Greta ging gerne in den Viersener Kindergarten – Staatsanwaltschaft spricht von heimtückischem Mord

„Schwurgerichtssaal“ steht in geschwungenen Buchstaben über dem Eingang zum Verhandlungsraum des Landgerichts Mönchengladbach. Hier wird in den kommenden neunzehn Sitzungsterminen wegen Mordes sowie wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen in neun Fällen gegen die 25-jährige Angeklagte Sandra M. verhandelt.
Von RS-Redakteurin Nadja Becker

Viersen – Der Fall erregt Aufsehen, Fotografen reihen sich dicht an dicht als die Angeklagte den Raum betritt. Gut versteckt hinter einer roten Mappe und mit einer Mundmaske ist Sandra M. nicht zu erkennen. Die Erzieherin macht bisher von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch, am kommenden Donnerstag will sie eine Einlassung zu ihrer Person, jedoch nicht zu den Fällen geben.

Als Nebenkläger nehmen die Vertreter zweier Kinder sowie die Mutter der verstorbenen Greta F. an dem Verfahren teil. Die 1995 in Kempen geborene Angeschuldigte Sandra M. hat als Erzieherin unter anderem in Kindertagesstätten in Krefeld, Kempen, Tönisvorst und Viersen gearbeitet, so die Staatsanwaltschaft, die Anklage wegen Mordes sowie wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen in neun Fällen erhoben hat. „Meine Mandantin sagt, sie lebt nicht, sondern sie existiert“, so die Vertreterin der Mutter, Rechtsanwältin Marie Lingnau. „Man muss jetzt sagen, Greta hat zwei Brüder, die ihre Mama gerade noch mehr brauchen als jemals zuvor.“ Greta sei ein fröhliches und lebenslustiges Kind gewesen, welches gerne in die Kita gegangen sei. Gretas Mutter erhoffe sich nun von diesem Prozess zu erfahren warum Greta gerade an diesem Ort, an dem sie geschützt war und den sie so gerne besuchte, sterben musste.

Gut versteckt hinter einer roten Mappe und mit einer Mundmaske ist Sandra M. nicht zu erkennen. Foto: Rheinischer Spiegel

„Bei dem hier vorgeworfenen Mord droht eine lebenslange Freiheitsstrafe“, erklärt Raimond Röttger, Pressesprecher und Richter am Landgericht. Würde die Angeklagte von dem Vorwurf des Mordes freigesprochen werden, könnte eine Freiheitsstrafe für die Misshandlung von Schutzbefohlenen von fünf bis zehn Jahren drohen. Das Gericht hat vorbereitend eine Vielzahl von Zeugen und zwei medizinische Sachverständige gehört.

Am 21. April 2020 war es zu einem Notarzteinsatz in einer städtischen Kindertageseinrichtung in Viersen gekommen, nachdem die zu diesem Zeitpunkt noch nicht dreijährige Greta F. einen Atemstillstand erlitten hatte und in ein Krankenhaus überführt wurde. Erst am 4. Mai 2020 verstarb das Mädchen, einen Tag nach ihrem Geburtstag. Aufgrund einer medizinisch unklaren Lage verständigte das Krankenhaus bereits am 29. April 2020 die Polizei. Die Ermittlungen waren aufgenommen worden, weil an dem Mädchen rötliche Punkte im Augenbereich auffielen, die auf eine Gewalteinwirkung hinweisen können.

Im Zeitraum vom 01.08.2017 bis zum 21.04.2020 habe sie den Brustkorb mehrerer ihr anvertrauter Kleinkinder in einer Art und Weise zusammengedrückt, dass bei diesen eine erhebliche Atemnot oder gar ein Atemstillstand eingetreten sei. Hierbei habe sie den Tod der Kinder mindestens billigend in Kauf genommen. Sie habe danach allerdings jeweils Kollegen auf den Zustand der Kinder hingewiesen und so Rettungsmaßnahmen veranlasst, die mit Ausnahme des letzten Falls das Überleben der Kinder sicherten.

