Literarisches: Der Reisegutschein

„Ihre Meinung interessiert uns.“ Meinungsforschern kann man nicht entgehen, auch nicht, wenn man keine Meinung hat oder sie nicht kundtun will. Irrelevante Anfragen und Informationen erreichen mich, mit denen ich immer weniger anfangen kann. Alle wollen alles von mir wissen.
Von Peter Josef Dickers

Literarisches – Der Fragebogen, den ich am vorletzten Tag der Reise vorfinde, macht es mir leicht. Meine Antworten kennt er schon und hat sie aufgelistet. Ich soll Kästchen ankreuzen. Fragebogen-Analphabetismus. Noten-Salat aus „sehr gut, gut, befriedigend, mangelhaft“. Ich kann mit einer Belohnung rechnen. Ausgefüllte Fragebögen nehmen an der Verlosung eines Reisegutscheins teil.

Es gibt einen Gutschein für eine Reise, an deren Ende mich ein Fragebogen erwartet mit dem Hinweis, einen Reisegutschein gewinnen zu können. Der Gutschein ermäßigt die nächste Reise um zehn Prozent. Wer die restlichen neunzig Prozent zahlt, wird nicht mitgeteilt. Dass sich nur einer von dreihundert Reisenden Hoffnung auf einen Gutschein machen kann, wird ebenfalls nicht erwähnt.

Welche Meinung wird als erste erfragt? Die nach dem Gesamteindruck. Welchen Eindruck haben alle Erfahrungen insgesamt bei Ihnen hinterlassen? Ich gestehe meine Unschlüssigkeit ein. Das Kästchen bleibt leer. Den Service beim Mittag- und Abendessen soll ich benoten. Ich überlege, welche Dienste ich in Anspruch nahm und ob ich mich daran erinnere. Meine Meinung sei wichtig, heißt es. Der Urlaub soll schöner werden. Ich frage mich, wie das möglich ist, da er morgen zu Ende ist und ich die Heimreise antrete. Soll ich dafür sorgen, dass der Urlaub anderer Reisender, welche die Reise noch vor sich haben, schöner wird? Ich kenne niemanden, der eine Reise plant. Ein weiteres Kästchen bleibt leer.

Die Zeit drängt. In einer Stunde muss der Fragebogen der Rezeption vorliegen wegen des Reisegutscheins. Viele Fragen habe ich noch nicht beantwortet. Wie häufig sind Sie mit uns gereist? Warum ich mich für die Reise entschieden habe, soll ich angeben. Einfach so, möchte ich antworten. Dafür ist kein Kästchen vorgesehen. Was hat Ihnen an der Reise nicht gefallen? Die Frage war zu befürchten. Darf ich demnächst nicht mitreisen?
Wenn ich verreise, denke ich positiv. Wenn das Frühstücksei nicht frisch gelegt war; wenn das Salz in der Suppe nicht mein Lieblingssalz war; wenn das Zimmer nicht um neun, sondern um zehn Minuten nach neun Uhr gereinigt wurde, habe ich die Reise nicht abgebrochen. Fünf leere Kästchen die Folge. Für den Reisegutschein ist es zu spät. Ich weiß nicht, wohin die nächste Reise geht. Vielleicht reise ich dort hin, wo ich nach der Reise keinen Fragebogen ausfüllen muss. Schade, dass ich das nicht ankreuzen kann. (opm)

Foto: StockSnap/Pixabay

Foto: Privat

Aus: P.J. Dickers, Du lieber Himmel

Peter Josef Dickers wurde 1938 in Büttgen geboren. Nach einem Studium der Katholischen Theologie sowie der Philosophie und Pädagogik in Bonn, Fribourg/Schweiz, Köln sowie Düsseldorf erhielt er 1965 die Priesterweihe. Anschließend  war er in der Seelsorge und im Schuldienst tätig, bis er sich 1977 in den Laienstand rückversetzen ließ und heiratete. Nach der Laisierung war er hauptamtlich tätig an den Beruflichen Schulen in Kempen (jetzt Rhein-Maas-Kolleg) mit den Fächern Kath. Religionslehre, Pädagogik, Soziallehre, Jugendhilfe/Jugendrecht.

„Seit der Pensionierung bin ich weiterhin engagiert durch meine Schreibtätigkeit, mein Vorlese-Engagement in diversen Einrichtungen und sonstige Initiativen. In den Sommermonaten lese ich zeitweise als „Lektor“ auf Flusskreuzfahrt-Schiffen aus meinen bisher erschienenen Büchern“, so Peter Josef Dickers, der mittlerweile in Mönchengladbach beheimatet ist.