Anti-Corona-Demos im Kreis Viersen: „Schau mit wem du gehst“

„Man spaziert nicht mit Nazis, Basis, Querdenkern & Co. – Niemals!“ ist groß auf einem Flyer zu lesen, der in Willich und Viersen verteilt wurde. Während auf der einen Seite in der Region die Anti-Corona-Demonstrationen längst Einzug gehalten haben, formiert sich ebenfalls der Widerstand, denn die Demos nicht so parteilos, wie sie selbst von sich behaupten.
Von RS-Redakteurin Claudia-Isabell Schmitz

Kreis Viersen/Kolumne – Mit dem Beginn des neuen Jahres wurde erneut zu Anti-Corona-Demonstrationen oder unangemeldeten „Spaziergängen“ aufgerufen, bei denen die sofortige Wiederherstellung der Grundrechte, die sofortige Beendigung aller Corona-Maßnahmen, eine freie Impfentscheidung oder der Einsatz eines unabhängigen Untersuchungsausschusses gefordert wird. Rund 100 Teilnehmer in Viersen, 50 in Willich sowie in Kempen und Schwalmtal-Waldniel je etwa 20 Personen demonstrierten friedlich und lautstark gegen die „Corona-Willkürmaßnahmen“ der Landes- und Bundesregierung – laut eigenen Aussagen parteilos und ohne rechtes Gedankengut.

So parteilos, wie von den Initiatoren und Unterstützern angepriesen, sind die Demonstrationen allerdings nicht. In Viersen rief ein Vorstandmitglied der Kreis Viersener Parteiortsgruppe „Die Basis“ werbewirksam in einer großen Facebookgruppe zur Teilnahme auf, daneben liefen bei der Demo Personen mit, die noch im Wahlkampf um die vergangene Stadtratswahl vereinzelt als Kandidaten und Helfer der AfD ins Rampenlicht getreten waren. In dem sozialen Netzwerk häuften sich bald die Kommentare, die Kritik an den Parteizugehörigkeiten übten. Der „Ausbreitung der verschwörungsideologischen, antiaufklärerischen, rechtspopulistischen oder rechtsextremen Gruppen im Kreis Viersen“ will deshalb nun ein verteilter Flyer einer privaten Gruppe von Kreis Viersenern entgegenwirken. Mit der Überschrift des Tagesspiegels* im vergangenen Jahr wird auf die Partei „Die Basis“ als „Partei für Energetiker, Aidsleugner und Holocaustverharmloser“ und eine Nähe zur AfD hingewiesen.

Walter (51) gehört in Willich zu den Verteilern des „Aufklärungsbriefes“. Aus Angst vor Repressalien verschiedener Teilnehmer möchte er nicht seinen ganzen Namen in der Presse lesen. „Ich stehe auch nicht vollständig hinter allen Corona-Maßnahmen“, erklärt der dreifache Familienvater, der Kontakt zu einer Demonstration in Mönchengladbach hatte, die, wie er später herausfand, von einem Parteimitglied der Basis initiiert wurde. „Meinungsfreiheit ist wichtig, aber es lassen sich mittlerweile zu viele vor den Karren der Rechtspopulisten spannen. Hier möchte ich mit einigen anderen aufklären. Wer demonstrieren will kann eine eigene Demo anmelden, ganz ohne Parteihintergrund.“ Eine aktuelle Studie der Universitäten Wien und Edinburgh zeigt auf, dass die Anzahl der Deutschen die Corona leugnen oder Anhänger von Verschwörungstheorien sind im vergangenen Jahr von 14 Prozent auf 9 Prozent gesunken ist*.