„Meine Mandantin sagt, sie lebt nicht, sondern sie existiert“, so die Vertreterin der Mutter, Rechtsanwältin Marie Lingnau. Foto: Rheinischer Spiegel

Verschiedene Vorgesetzte wie Kolleginnen und Kollegen der Angeschuldigten hätten diese als für den Beruf der Erzieherin ungeeignet beschrieben. Sie habe sich insbesondere den Kindern gegenüber emotions- und teilnahmslos verhalten.
Die Mutter hatte die kleine Greta erstmalig am 21. April in die Notbetreuung des Kindergartens gebracht. Die drei Wochen zuvor betreute die Patentante das Kind, wo es keinerlei Auffälligkeiten zeigte. Greta war zu diesem Zeitpunkt in der Notgruppe das einzige Kind. Im Laufe des Vormittags hatte man mit Greta im Kindergarten gespielt und mit ihr gegessen.
Ab 13.30 Uhr war die Erzieherin alleine mit dem Mädchen, welches müde wurde. Während der Schlafzeit wurde der Atem alle 15 Minuten kontrolliert, um 14.45 Uhr hätte die Erzieherin nach eigenen Aussagen festgestellt, dass das Mädchen nicht mehr atmete. Gemeinsam mit den Erzieherinnen der Nebengruppe habe man versucht das Mädchen wachzubekommen. Der Körper sei leblos und blau gewesen, als die ersten Reanimationsmaßnahmen durchgeführt wurden.

In Begleitung des Notarztes wurde Greta der Kinderklinik in Viersen zugeführt. Dort erlangte sie nicht mehr das Bewusstsein. Maschinell am Leben erhalten, trat am 4. Mai trat der Hirntot ein. Bei der Obduktion ergaben sich Erkenntnisse, dass die körperlichen Hinweise auf dem Kind nicht durch die Reanimationsmaßnahmen entstanden sein konnten. Da die Erzieherin alleine mit dem Kind war, geriet sie in den Blickpunkt der Ermittler. In Viersen war sie seit Januar beschäftigt, der 21.04.2020 sei der planmäßig letzte Arbeitstag der Angeschuldigten in der Kita in Viersen gewesen, da das Arbeitsverhältnis von der Angeschuldigten zum 30.04.2020 gekündigt worden sei.

„Die Taten sind aufgefallen, da ein Kind tragischerweise nicht überlebt hat“, berichtet Staatsanwalt Stefan Lingens. Die Ermittlungen in den bisherigen Arbeitsstellen haben ergeben, dass es vergleichbare Fälle gegeben hatte, die bisher nicht aufgefallen waren. „Zum Zeitpunkt der Ermittlungen, die sich neben der Beschuldigten ebenfalls auf sonstige Beteiligte erstreckten, ist das Verhalten der Erzieherinnen sowie des Jugendamtes in den Blick genommen worden. Dabei ist bei keinem der Beteiligten ein strafbares Verhalten erkennbar geworden.“
Der Staatsanwalt geht davon aus, dass Greta, auch im Alter von knapp drei Jahren, zum Argwohn fähig war, weshalb man von einem heimtückischen Vergehen an einem arg- und wehrlosen Opfer sprechen könne.

Staatsanwalt Stefan Lingens geht davon aus, dass Greta, auch knapp im Alter von drei Jahren, zum Argwohn fähig war, weshalb man von einem heimtückischen Vergehen an einem arg- und wehrlosen Opfer sprechen könne. Foto: Rheinischer Spiegel

Im Rahmen ihrer Tätigkeit in Krefeld habe die Angeschuldigte am 02.11.2017, 16.02.2018, 26.02.2018 und 12.06.2018 auf den im Dezember 2014 geborenen Jungen S. eingewirkt, so dass dieser nicht mehr ansprechbar gewesen sei und in einem Fall an Armen und Beinen gezuckt und aus dem Mund geblutet habe.

Während ihrer Tätigkeit in Kempen sei sie in gleicher Weise am 31.08.2018, 01.10.2018, 29.10.2018 und 30.11.2018 mit dem im August 2016 geborenen Jungen M. verfahren. Hierdurch seien bei dem Jungen Atemnot bis zum Atemstillstand, Leblosigkeit und Krämpfe verursacht worden.
Am 29.10.2019 habe sie in einer Kita in Tönisvorst dem im Juni 2016 geborenen Mädchen J., die an einem angeborenen Herzfehler gelitten habe, den Brustkorb zusammengedrückt, bis es blau angelaufen sei und das Bewusstsein verloren habe. (nb)


Todesfall der dreijährigen Greta F. – Landesjugendamt konkretisiert KiTa-Handreichung