehr finanzielle Mittel als der andere verfügt, kommt es bei den gesetzlichen Regelungen nicht selten zu einseitigen Nachteilen. Auch für Paare, bei denen nur eine Partei berufstätig ist und die andere familiäre Care-Arbeit leistet, kann ein beidseitig vorteilhafter Ehevertrag sinnvoll sein. Private Regelungen wie zum Beispiel Kinderwunsch oder eine Fremdgeh-Klausel sind im Übrigen zwar möglich, aber in der Praxis kaum bis gar nicht rechtlich durchzusetzen.“
Die Gründe für eine Scheidung
Ob mit oder ohne Ehevertrag – jeder zweite Deutsche ist laut der Umfrage sogar so sehr von der Institution Ehe und dem Zauber einer Hochzeit überzeugt, dass er oder sie auch mehr als einmal heiraten würde, falls es beim ersten Anlauf nicht klappt. Die meistgenannten Gründe für eine Scheidung sind allerdings, dass der Partner sein Gegenüber oder die Familie schlecht behandelt (79 Prozent), ein Seitensprung oder eine Affäre des Partners (71 Prozent), dass man selbst keine Nähe oder Verbundenheit mehr mit dem anderen verspürt (57 Prozent) sowie das Gefühl, sich nicht frei entfalten zu können (35 Prozent). (opm)