Literarisches: Erstklässler im Kriegsjahr 1944

Mein Einschulungsdatum in die „Deutsche Volksschule“ war am 1. September 1944, ein Tag mitten im Zweiten Weltkrieg. Mein Heimatort an der Eisenbahnlinie zwischen Neuss und Mönchengladbach war dauernden Tieffliegerangriffen von Jagdbombern ausgesetzt.
Von Peter Josef Dickers

Literarisches –Wir verbrachten Tage und Nächte überwiegend im Keller unseres Hauses an der „Josef-Goebbels-Straße“. Die Erinnerung an eine Petroleumlampe gehört dazu. In ihrem faden Schein hockend, lauschten wir der Radiostimme, die vor der Bombardierung der nahen Eisenbahnstrecke warnte. Noch heute meine ich den ranzigen Geruch der Lampe in der Nase zu spüren, weil der Docht filzig war und vor sich hin schwelte. Mein Vater war zwei Jahre zuvor in Russland gefallen.

Eine süße Schultüte gab es nicht. Womit hätte man sie füllen sollen? Wir I-Dötze stellten uns auf dem Schulhof auf. Händchen haltend wurden wir ins Schulgebäude geführt. In einem großen Raum lagen paarweise Holzschuhe, „Klompen“. Jedes „Dötzchen“ erhielt ein Paar, unsere „Schultüte“. Die Bevölkerung des Dorfes war katholisch, die Schule daher eine „Katholische Bekenntnisschule“. Im Jahr 1939 wurde sie aufgrund staatlicher Anordnung zur „Gemeinschaftsschule“ umgewandelt. Kruzifixe und andere religiöse Symbole verschwanden aus dem Gebäude.

Wegen der zunehmenden Gefahren des Luftkriegs wurde die Schule kurz nach meiner Einschulung geschlossen. Einige Wochen hindurch wurden wir im Schutzraum des Schul-Kellers unterrichtet worden. In den folgenden Kriegsmonaten wurde das Schulgebäude mehrmals bombardiert. Überall im Dorf gab es Granateinschläge. Brand- und Sprengbomben richteten Schäden und Zerstörungen im Dorf an. An Schule war nicht zu denken. Ersatzunterricht gab es nicht. Schreibübungen daheimauf der Schiefertafel waren Zeitvertreib, keine schulische Eigeninitiative.

Am 1. März 1945 rückten amerikanische Soldaten ins Dorf ein. „Raus“, befahlen die mit Maschinengewehren bewaffneten US-Soldaten und forderten uns auf, das Haus zu verlassen. Bei Verwandten in einem anderen Ortsteil kamen wir unter. Die „Josef-Goebbels-Straße“ wurde in „Oststraße“ umbenannt. An Schule war weiterhin nicht zu denken.

Im August wurde die „Deutsche Volksschule“ wieder geöffnet. In der Kirche gab es einen Gottesdienst. Danach ging es zur Schule. Die Räume wurden vom Pfarrer gesegnet, die Kreuze wieder aufgehängt. Die Schule war wieder eine „Katholische Bekenntnisschule“. In meinem ersten „Zeugnis der „Deutschen Volksschule“ vom 1. April 1946 steht „Schulaufnahme 1.9.1944. Schuljahr 1945/46“. Ein theoretisch zwei Jahre andauerndes erstes Schuljahr. „Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir.“ Seneca, Erzieher und Berater des römischen Kaisers Nero, schrieb das. Ob er das auch in diesem Fall geschrieben hätte? (opm)

Foto: Privat

Zusammenfasender Bericht aus: Peter Josef Dickers, Die Pendeluhr. Stationen erinnerungswürdiger Jahre“

Foto: Privat

Peter Josef Dickers wurde 1938 in Büttgen geboren. Nach einem Studium der Katholischen Theologie sowie der Philosophie und Pädagogik in Bonn, Fribourg/Schweiz, Köln sowie Düsseldorf erhielt er 1965 die Priesterweihe. Anschließend  war er in der Seelsorge und im Schuldienst tätig, bis er sich 1977 in den Laienstand rückversetzen ließ und heiratete. Nach der Laisierung war er hauptamtlich tätig an den Beruflichen Schulen in Kempen (jetzt Rhein-Maas-Kolleg) mit den Fächern Kath. Religionslehre, Pädagogik, Soziallehre, Jugendhilfe/Jugendrecht.

„Seit der Pensionierung bin ich weiterhin engagiert durch meine Schreibtätigkeit, mein Vorlese-Engagement in diversen Einrichtungen und sonstige Initiativen. In den Sommermonaten lese ich zeitweise als „Lektor“ auf Flusskreuzfahrt-Schiffen aus meinen bisher erschienenen Büchern“, so Peter Josef Dickers, der mittlerweile in Mönchengladbach beheimatet ist.