Aktion in Pink – Dülkener Unternehmen stellen Forderungen an die Politik

„Die meisten Politiker sehen nicht, wie dramatisch die Lage tatsächlich ist!“ Es war ein lauter Hilferuf der Dülkener Unternehmer, die sich am Montagvormittag auf dem Alten Markt zur Aktion „Wir gehen mit _voran“ trafen, denn mit dem fortschreitenden Lockdown hängt die Zukunft vieler an einem gefühlt aussichtlosen Existenzkampf gegen bürokratische Windmühlen.
Von RS-Redakteurin Claudia-Isabell Schmitz

Viersen-Dülken – Zahlreich waren die Dülkener Unternehmer auf dem Alten Markt in Dülken am Montagvormittag zusammengekommen. Ausgestattet mit meist FFP2-Masken und Abstand unter freiem Himmel standen sie zunächst in kleinen Gruppen zusammen, um sich über die aktuelle persönliche Situation auszutauschen. Sie blieben dabei nicht alleine, denn zu den Unternehmern mischten sich zudem Kunden, die ihren Geschäften zur Seite stehen wollten. Angesprochen von den Plakaten, sind sie trotz Kälte und Nässe dabei. „Wir wollen wieder im Laden einkaufen und nicht online“, berichten sie. Sie wollen sicherstellen, dass die Läden überleben: „Unsere große Sorge ist, dass so viele zumachen müssen, dass wir verödete Innenstädte haben. Da nutzen auch keine Milliarden von irgendwelchen Ministerien, denn was zu ist, wird zu bleiben.“

Gemeinsam nahm die Gruppe an der bundesweiten Aktion „Wir gehen mit _voran“ teil, die den Blick von Öffentlichkeit und Politik auf die Probleme des Einzelhandels lenken soll, denn außer Versprechungen haben sie von Seiten der Politik noch keine konkrete Entschädigungszusage erreicht. Nicht wenige sehen sich am Ende ihrer Möglichkeiten. Zumal auch bisher kein Eröffnungstermin für die Geschäfte in Aussicht gestellt wird. Sie sorgen sich in erster Linie auch um ihre Mitarbeiter, deren Arbeitsplätze sie, ohne staatlichen Schadenersatz und greifbaren Wiedereröffnungstermin, nicht sichern können.

Zahlreich waren die Dülkener Unternehmer auf dem Alten Markt in Dülken am Montagvormittag zusammengekommen. Foto: Rheinischer Spiegel

Die Forderungen an die Politik waren daher klar formuliert, denn neben schnellen Hilfen durch Vorabzahlungen, unbürokratischen Antrags- und Genehmigungsprozessen, fairen und angemessenen Ausgleichszahlungen hoffen die Inhaber auf ein konkretes Wiedereröffnungsszenario für den Einzelhandel. „Uns ärgert es sehr, dass in den Pressekonferenzen immer von schnellen und unkomplizierten Hilfen gesprochen wird, die aber leider überhaupt nicht oder erst jetzt Ende Januar teilweise ankommen“, erklärt Anke Nedelka (Kosmetik Institut Hippel). „Die Aussagen der Regierung und deren Versprechungen hat nichts mit der Realität zu tun. Wir wollen Aufmerksamkeit auf uns kleinere Betriebe ziehen, denn es wird immer nur von den großen gesprochen, aber wenn Lieschen Müller ihr Geschäft schließen muss und ihre Mitarbeiter mit der Schließung ihren Job verlieren, interessiert es keinen. Es sind ja nur zwei, drei oder fünf Arbeitsplätze. Klingt vielleicht nicht schlimm, aber die Menge der Lieschen Müller ist schon relevant und um das Vielfache höher als die Mitarbeiter die bei den großen Ketten um ihren Job bangen müssen.“

