„Sie hat sich als Heldin dargestellt“ – Vor dem Landgericht wurden die ersten Zeugen im Fall Greta F. gehört

Nachdem die 25-jährige Erzieherin Sandra M. am vergangenen Verhandlungstag alle Taten bestritten hatte, standen am heutigen Montagmorgen Zeugenaussagen aus dem näheren Freundes- und Familienkreis im Mittelpunkt des Verfahrens. Hierbei beleuchtete der Richter besonders die von der Angeklagten dargelegten Vorfälle ihrer Vergangenheit auf den Wahrheitsgehalt hin.
Von RS-Redakteurin Nadja Becker

Region/Viersen – Vor dem Landgericht Mönchengladbach zum heutigen Wochenbeginn das Verfahren gegen die 25-jährige Erzieherin Sandra M. fortgeführt, welche wegen Mordes sowie wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen in neun Fällen angeklagt ist. Im Mittelpunkt des 3. Verhandlungstages standen die ersten Zeugenbefragungen vor dem Richter am Landgericht, Lothar Beckers, nachdem die Angeklagte am vorhergehenden Verhandlungstag alle Taten bestritten hatte.

Am 21. April 2020 war es zu einem Notarzteinsatz in einer städtischen Kindertageseinrichtung in Viersen gekommen, nachdem die zu diesem Zeitpunkt noch nicht dreijährige Greta F. einen Atemstillstand erlitten hatte und in ein Krankenhaus überführt wurde. Erst am 4. Mai 2020 verstarb das Mädchen, einen Tag nach ihrem Geburtstag. Die Anklage führt aus, dass die Erzieherin im Zeitraum von Herbst 2017 bis zum Frühjahr 2020 in Kempen, Krefeld und Tönisvors den Brustkorb mehrerer ihr anvertrauter Kleinkinder in einer Art und Weise zusammengedrückt habe, dass bei diesen eine erhebliche Atemnot oder gar ein Atemstillstand eingetreten sei. Hierbei habe sie den Tod der Kinder mindestens billigend in Kauf genommen.

Verschiedene Vorgesetzte sowie Kollegen der Angeschuldigten hatten diese als für den Beruf der Erzieherin ungeeignet beschrieben. Foto: Rheinischer Spiegel

Verschiedene Vorgesetzte sowie Kollegen der Angeschuldigten hatten diese als für den Beruf der Erzieherin ungeeignet beschrieben. Sie habe sich insbesondere den Kindern gegenüber emotions- und teilnahmslos verhalten. Ihre Ausbildung zur Erzieherin hatte Sandra M. 2018 mit der Note mangelhaft im praktischen Bereich beendet, gemeinsam mit den schulischen Leistungen erhielt die Erzieherin die Note ausreichend.
Zunächst griff der Richter nochmals den von der Angeklagten geschilderten Vorfall mit ihrem Onkel 2010 auf. Sandra M. hatte zuvor berichtet, dass dieser versucht hätte sie sexuell zu missbrauchen. Zum Vollzug mit der damals 15-Jährigen sei es jedoch nicht gekommen – mittlerweile ist der Onkel verstorben. Richter Beckers fragte detailliert nach, denn erst drei Jahre später hatte sich die 25-Jährige der Familie anvertraut. Den Besuch bei ihrer Tante und ihrem Onkel hätte sie nicht abgebrochen, sei eine weitere Nacht bei den Anverwandten geblieben. Der beisitzende Richter Conrad wies auf Unstimmigkeiten mit der Aussage der Sachverständigen hin, welche am 2. Verhandlungstag ihr Gespräch mit der Erzieherin dargelegt hatte. Ebenfalls der Staatsanwalt reihte sich in die näheren Fragestellungen ein, weshalb der Verteidiger eingriff und die weitere Befragung beendet wurde.

