Weihnachten 1944 in Viersen – Ein Licht in dunkler Zeit

Im Dezember 1944 lag Viersen unter einer dichten Decke aus Schnee. Die Häuser, die Straßen, ja, selbst die kahlen Bäume schienen in eine unheimliche Stille gehüllt. Der Krieg hatte die Stadt nicht verschont. Seit Jahren litten die Menschen unter den Luftangriffen, die ihren Alltag bestimmten. Häuser waren zerstört, Familien zerrissen, und der einst so lebendige Gereonsplatz war leer und verlassen.
Literarisches von Magdalene Walther

Literatur – Doch trotz all des Leids und der Furcht versuchten die Viersener an den Traditionen festzuhalten, die ihnen in diesen dunklen Zeiten ein wenig Trost spendeten. Weihnachten stand vor der Tür, und auch wenn der Krieg die Stadt fest im Griff hatte, wollten die Menschen das Fest der Liebe und der Hoffnung nicht vergessen.

Im Keller eines halb zerstörten Hauses an der Bahnhofstraße versammelten sich die Familien der Nachbarschaft um gemeinsam Weihnachten zu feiern. Der Raum war klein, dunkel und kalt, doch die Menschen rückten zusammen, teilten, was sie hatten, und versuchten, für einen Moment den Schrecken des Krieges zu vergessen. Unter ihnen war auch die Familie von Anna und Friedrich Huber, die mit ihren beiden Kindern, Maria und Johannes, ein kärgliches Mahl vorbereitet hatten.

Anna hatte es irgendwie geschafft, eine kleine Kerze aufzutreiben, die sie vorsichtig auf den Tisch stellte. Ihr flackerndes Licht war das einzige, was den Raum erhellte. Es war eine einfache Geste, doch in diesen Tagen bedeutete sie so viel mehr. Die Kerze symbolisierte die Hoffnung, dass der Krieg eines Tages enden würde, dass Frieden einkehren würde und dass die Familien wieder in ihren eigenen vier Wänden zusammenkommen könnten.

Friedrich, der erst vor wenigen Wochen aus dem Krieg zurückgekehrt war, saß still auf einem Stuhl und hielt seine Kinder in den Armen. Er war an der Ostfront gewesen, hatte Grauenhaftes erlebt und war froh, diesen Heiligabend mit seiner Familie verbringen zu können. Er wusste, dass es nicht viele Soldaten gab, die das Glück hatten, nach Hause zurückzukehren. Der Gedanke daran, dass seine Kameraden vielleicht nie wieder ihre Liebsten sehen würden, lag schwer auf seinem Herzen.

Die Kinder, Maria und Johannes, schauten mit großen Augen auf die Kerze. Sie wussten, dass dieses Weihnachten anders war als die vorherigen. Es gab keine Geschenke, keinen Tannenbaum und doch war es für sie etwas Besonderes. Sie hatten ihre Eltern bei sich, und das allein war in diesen Tagen ein Geschenk.

Draußen heulte der Wind, und von fern hörte man das dumpfe Grollen der Front. Doch hier, in diesem kleinen Kellerraum, war es für einen Moment friedlich. Anna begann, leise ein Weihnachtslied zu singen. Ihre Stimme war sanft und klar, und nach und nach stimmten die anderen ein. „Stille Nacht, heilige Nacht…“ erklang es durch den Raum. Die Worte trugen eine tiefe Sehnsucht in sich, eine Hoffnung auf ein Ende des Krieges und auf bessere Zeiten.

Während sie sangen, öffnete sich die Kellertür, und ein junger Soldat trat ein. Sein Gesicht war blass, seine Uniform zerschlissen. Die Menschen verstummten, doch Anna lächelte ihm zu und reichte ihm eine Handvoll Brot, das sie noch übrig hatte. Der Soldat nahm es dankbar an, setzte sich zu den anderen und schloss die Augen, während das Lied fortgeführt wurde. Für einen Moment fühlte er sich nicht mehr allein, spürte eine Wärme, die er seit langem nicht mehr gekannt hatte.

In dieser Nacht, tief im Herzen von Viersen, erlebten die Menschen eine kurze, aber wertvolle Pause vom Krieg. Der Schnee fiel weiter leise vor sich hin, und die Kerze brannte bis zum Morgen. Auch wenn die Realität des Krieges unbarmherzig war, hatten sie doch für einen Moment die Kraft der Gemeinschaft und des Glaubens gespürt. Weihnachten 1944 in Viersen blieb für alle, die diesen Abend erlebten, in Erinnerung – als ein Licht in der dunkelsten Zeit. (opm)

Zerstörte Sparkasse in der Viersener Bahnhofstraße – Foto: Privatarchiv Olaf Josten