Ebenfalls Claudia Herzog, welche mit „Dein Erfahrungsraum“ an der Viktoriastraße in Viersen außerhalb des Lockdown Meditation, Anti-Stress-Training oder Massagen anbietet und sich gerade erst auf 100 qm vergrößert hatte, musste ihr Angebot pausieren lassen. „Ich darf nicht arbeiten seit 1. November und bin im zudem im Bereich des Gesundheitsmanagements tätig“, sagt Claudia Herzog. „Hier sind mir alle Aufträge gekündigt worden. Ich darf nichts machen, obwohl jeden Tag meine Kunden anfragen und ich ein Hygienekonzept habe. Meine Kunden wären schon dankbar, wenn ich eine Einzelstunde geben dürfte, doch das ist noch nicht einmal unter freiem Himmel möglich.“ Sie fordert von der Politik, dass diese sich nicht verrennen und den Blick öffnen sollte, ob nicht einzelne Angebote möglich sind. „Wir Coaches werden gebraucht, das reflektieren mir auch meine Kunden.“ Angela Nix, vom bekannten Studio „Mein Club“ in Dülken stimmt zu: „Wir machen auch Rehasport und erst heute Morgen haben die Rehasportler angerufen, haben gefragt, wann es denn endlich wieder losgeht. Diese Menschen haben Schmerzen und nur in NRW ist der Rehasport im Lockdown verboten.“ Dabei sei der Raum groß um auf Abstand zumindest einen Teil anbieten zu können.

„Uns ärgert es sehr, dass in den Pressekonferenzen immer von schnellen und unkomplizierten Hilfen gesprochen wird, die aber leider überhaupt nicht oder erst jetzt Ende Januar teilweise ankommen“, erklärt Anke Nedelka (Kosmetik Institut Hippel). Foto: privat

Sven-Henrik Gawron, Inhaber des Weinhauses Gawron an der Marktstraße in Dülken, gehört zu den Unternehmern, die aktuell weiter geöffnet haben dürfen, über seinen Online-Shop ist zudem der Einkauf möglich. „Beim ersten Lockdown habe ich mehr verkauft, als in der nachfolgenden Sommerpause. Aktuell habe ich ein bisschen mehr als normal nach Weihnachten und Karneval.“ Viele Kunden seien ängstlich, dabei sei die Gefahr einer Ansteckung wesentlich geringer in den „kleinen“ Geschäften. „Warum dürfen aber die großen Filialen Kosmetika verkaufen, die kleinen mussten jedoch schließen – wie heißt das: Ungerechtigkeit.“

Um die Schließung irgendwie auffangen zu können, haben Sabine Krahnen (Lieblingsplatz) und Hannelore Minkner (Modetreff Dülken) außer Haus Lieferungen, Termine und Türabholungen an zwei Tagen in der Woche möglich gemacht. „Die meisten Kunden sagen natürlich wir brauchen aktuell nichts im Lockdown“, so Sabine Krahnen. „Natürlich möchten sie aber die Ware auch anprobieren.“ Dabei hat es den Lieblingsplatz zudem in einer schwierigen Phase getroffen. Angefangen vor drei Jahren kann die Inhaberin auf Brand, Wasserschaden und zwei Mal Corona zurückblicken. Ihre Branchenkollegin Hannelore Minkner fährt ebenso ins Geschäft, wenn ein Kunde einen Wunsch äußert. Fest ist sie Montags- und Mittwochsmorgen im Laden, doch das sei nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Die mediterranen Speisen, die sonst bei Musik auf dem Alten Markt genossen werden können, bieten Concetta und Stefano Cillufo (Restaurant San Marco) zu den bekannten Öffnungszeiten zum Abholen und als Lieferung an. Gut siebzig bis achtzig Prozent betragen die aktuellen Umsatzeinbußen. Foto: privat

Die mediterranen Speisen, die sonst bei Musik auf dem Alten Markt genossen werden können, bieten Concetta und Stefano Cillufo (Restaurant San Marco) zu den bekannten Öffnungszeiten zum Abholen und als Lieferung an. Gut siebzig bis achtzig Prozent betragen die aktuellen Umsatzeinbußen. „Wir hoffen, dass wir im Sommer wieder aufmachen können und natürlich die wunderbaren Konzertabende wieder aufgenommen werden können“, hofft Concetta Cillufo mit Blick auf das Jahr. Aufgeben sei keine Option, unterstreichen die Vollblutgastronomen, die staatliche Hilfe beantragen mussten – so wie viele andere an diesem Morgen.

