Literarisches: Liebes Christkind, lass dich fragen

Ich weiß, dass du mich liebst; denn ich bin fromm, frömmer jedenfalls als Onkel Heini. Der ist fromm, wenn du ihm Geschenke bringst. Ich bin nicht wegen der Geschenke fromm, obwohl du dieses Jahr etwas großzügiger als im vergangenen Jahr sein könntest. Das Preisschild klebte noch an den Unterhosen.
Von Peter Josef Dickers

Literarisches – Statt „Fröhliche Weihnachten“ stand „Made in China“ darauf. Ich sehe ein, dass du preisbewusst schenken musst. Aber hast du auch bedacht, wo ich die Unterhosen eintauschen kann? An wen in China hätte ich mich wenden sollen, da sie mir eine Nummer zu klein waren? Ich mache dir keine Vorwürfe. Aber wenn du die Sachen etwas näher besorgst, ist es für mich einfacher. Du wirst mich verstehen, da du mich liebst.

Liebst du auch die Türken? Im vergangenen Jahr habe ich Ali, meinen Nachbarn, zu Weihnachten eingeladen. Er kam aber nicht allein. Fünf Kinder brachte er mit. Seine Frau wollte auch nicht zu Hause bleiben. Die Eltern und Schwiegereltern erschienen ebenfalls. Sie hätten sich gefreut, dabei sein zu dürfen, sagten sie.
Ich war froh, dass sie etwas zu essen mitbrachten. Ich kannte das nicht, was sie alles heranschleppten. Kebap, gegrilltes Fleisch. In der Frittenbude soll es das geben, aber da esse ich nie. Der Grillspieß war nicht übel, obwohl die Soße scharf war. Die Frikadellen hießen Köfte oder so ähnlich. Auch die Salate musste ich probieren. Hast du schon einmal Hirtensalat gegessen? Vielleicht magst du ihn nicht wegen der Zwiebeln und dem Schafskäse. Türken feiern nicht Weihnachten, lieben kannst du sie trotzdem. Das Essen, das sie mitbrachten, war nicht schlecht.

Wen hast du lieb, Christkind? Alle? Oder nur solche, die dich auch lieben? Oder diejenigen, die es verdienen? Dann können es nicht viele sein. Meine kleine Nichte wird es schwer haben, von dir geliebt zu werden. Sie glaubt nicht an dich und behauptet, die Geschenke unter dem Weihnachtsbaum hätten schon drei Wochen vorher im Küchenschrank gelegen.

Liebst du Oma und Opa? Sie sagen, früher sei alles anders, vor allem besser gewesen. Wann war früher? Oma sagt, früher war, als sie klein war. Opa sagt, er wisse nicht, wann früher war, aber er könne sich gut daran erinnern. Was war früher anders als heute? Vielleicht hattest du es einfacher als jetzt. Es gab nicht so viele Geschäfte, in denen du Geschenke besorgen konntest. Weil Oma und Opa keinen Computer kannten, hast du ihnen auch keinen geschenkt. Neulich fragte Opa, wie man einen Computer startet. Oma hatte ihm den zum Geburtstag geschenkt. Jetzt wusste er nicht, wie man ihn in Gang bringt. Ich habe es ihm gezeigt. Als ich abends schon im Bett lag, klingelte das Telefon. Mama fragte, wer so spät noch anrufe. Opa war es. Er wollte wissen, wie er den Computer abstellt.

Liebes Christkind. Ich weiß, dass du mich liebst. Wenn du auch all die anderen liebst, dann schreibe mir, wie du das machst. Ich hoffe, ich höre von dir. (opm)

Foto: congerdesign/Pixabay

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Aus: P.J. Dickers, Esel haben keine Lobby

Peter Josef Dickers wurde 1938 in Büttgen geboren. Nach einem Studium der Katholischen Theologie sowie der Philosophie und Pädagogik in Bonn, Fribourg/Schweiz, Köln sowie Düsseldorf erhielt er 1965 die Priesterweihe. Anschließend  war er in der Seelsorge und im Schuldienst tätig, bis er sich 1977 in den Laienstand rückversetzen ließ und heiratete. Nach der Laisierung war er hauptamtlich tätig an den Beruflichen Schulen in Kempen (jetzt Rhein-Maas-Kolleg) mit den Fächern Kath. Religionslehre, Pädagogik, Soziallehre, Jugendhilfe/Jugendrecht.

„Seit der Pensionierung bin ich weiterhin engagiert durch meine Schreibtätigkeit, mein Vorlese-Engagement in diversen Einrichtungen und sonstige Initiativen. In den Sommermonaten lese ich zeitweise als „Lektor“ auf Flusskreuzfahrt-Schiffen aus meinen bisher erschienenen Büchern“, so Peter Josef Dickers, der mittlerweile in Mönchengladbach beheimatet ist.