An den nackten Kopf des Elfjährigen hatte ich mich gewöhnt. Strahlen-Jan nannte ihn die Krankenschwester, die sich um ihn kümmerte. Darüber hatte ich mich anfangs geärgert, da ich das diskriminierend fand. Aber Jan war stolz so genannt zu werden. Er strahlte, wenn ich ihn besuchte. Die Krankenschwester bewunderte ich, weil sie es schaffte fröhlich und ungezwungen mit Jan und den anderen kranken Kindern auf der Station umzugehen. „Die Kinder brauchen keine Schwester mit Trauerrand.“ Ihr Kommentar.
Von Peter Josef Dickers
Literarisches – Die Bestrahlung, die Jan nach der Chemotherapie erhielt, sollte verbliebene Reste eines Tumors vernichten. Jan war gut informiert und beschrieb mir mit medizinischer Sachkenntnis was vor sich ging. Er möchte ebenfalls Arzt werden, sagte er. Es wäre unwahrscheinlich interessant, mit welch tollen Geräten die Ärzte arbeiten würden. Sein Computer daheim wäre nichts dagegen. Man würde nichts von der Bestrahlung merken. Während der Behandlung müsste er eine Maske über das Gesicht stülpen. Sehen könnte er aber alles. Es wäre überhaupt nicht anstrengend.
Seine positive Einstellung änderte sich, als er von Fieberschüben durchschüttelt wurde. Es war Anfang Dezember. Ich hatte ihm eine Nikolausgeschichte erzählt, in der berichtet wird, Nikolaus hätte nachts drei Mädchen je einen Goldklumpen durch ein offenes Fenster zugeworfen, um sie zu unterstützen. Jan fand das cool und wollte wissen, wie ein Bischof an so viel Gold kommen würde. Meine Erklärung, die Geschichte wollte damit die Hilfsbereitschaft des Bischofs beschreiben, fand er nicht überzeugend. Er glaubte zwar nicht mehr an den Nikolaus, sagte er, wenn der so großzügig wäre, könnte er ihn hier gern einmal besuchen.
Das Fieber warf ihn aus der Bahn. Die Immunabwehr war zusammengebrochen. Der Tumor war stärker als er. Ich musste das Zimmer verlassen. Am nächsten Tag war ich wieder da. Die Schwester erzählte mit dünnen Worten, sein Zustand wäre kritisch. Die Bestrahlung würde vorerst ausgesetzt. In der Nacht hätte er seltsames Zeug gefaselt von einem Mann, der ihm Gold versprochen, aber nicht gebracht hätte. Ich schwieg.
Als ich ins Zimmer kam, schien Jan mich nicht zu registrieren. Irgendwann begann er zu reden. Das Wort Nikolaus kam leise über seine Lippen. Wenige Tage später starb er. Er war bei Nikolaus angekommen und musste nicht auf ihn warten. Bei Gelegenheit konnte er sich bei ihm nach den Goldklumpen erkundigen. (opm)
Peter Josef Dickers wurde 1938 in Büttgen geboren. Nach einem Studium der Katholischen Theologie sowie der Philosophie und Pädagogik in Bonn, Fribourg/Schweiz, Köln sowie Düsseldorf erhielt er 1965 die Priesterweihe. Anschließend war er in der Seelsorge und im Schuldienst tätig, bis er sich 1977 in den Laienstand rückversetzen ließ und heiratete. Nach der Laisierung war er hauptamtlich tätig an den Beruflichen Schulen in Kempen (jetzt Rhein-Maas-Kolleg) mit den Fächern Kath. Religionslehre, Pädagogik, Soziallehre, Jugendhilfe/Jugendrecht.
„Seit der Pensionierung bin ich weiterhin engagiert durch meine Schreibtätigkeit, mein Vorlese-Engagement in diversen Einrichtungen und sonstige Initiativen. In den Sommermonaten lese ich zeitweise als „Lektor“ auf Flusskreuzfahrt-Schiffen aus meinen bisher erschienenen Büchern“, so Peter Josef Dickers, der mittlerweile in Mönchengladbach beheimatet ist.