Der geplante Gewerbepark mitten im Naturpark Schwalm-Nette sorgt für scharfe Kritik von Umweltverbänden – Gericht verhängt Baustopp.
Von RS-Redakteurin Sabrina Köhler
Niederkrüchten – Die Landesgemeinschaft Naturschutz und Umwelt Nordrhein-Westfalen e.V. (LNU) schlägt Alarm: Auf dem Gelände des ehemaligen Militärflugplatzes Niederkrüchten-Elmpt, tief im Naturpark Schwalm-Nette gelegen, sollen großflächige Industrie- und Gewerbeansiedlungen entstehen – trotz der unmittelbaren Nähe zu geschützten Wald-, Heide- und Vogelschutzgebieten. Die Naturschützer kritisieren die Pläne als „ökologisch blind“ und rechtlich „höchst bedenklich“. Mittlerweile hat auch das Oberverwaltungsgericht Münster reagiert und einen Baustopp verhängt.
Der Konflikt um das Gewerbegebiet hat sich in den vergangenen Monaten zunehmend zugespitzt. Im Zentrum steht ein ambitionierter Plan der Gemeinde Niederkrüchten, auf dem früheren Flughafengelände ein Industriegebiet von erheblichem Umfang zu entwickeln. Dieses Vorhaben steht nach Einschätzung der LNU im klaren Widerspruch zu geltendem Landes- und EU-Recht. Der Standort liegt nicht nur im Naturpark, sondern grenzt direkt an mehrere europäisch geschützte Natura-2000-Gebiete und ein Vogelschutzgebiet.
Das sagt der Landesentwicklungsplan NRW:
In sensiblen Naturgebieten, die nicht direkt an Siedlungsflächen angrenzen, dürfen laut Landesentwicklungsplan keine neuen Gewerbeflächen entstehen – es sei denn, es gibt keine Alternativen. Genau dies bezweifeln Naturschützer im Fall Elmpt.
Naturpark Schwalm-Nette:
Das Areal gehört zum grenzüberschreitenden Naturpark und liegt unmittelbar an europäischen Schutzgebieten. Es ist Rückzugsort für zahlreiche seltene Tierarten und bedeutend für den Biotopverbund zwischen Niederrhein und Niederlanden.
„Die Bundesregierung hat bereits 2007 die nationale Biodiversitätsstrategie verabschiedet. U.a. sollen zwei Prozent der Landesfläche für die Natur, damit auch für uns Menschen, geschützt werden. Diese Überlegungen sind jedem Menschen mit gesundem Menschenverstand zugänglich. Sie sind bei dem vorliegenden Projekt gröblich missachtet worden“, so die Pressemitteilung der LNU. Nach dem nordrhein-westfälischen Landesentwicklungsplan dürfen in hochwertigen Naturbereichen, die nicht direkt an bestehende Siedlungen anschließen, keine neuen Industrieflächen ausgewiesen werden – es sei denn, es liegen triftige Gründe und keine Alternativen vor. Beides sehen die Umweltverbände nicht gegeben. Im Gegenteil: Die LNU verweist auf zahlreiche besser geeignete Flächen in der Region, die eine umweltschonendere Entwicklung ermöglichen würden.
Besonders brisant: Laut LNU-Pressemitteilung sei ein bislang geheimer Vorvertrag zwischen der Gemeinde und Investoren bekannt geworden, der bereits vor Beginn des offiziellen Bauleitverfahrens abgeschlossen worden sein soll. Dieser wirft nicht nur Fragen zur Transparenz auf, sondern nährt den Verdacht, dass Teile des politischen Entscheidungsprozesses unter Ausschluss der Öffentlichkeit vorbereitet wurden.
Das Oberverwaltungsgericht Münster hat mittlerweile auf Klage der Umweltverbände reagiert und die laufenden Arbeiten vorläufig gestoppt. Die Entscheidung begründet sich unter anderem mit den fehlenden Gutachten zur Umweltverträglichkeit und zur Auswirkungen auf den regionalen Wasserhaushalt. Trotz des Gerichtsbeschlusses sollen nach Angaben der LNU einzelne Baumaßnahmen fortgeführt worden sein – ein Vorgang, den der Verband als „offene Missachtung rechtsstaatlicher Prinzipien“ bezeichnet: „Es sei hinzugefügt, dass die Missachtung des Baustopps durch die Gemeinde eine unbegreifliche Missachtung des Gerichts darstellt.“
Dabei geht es der LNU nicht darum, wirtschaftliche Entwicklung generell zu verhindern. „Es geht nicht darum, notwendige Gewerbeflächen und Arbeitsplätze zu verhindern. Im Gegenteil. Wirtschaften soll nicht verhindert werden, es muss nur an der richtigen Stelle geschehen, nicht an der falschen. Ein Ausbau, eine stringentere Nutzung vorhandener Gewerbegebiete schafft qualitätsvolle Arbeitsplätze. Arbeitsplätze für und mit dem Mittelstand statt dem Mittelstand vor Ort Konkurrenz zu machen. Eine bessere Planung verhindert Verkehrsprobleme, weitere Wohnraumverknappung, Lebensqualitätsverlust. Der von der Gemeinde geplante Standort richtet hingegen mehr Schaden als Nutzen an“, betont der Verband. Die ursprünglich kommunizierte Idee eines kleinen, ortsbezogenen Gewerbegebiets von etwa 10 bis 20 Hektar sei nachvollziehbar gewesen – doch daraus sei ein Industriepark ganz anderen Ausmaßes geworden.
Die Kritik richtet sich auch gegen die wirtschaftspolitischen Grundannahmen hinter dem Projekt. Die LNU wirft der Gemeinde vor, auf ein Modell zu setzen, das mit großflächigen Versiegelungen und niedrigen Umweltstandards auf kurzfristige Steuereinnahmen zielt – und dabei langfristige Schäden für Klima, Artenvielfalt und Lebensqualität riskiert. „Die Gemeinde Niederkrüchten ruiniert mit ihrer bisherigen Planung die Möglichkeiten einer ganzen Region an einer naturverträglichen, nachhaltigen Entwicklung von Tourismus, steigenden Besucherzahlen, Arbeit für das ortsständige Gewerbe. Die jetzige Planung verändert negativ den Kernbereich des Naturgebietes mit seiner Ausstrahlung bis ins Ruhrgebiet und die Niederlande. Der hier praktizierte Blick ausschließlich auf eng begrenzte Interessen lokaler Politiker wird den tatsächlichen Entscheidungsnotwendigkeiten nicht gerecht“, so die Einschätzung der Naturschützer.
Stattdessen fordert die LNU eine grundlegende Neuplanung: Das ehemalige Flughafengelände solle analog zum benachbarten Brachter Depot zu einem großflächigen Schutzgebiet entwickelt werden. Dies würde nicht nur internationale Verpflichtungen Deutschlands im Rahmen der Biodiversitätsstrategie erfüllen, sondern auch neue Chancen für den sanften Tourismus und regionale Arbeitsplätze schaffen – etwa in Gastronomie, Bildung und naturnaher Erholung. (sk)