Als erste Zeugin hörte das Gericht am Montagmorgen eine Klassenkameradin, welche die Angeklagte bereits am ersten Tag des Schulbesuchs in Kempen kennengelernt hatte. Sie sei eine gute Freundin gewesen, täglich habe man miteinander geschrieben. Die Angeklagte habe ihr erzählt, dass sie als Kind viel gelogen habe und weshalb auch die Eltern den Vorfall mit dem Onkel nicht geglaubt hätten. Während der Freundschaft seien immer wieder Notlügen aufgefallen, darauf angesprochen sei die Erzieherin wütend geworden.
Als wahr hätte sie ihr nicht nur die sexuelle Nötigung beschrieben, sondern ebenfalls einen Vorfall, über den die Polizei im Zuge der Ermittlungen bereits berichtet hatte. Diese war auf ein Vorverfahren aus Mai 2019 gestoßen, bei dem die 25-Jährige angab ein Mann hätte ihr Verletzungen im Wald mit einem Messer zugefügt, nachdem sie versucht hätte eine Frau zu retten. Untersuchungen ergaben, dass die Beschuldigte sich diese Verletzungen selber zugefügt haben müsse. Bei einer weiteren Befragung konnte sie sich laut polizeilicher Ermittlungen nicht mehr an den Tatverlauf erinnern. Die Gerichtsmedizinerin hatte ihr zu diesem Zeitpunkt eine psychologische Unterstützung angeraten.
Erst bei der Polizei habe die langjährige Freundin erfahren, dass dieser Vorfall nicht wahr gewesen sei – ihr selbst war allerdings aufgefallen, dass ein Messerschnitt unter dem Auge, welcher genäht worden wäre, nicht existiert hätte. Bei der Polizei hatte sie angegeben, dass sich die Angeklagte, die zu diesem Zeitpunkt noch als Zeugin verhört worden war, als Heldin dargestellt habe. Zudem hatte die Angeklagte sie gebeten keine Aussage zu diesen zwei Vorfällen und ihrer Therapie zu machen. Noch bei der polizeilichen Vernehmung war sie sich sicher gewesen, dass Sandra M. keinem Kind ein Leid zufügen könnte – heute sei sie sich nicht mehr sicher.

Als weiterer Zeuge wurde der 53-jährige Onkel gehört, welchem sich die Angeklagte nach dem Vorfall im Wald anvertraut hatte. Er hatte sie zur Polizei begleitet, obwohl diese zunächst das Einschalten der Behörde verweigert habe. „Sandra schmückt ihre Geschichten gerne aus“, erklärte der Onkel gefragt nach dem Wesen der Angeklagten. Bei der Polizei hatte der Onkel vermutet, dass die Erzieherin sexuelle Probleme mit Freunden haben könne. „Die wechselten auch immer sehr schnell, wenn sie intimer werden wollten“, so der Auszug aus der gemachen Zeugenaussage. Seine Frau und er vermuteten, dass sie keine Ausrede mehr bei ihrem damaligen Freund gehabt und sich den Vorfall mit dem Onkel zusammengereimt habe um der Situation zu umgehen. Immer wieder hielten die Verteidiger Rücksprache mit ihrer Mandantin, unterbrachen die Sitzung, bis die Angeklagte neben ihren Verteidigern Platz nahm.

Von einer normalen Beziehung mit einem lebensfrohen Menschen und mit dem man lachen konnte, berichtete der damalige Freund der Angeklagten. Zu dem Zeitpunkt des Kennenlernens sei die Erzieherin arbeitslos gewesen, hätte dann zunächst die Stelle in St. Tönis und später in Viersen angetreten.
Am Tag des Vorfalls habe er sie am Nachmittag von der Einrichtung abgeholt, denn die Angeklagte wäre nicht mehr fähig gewesen selber zu fahren. Von dem Atemstillstand der kleinen Greta wurde ihm vor Ort berichtet, sie sei ihm in die Arme gefallen und hätte angefangen zu weinen. Erst am nächsten Tag berichtete sie von dem Vorfall. Sie hätte das Kind so vorgefunden, sie und eine weitere Erzieherin hätten mit den Hinweisen des Rettungsteams bis zum Eintreffen Notfallmaßnahmen vorgenommen. Nie habe sie ihm von früheren Notfällen in einer KiTa erzählt, auch nicht nach dem jüngsten Vorfall in Viersen. Sie habe ihm gesagt es wäre das erste Mal gewesen, dass ein Notarzt in eine Einrichtung während ihrer Arbeitszeit gerufen worden sei.
Es habe keine Auffälligkeiten in der Beziehung gegeben, dennoch sei die körperliche Nähe aufgrund einer Vulvodynie bei der 25-Jährigen von einem Auf und Ab geprägt gewesen.

Den Verhandlungstag schloss die Zeugenaussage einer 25-jährige Krankenschwester ab. Bereits aus der Vorschule und einer Freundschaft der Mütter kennt die Zeugin die Angeklagte. Es hätte immer wieder kleine Notlügen gegeben. Sie sei jedoch bis zu dem Vorfall im Wald nie davon ausgegangen, dass die Berichte ihrer Freundin erfunden waren. Man könne mit ihr als gute Freundin über alles reden, dennoch hätte es in der Vergangenheit immer wieder Situationen gegeben, bei der die Erzieherin „die Augen vor Problemen auf der Arbeit verschlossen hätte.“ In Gesprächen hätte sie berichtet, dass das Schreiben der Dokumentationen und die Lautstärke der KiTa zu viel geworden wären und es zeitweise zu einer Überforderung gekommen sei. Fortgeführt wird das Verfahren am 8. Dezember mit weiteren Zeugenaussagen. (nb)