Vor dem Landgericht Mönchengladbach wurde am heutigen Donnerstagmorgen der „Greta-Prozess“ fortgeführt. Bereits im Anerkennungsjahr in einer Krefelder KiTa war der Angeklagten die fachliche Kompetenz als Erzieherin abgesprochen worden.
Von RS-Redakteurin Nadja Becker
Region – Die von der Polizei ermittelten ersten Vorfälle in einer Krefelder KiTa standen im Mittelpunkt des 5. Verhandlungstages im „Greta-Prozess“. In der Kindertageseinrichtung hatte die Angeklagte ihr Anerkennungsjahr vom 01.08.2017 bis 31.07.2018 absolviert – ein zweiter Anlauf, nachdem sie im Vorfeld das Praktikum in einer anderen Einrichtung abgebrochen hatte. Von Anfang an sei die Arbeit mit Sandra M. schwierig gewesen, sie hätte die geforderte Leistung nicht erbringen können. Es sei ihr schwergefallen eine Beziehung zu den Kindern aufzubauen, war emotionslos – ebenfalls der Leistungsauftrag sei nicht erfüllt worden.
„Sie war den Kindern gegenüber sehr statisch, nicht flexibel, konnte nicht umsetzen wo die Bedürfnisse oder Möglichkeiten der Förderung lagen“, so die Leiterin der Krefelder KiTa. Situationen zwischen den Kindern hätte die Angeklagte nicht deuten können, weshalb nach den ersten Monaten entschieden wurde, dass die 25-Jährige nicht mehr mit mehreren Kindern alleine arbeiten durfte. „Das war uns irgendwann zu gefährlich“, ergänzte die Zeugin. Die Leiterin habe den Eindruck gehabt, dass die Angeklagte nicht verstand was man versuchte ihr zu vermitteln. Zwar sei sie bemüht gewesen, aber ihr war es letztendlich nie gelungen Änderungen umzusetzen. Aus ihren Leistungen resultierte am Ende des Anerkennungsjahres die Note „Mangelhaft“ in der Beurteilung. Eine Note, die Sandra M. durch ihre schulischen Leistungen auf ein „Ausreichend“ verbessern konnte.
Die Anklage geht davon aus, dass die angeklagte Erzieherin im Rahmen ihrer Tätigkeit in Krefeld am 02.11.2017, 16.02.2018, 26.02.2018 und 12.06.2018 auf den im Dezember 2014 geborenen Samuel eingewirkt habe, sodass dieser nicht mehr ansprechbar gewesen sei sowie in einem Fall an Armen und Beinen gezuckt und aus dem Mund geblutet habe.

Das Flüchtlingskind war auf der Flucht mit seiner Mutter geboren worden, noch sehr klein und seine Entwicklung war verzögert als er in Kontakt mit der Angeklagten kam. Da der Zweijährige bei den Vorfällen Anzeichen von Krampfanfällen aufwies, war zunächst von Epilepsie ausgegangen worden. Nach dem Weggang der Angeklagten sei es in der Einrichtung jedoch zu keinen weiteren Vorfällen mit dem Jungen gekommen. Samuels Mutter, selbst Kindererzieherin in Nigeria, berichtete mithilfe einer Übersetzerin von Fieberkrämpfen, die jedoch erst über ein Jahr später auftraten.
Anfangs sei die Arbeit der Angeklagten motiviert gewesen, erinnert sich ein Erzieher, welcher Sandra M. in dem Praktikum anleitete. Doch eine wirkliche Verbindung zu Kollegen oder Kindern sei nie erfolgt. Bereits in Grundzügen seien Arbeitsvorgänge nicht umgesetzt worden – darunter, dass sie Kinder immer in einer Reihe vor ihr platzierte, trotz Hinweise nicht auf einen Stuhlkreis zurückgriff.
Als es zu dem Vorfall im November kam, habe die Angeklagte erstmals die Aufgabe der Betreuung der Schlafkinder übernommen, in einer weiteren Situation war die 25-Jährige alleine mit dem Jungen im Wickelraum. Sie habe die Erzieher hinzugerufen, Samuels Kopf sei bei dem ersten Vorfall nach hinten gefallen, die Muskulatur war schlaff gewesen. Sandra M. sei gefasst gewesen, fast mechanisch, hätte ohne Eile die Türe geöffnet, berichteten dem Gericht verschiedene Beteiligte. „Wir waren uns generell alle in der Einrichtung einig über die schlechten Leistungen der Frau M.“, die häufig in der Erinnerung des Erziehers wie ein Gespenst wirkte indem sie nicht greifbar, nicht authentisch schien. Immer wieder hakten Richter und Verteidiger nach, fragten zu Arbeitsabläufen und dem Verhalten des Jungen in der Einrichtung.
Als distanziert beschrieb die ebenfalls befragte 49-jährige Kinderpflegerin der KiTa die Angeklagte. Sie sei den Kindern gegenüber reserviert gewesen, hätte sie von oben herab behandelt. „Feingefühl hat sie missen lassen, einfach die Empathie für das Gegenüber.“ Sie sei nach der Angeklagten die erste bei Samuel im Schlafsaal gewesen, der nicht mehr ansprechbar war, aus dem Mund sei Blut ausgetreten. Erst im Krankenhaus ist der Junge wieder zu sich gekommen. Als nicht ansprechbar beschrieb zudem die pädagogische Fachkraft der Einrichtung den Jungen. Die Mitarbeiterin, die zuvor als Kinderkrankenschwester gearbeitet hat, hat zwei dieser Auffindsituationen verfolgt, habe Samuel bei einem Vorfall zudem ins Krankenhaus begleitet.
In den Blickpunkt war die 25-jährige Erzieherin zunächst nicht gerückt, die fehlende und schlechte Leistungen durch „Notlügen“ gegenüber den Kollegen mit der Betreuung eines angeblichen behinderten Bruders, ihrer eigenen Epilepsie-Krankheitsvorgeschichte oder der ihr alleine auferlegten Entscheidung über die Abschaltung lebenserhaltender Geräte ihrer Großeltern im Krankenhaus in Gesprächen innerhalb der Einrichtung zu rechtfertigen schien. (nb)
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