Foto: Rheinischer Spiegel

„Viele hatten plötzlich selbst Corona, haben hilflos Familienmitglieder oder Freunde an das Virus verloren. Es ist einfach nur eine Gruppe von lauten Scheinriesen die meist Falschmeldungen nutzen und dabei unterschwellig rechte Gesinnung verbreiten. Da will ich nicht tatenlos zusehen. Ich respektiere jeden, der sich aus Angst oder medizinischen Gründen nicht impfen lässt. Wir haben in unserer Gruppe Ungeimpfte und wir halten trotzdem zusammen. Diese angebliche Impf-Apartheid und Spaltung der Gesellschaft ist ein Schreckgespenst der Rechtspopulisten, das sie wie eine Sau durchs Dorf rauf und runter treiben.“

Neben beispielsweise einer neu gegründeten Facebookgruppe „Kreis Viersen – ohne AfD, Querdenker und Rechte“ wird nicht nur im Kreis Viersen, sondern bundesweit der Widerstand gegen die Demonstrationen dieser Gruppen lauter. „Ich habe diese Gruppe gegründet, weil mir diese sogenannten Spaziergänge, die mittlerweile auch den Kreis Viersen und unser Nettetal erreicht haben, zu viel werden“, erklärt die Initiatorin auf Nachfrage und berichtet, dass sie aufgrund ihres Engagements zurzeit unter anderem auf Telegram angegriffen wird. „Es geht den ‚Spaziergängern‘ schon lange nicht mehr um den Impfstatus. Sie wollen ganz andere Ziele erreichen, angefacht durch die AfD und andere rechtsgerichtete Gruppierungen, und das ist es, was mich stört.“

Aktuell macht zudem in der Region der „Brandbrief“* einer Viersenerin an Politiker, Kirche und andere Organisationen die Runde: „… Ausgerechnet in dieser Zeit gehen einige unserer Viersener Mitbürgerinnen und Mitbürger gemeinsam mit Rechtsextremen wie den selbsternannten „Freien Sachsen“, die sich bundesweit vernetzen, auf die Straße und tragen damit zur Verunsicherung mit Verschwörungsmythen, der gesellschaftlichen Spaltung und am Ende auch zur Verbreitung des Virus bei. Lasst unseren Kreis Viersen nicht erneut zum Spielplatz der Rechtsextremen und Coronaleugner werden! Nicht die laute Minderheit ist „das Volk“ – nein, in einer Demokratie zählt die Mehrheitsentscheidung. Die Mehrheit hält sich an die Maßnahmen und geht zum Impfen. Wir lassen unseren Kreis nicht von dieser lauten Minderheit spalten! Wir haben Frieden, wir haben Freiheit, wir haben Demokratie – wir haben keine Diktatur!
Gesamtgesellschaftlich ist es notwendig die Mehrheitsverhältnisse zu klären. Wir müssen Pandemie-konforme Wege und Mittel finden, die deutlich machen, dass es eine Mehrheit gibt, die bewusst nicht mit Widerstandsparolen auf den Straßen unterwegs ist. Diese Mehrheit müsste jetzt sichtbar werden. Teile der Demonstranten könnten dann Zweifel bekommen und sich auch wieder zurückziehen. Das wäre zumindest ein kleiner Schritt. Lasst uns mit Maske, Abstand und Anstand zahlreich zeigen, dass wir die Mehrheit sind, die nicht mehr schweigt.“

In Bautzen stellten sich mittlerweile 45.000 Menschen* mit einer online Erklärung gegen Corona-Protestler, in Recklinghausen setzt sich das Bündnis Es REicht für ein solidarisches Miteinander in Recklinghausen ein. „In der größten Krise der Bundesrepublik, nach dem zweiten Weltkrieg ist kein Platz für Menschen die den Systemsturz vorantreiben“, so die Initiatoren. In Haltern* knipsten gerade erst in dieser Woche die Einzelhändler die Lichter aus, als ihr Zeichen gegen die Coronaschutz-Kritiker. Garmisch-Partenkirchen, Murnau, Unna … die Liste der Gegenproteste ist lang und wird stetig länger. (cs)

* Tagesspiegel, 06.05.2021
* ZDF, 29.11.2021
* Kreis Viersen – ohne AfD, Querdenker und Rechte
* focus.de, 05.01.2022
* WDR Lokalzeit, 03.01.2022