Die Landsmannschaft Ostpreußen lud am Totensonntag unter der Schirmherrschaft von Landrat Dr. Andreas Coenen zum gemeinsamen Innehalten am „Kreuz des Deutschen Ostens“.
Von RS-Redakteurin Claudia-Isabell Schmitz
Viersen-Dülken – Das ursprüngliche, schlichte Kreuz auf dem Dülkener Friedhof ist längst Vergangenheit. 1951 kamen rund 1.000 Heimkehrer, Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte zusammen um der Einweihung beizuwohnen. 3.000 Vertriebe waren sechs Jahre nach Kriegsende in Dülken gemeldet.
Für die Errichtung hatten sich Vertriebene aus Ost- und Westpreußen, aus Danzig, Pommern, Ostbrandenburg, Nieder- und Oberschlesien, dem Sudetenland und Warthegau eingesetzt. Ein Ort, an dem sie ihren verstorbenen und vertriebenen Landsleuten gedenken konnten – stellvertretend auch für viele, die verschollen waren und sind. Auf Initiative der Landsmannschaft Ostpreußen wurde 1966 das Holzkreuz durch das heutige aus Stahl ersetzt, die Mitglieder stellen bis heute die Pflege sicher.
Am vergangenen Totensonntag, 70. Jahre nach Aufstellung, folgten mit rund 50 Gästen nicht annähernd so viele Menschen dem Ruf der Landsmannschaft, der dennoch nicht ungehört blieb.
„Damals noch mit einer gewissen Hoffnung auf Heimkehr in die Heimatprovinzen östlich von Oder und Neiße und dem Stettiner-Zipfel. Es waren jene Menschen, die auf Knien nach Hinterpommern, Ostbrandenburg, Schlesien, dem Sudetenland oder Ost- und Westpreußen heimgekehrt wären“, erinnerte der Vorsitzende der Landsmannschaft Dülken an die Vergangenheit. „Deshalb hinken auch alle von der aktuellen Politik gerne gewählten falschen Vergleiche mit der heutigen andauernden Einwanderung. Wir hatten die gleiche Sprache und Ausbildung. Vertriebene aus Sachsen gründeten in Viersen die Firma Groschopp und in Dülken die Maschinenfabrik Johannes Menschner, meine Lehrfirma. Bekannt ist mir noch immer folgender Spruch: „Kommst du aus dem Osten, gibt es bei Menschner Posten“! Wir brauchten keine großartige Integration, lediglich ein Dach über dem Kopf und einen Arbeitsplatz.“

Neben bekannten Teilnehmern, darunter Landrat Dr. Andreas Coenen, die stellvertretende Bürgermeisterin Simone Gartz und Bärbel Wiesensee, Vorsitzende der ostpreußischen Kreisgemeinschaft Lyck, Nettetals Partnerstadt in Masuren, kam die ehemalige Kindergeneration der in Ostdeutschland und im Sudetenland Geborenen zusammen. „Wir sind nur noch wenige Betroffene. Vor zehn Jahren waren es immerhin noch rund 100 Personen die sich hier versammelten. Es ist ja abzusehen, bald ist diese unfreiwillige Zeitzeugen-, Erlebnis- und Opfergeneration gänzlich abgetreten. Für diese damals jungen Menschen wurde die Geborgenheit im heimatlichen Umfeld, der eigenen Familie, Urgrund des kindlichen Vertrauens in die Welt, gewaltsam und brutal für immer zerstört“, so Zauner.
Als 1945 die ersten Ostdeutschen am Niederrhein ankamen, sei das erhoffte Bleiben der Heimatvertriebenen und der Heimatverbliebenen keineswegs so endgültig gesichert gewesen. Auch in den Niederlanden gab es damals Bestrebungen die 1815 festgelegte Reichsgrenze in Richtung Osten zu verschieben. Teile Niedersachsens und des Niederrheins wären davon betroffen gewesen.
„Dabei stand auch die Frage im Raum, mit oder ohne die deutschen Bewohner. Für mich persönlich wäre es dann die dritte Vertreibung innerhalb von drei Jahren gewesen“, ergänzte Jürgen Zauner. „Vor über 100 Jahren bis in die heutige Zeit sind Flucht und Vertreibung, ausgelöst durch den Ersten Weltkrieg in Europa, bittere und ständige Realität geblieben. Unser Elend hat bis heute keineswegs eine Besserung bewirkt.
In einer gewissen Selbstachtung darf man aber das Recht auf Heimat trotzdem nicht aufgeben, auch wenn man es nicht bekommt. Und die letzten deutschen Heimatvertriebenen werden es wohl nicht mehr erhalten. So ist nun leider einmal die menschenrechtliche Werterealität im Europa der EU im Jahr 2021. Zieht man die offiziellen Besucher ab, dann bleiben leider nur noch rund ein Dutzend Bürger übrig. Trifft das Kantzitat nun auch für Viersen zu, tot ist nur, wer vergessen wird? Dies sollten wir versuchen unbedingt zu verhindern. Denn wie Edmund Burke richtig erkannte: Menschen, die nicht auf ihre Vorfahren zurückblicken, werden auch nicht an ihre Nachwelt denken.“
Einen Dank sprach er den beiden Pfarrer Roland Tendyck und Mischa Czarnecki aus, die das ökumenische Gedenken in der Kapelle und am Kreuz des Deutschen Ostens zelebrierten. Musikalisch ergänzten Giovanni Solinas an der Orgel, Sängerin Iana Rata und Trompeter Axel Peterson die Zeremonie, die so viel mehr war als nur ein Erinnern an die Vergangenheit. Sie war eine Mahnung gegen Krieg und Vertreibung – weit über den Totensonntag hinaus. (cs)
Im Mittelpunkt der ökumenischen Andacht stand das Bibelwort:
Baut Häuser, und wohnet darin,
pflanzt Gärten, und esst ihre Früchte!
Bemüht euch um das Wohl der Stadt,
in die ich euch führte,
und bittet den Herrn für sie;
denn in ihrem Wohl liegt auch euer Wohl!
Jeremia 29, Vers 5