Viersen, 6. Januar 1944 – Der Frost hatte die Straßen von Viersen fest im Griff. Der Krieg hatte die Stadt verändert – Bomben hatten manche Häuser in Trümmer gelegt und die Menschen lebten in ständiger Furcht. Dennoch gab es einen Ort, an dem die Bewohner manchmal Trost suchten: die Kirche St. Remigius.
Literarisches von Magdalene Walther
Literatur – An diesem Morgen, dem Tag der Heiligen Drei Könige, hatte der damalige Pfarrer trotz der Gefahr entschieden eine kurze Messe abzuhalten. Der Krieg hatte vieles verboten, doch er glaubte fest daran, dass die Menschen in diesen düsteren Zeiten Hoffnung brauchten.
Die Kirche war kalt, ihre Wände kahl, da viele Heiligenfiguren und Kunstwerke entfernt worden waren, um sie vor Plünderungen oder Zerstörung zu schützen. Dennoch fanden sich einige Gläubige ein – leise, in schwere Mäntel gehüllt, ihre Gesichter von Sorge und Entbehrung gezeichnet.
Der Geistliche sprach mit einer Ruhe, die ihm selbst in diesen Zeiten ungewöhnlich erschien. Er erzählte von den drei Weisen aus dem Morgenland, die trotz aller Hindernisse den weiten Weg zur Krippe auf sich genommen hatten. „Sie hatten nichts, außer ihrem Glauben an eine bessere Zukunft“, sagte er. „Sie standen vor einer Welt voller Gefahren, aber sie gaben nicht auf.“
In den hinteren Reihen saß die junge Elisabeth, ein Mädchen von vielleicht zwölf Jahren. Sie lauschte den Worten des Pfarrers und dachte an ihren Bruder Paul, der vor einigen Monaten verschwunden war, nachdem er sich einer Widerstandsgruppe angeschlossen hatte. Die Familie sprach kaum noch über ihn, aus Angst vor Denunziation. Doch Elisabeth vermisste ihn jeden Tag.
Nach der Messe blieb sie als Letzte zurück. Sie ging zögernd auf den Pfarrer zu, der gerade die Bibel schloss. „Herr Pfarrer“, begann sie leise, „glauben Sie, dass die Drei Könige wirklich ihren Weg gefunden hätten, wenn sie verfolgt worden wären?“
Der Pfarrer sah sie nachdenklich an. „Ich glaube, dass sie ihren Weg gefunden haben, weil sie ihn finden mussten. Manchmal, Elisabeth, führen uns nicht die Straßen, sondern der Wille, etwas Gutes zu tun.“
Das Mädchen nickte, doch sie schien noch etwas auf dem Herzen zu haben. Schließlich flüsterte sie: „Ich glaube, Paul hat auch versucht, etwas Gutes zu tun.“
Der Pfarrer verstand sofort. Er legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Dann müssen wir glauben, dass er geführt wird, wie die Könige geführt wurden.“
Elisabeth fühlte sich nach diesen Worten leichter, auch wenn der Schmerz des Verlustes blieb.
Am Abend jenes Tages hörte sie ein Klopfen am Fenster ihres Zimmers. Sie öffnete es vorsichtig und erblickte eine vertraute Gestalt – Paul. Sein Gesicht war von Kälte und Erschöpfung gezeichnet, doch seine Augen strahlten vor Leben.
„Ich musste zurückkommen“, flüsterte er. „Ich wollte euch wissen lassen, dass es Hoffnung gibt. Wir kämpfen nicht umsonst.“
Elisabeths Herz schlug schneller. Sie wusste, dass er nicht lange bleiben konnte. Doch in diesem Moment begriff sie, dass die Botschaft der Drei Könige wahr war: Diejenigen, die auf Hoffnung und Glaube vertrauen, können selbst in den dunkelsten Zeiten ihren Weg finden.
Am nächsten Morgen war Paul wieder fort. Doch Elisabeth trug seine Worte in ihrem Herzen – und erzählte später ihren eigenen Kindern, wie die Geschichte der Heiligen Drei Könige ihr eines Tages geholfen hatte, an die Kraft der Hoffnung zu glauben. (mw)