Bereits am Sonntag hatten die Friseurbetriebe mit der Aktion „Licht an, bevor es ganz ausgeht“ aufmerksam gemacht. Viele unterstützten nun auch die aktuelle Aktion. Aus Niederkrüchten-Elmpt war Friseurin Nicole Cross angereist. Acht Mitarbeiter und drei Auszubildende gehören zu ihrem Betrieb. „Davon hat einer jetzt die Ausbildung machen dürfen“, sagt die Friseurin und ist froh, dass dies überhaupt möglich war und sie ihn übernehmen konnte. „Ich hoffe sehr, dass wir ab 15. wieder öffnen dürfen.“ Eine Hoffnung, der sich Nina Kellmann (Salon Kellmann) anschließt. Bei ihren Kunden würden besonders die vergessen werden, die sich selber nicht mehr die Haare waschen können. Gerade erst hatte eine Seniorin angerufen, der seit Mitte Dezember nicht mehr die Haare gewaschen wurde. „Gerade was die Unternehmer angeht, werden wir hängengelassen“, erklärt Nina Kellmann. „Wir Inhaber bekommen nichts und abgesehen davon, dass momentan noch nichts beantragt werden kann, kann die Überbrückungshilfe III nur vom Steuerberater beantragt werden, der dafür selber einige hundert Euro bekommt.“ Zudem sei das Angebot im Geschäft bei einer Ansteckung nachvollziehbarer, als wenn „schwarze Schafe“ im Hinterzimmer arbeiten würden. „Und selbst wenn jetzt die Kunden kommen, es fällt ja trotzdem mindestens ein Haarschnitt weg.“

Den Stein zu dieser Aktion in Dülken ins Rollen brachte auch die Friseurin Andrea Stollenwerk. Foto: privat

„Die Konzepte sind nicht stimmig und sollten branchenspezifischer ausgelegt sein. Gut ist es, dass der Einzelhandel seine Waren jetzt abschreiben darf. Auch wir haben Warenbestand geordert, der für unser Weihnachtsgeschäft verplant war und vieles mehr. Aber wenn wir neun oder zwölf Wochen geschlossen hatten werden unsere Kunden zwar anfangs den Laden stürmen, aber die kalkulierten Einnahmen sind unwiderruflich weg“, so Andrea Stollenwerk. „Denn in dieser Zeit wären die Kunden im Durchschnitt 4-Mal gekommen – gegenüber jetzt 1-Mal, das heißt unsere Einnahmen brechen zu 3/4 weg. Leider bekommen wir nicht 75 % der Einnahmen aus 2019, das wäre echt fair, prozentual bekommen wir nur Fixkosten! Auch die Ausbildungsunterweisung läuft weiter! Ich übe täglich mit meinen Auszubildende 4-5 Stunden im Laden. Ich bin überzeugt, wenn die Betriebe ordentlich finanzielle Unterstützung bekommen würden, können diese ihren Mitarbeiter auch die Aufstockung zum Kurzarbeitergeld zahlen und eine selbstständige, alleinerziehende Friseurmeisterin müsste nicht die Gefahr der Schwarzarbeit eingehen – wie so viele andere auch.“

Eigentlich möchte das Haarstudio Grätsch im Sommer am Hühnermarkt das 50. Jubiläum feiern. Alexandra Grätsch hat vor dreizehn Jahren das Geschäft von ihrer Mutter übernommen. „Das Geschäft liegt mir so am Herzen, weil meine Mutter es von Null aufgebaut hat“, berichtet die Friseurin. „Abgesehen davon bin ich Friseurin mit Herz und Seele. Ich habe es auch nach 29 Jahren nie bereut. Es ist natürlich eine schwierige Situation, aber ich glaube wir können das schaffen. Doch wenn uns immer Versprechen gemacht werden und wir noch nicht einmal etwas beantragen können – das macht uns völlig nervös. Wir können die Nächte nicht schlafen und wir haben Angst. Wir können nur noch versuchen uns abzulenken, damit man nicht durchdreht.“ (cs)

Unter anderem mit dabei waren:
Kosmetik Hippel
City Print Dülken
Salon Andrea
Salon Koch
Salon Kellmann
Modetreff Dülken
Restaurant San Marco
Eiscafè Sicilia
Weinhaus Gawron
Dülkener Spieleland
Dülkener Schuhhaus
Fitnessline
Mein Club
Dülkener Tennisclub
Kleiderkasten
Lieblingsplatz
Parfümerie & Strumpfhaus Recker
Pecados
Dülkener Kosmetik Fachinstitut Evi Mülders
Ristorante La Tavola
Nicole`s Nail Design
Friseurin Nicole Cross
Bergs Stoffe
Nicis Änderungsschneiderei
Kosmetik Joli
Nieda Team Dammer
Dülkener Büchereck
Kantinchen
Schreibwaren York
Dein Erfahrungsraum
blütezeit
Haarstudio Grätsch

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