Einzelbeförderung von geistig behinderten Schülern: Caritas kritisiert Bezirksregierung

Im Dschungel der Bürokratie: So fühlen sich betroffene Eltern, die Paul Moor-Schule und der Caritasverband als Schulträger immer öfter, wenn es um die Frage der Einzel-Schülerbeförderung geht. Die Geschichte der elfjährigen Matilda zeigt das Problem.

Mönchengladbach – Matilda kam mit einer Hirnfehlbildung auf die Welt, zudem leidet sie an Epilepsie. Im letzten Jahr musste sie 43 Tage im Krankenhaus verbringen, davor waren es 45 Tage, sagt ihre Mutter, Isabell Wyes. Täglich hat Matilda Krampfanfälle, an vielen Tagen sogar mehrmals. Dann wird sie stocksteif, alle Muskeln sind betroffen, auch die Lunge. Die Elfjährige wird blau, häufig fällt sie um, manchmal nässt sie sich ein. Die Anfälle dauern von einigen Sekunden bis zu mehreren Minuten. Sie passieren vor allem im Schlaf, in den frühen Morgenstunden oder beim Frühstück. „Oft ist Matilda noch lange danach verwirrt“, berichtet Isabell Wyes (39).

Das Mädchen besucht die 15 Kilometer entfernt liegende Paul Moor-Schule des Caritasverbandes im Hardter Wald, eine Förderschule mit dem Schwerpunkt „Geistige Entwicklung“. Normalerweise kommt Matilda um 16 Uhr erschöpft nach Hause und geht um 19 Uhr ins Bett, „damit ich sie morgens um sieben wach bekomme“, wie Isabell Wyes erzählt. Aufgrund von Matildas besonderer Situation haben sie und ihr Mann Sebastian (42) Ende März beantragt, dass ihre Tochter mit dem Taxi zur Schule gebracht werden kann, die um 8.30 Uhr beginnt. Die Eltern sind beide berufstätig und können Matilda nur ausnahmsweise fahren. Den Antrag samt ärztlicher Bescheinigung reichten sie bei der Schule ein, die ihn an die zuständige Bezirksregierung weiterleitete.

In den Monaten danach forderte die Verwaltungsmitarbeiterin in Düsseldorf immer wieder Unterlagen an, beispielsweise Einkommensnachweise der Eltern, „um den Fall abschließend beurteilen zu können“. Ein persönliches Gespräch lehnte sie ab. Selbst als Schulleiterin Marion Middendorp persönlich Unterlagen in Düsseldorf überbringen wollte, musste sie die sensiblen Daten beim Pförtner abgeben. „In der Zwischenzeit habe ich meine Tochter fünf Wochen lang selbst zur Schule gebracht, und es hat niemanden interessiert, wie ich das mit meinem Arbeitgeber hinbekomme“, sagt Isabell Wyes. Sie empfindet das Verhalten der Bezirksregierung als überzogen bürokratisch.

Für Caritas-Geschäftsführer Frank Polixa passt das ins Bild, das er seit längerer Zeit gewonnen hat. Manche Schülerinnen und Schüler seien so sehr beeinträchtigt, dass sie zeitweise oder dauerhaft einzeln, zu zweit, dritt oder viert mit dem Taxi zur Schule fahren müssen, erklärt Polixa. Die Schule organisiert die Beförderung, der Caritasverband bezahlt die Kosten und rechnet sie mit der Bezirksregierung ab. „Das hat jahrzehntelang problemlos funktioniert“, sagt der Caritas-Geschäftsführer.

Vor einigen Jahren jedoch habe die Bezirksregierung ihre Haltung plötzlich geändert. Polixa: „Es begann damit, dass sie für 2015 die Kostenübernahme für die Einzelbeförderung von fünf Schülern mit einer geistigen Behinderung ablehnte, weil ärztliche Atteste fehlten, obwohl völlig offensichtlich war, dass die Kinder und Jugendlichen einzeln befördert werden mussten. Davor mussten wir nie ärztliche Befunde vorlegen, soweit die Notwendigkeit der Einzelbeförderung offenkundig und die Kostenübernahme bereits in der Vergangenheit bewilligt worden war.“ Zudem fand die Prüfung der Bezirksregierung fünf Jahre später statt. „Einige der betroffenen Schüler waren zu diesem Zeitpunkt schon längst nicht mehr auf unserer Schule, eine Schülerin war sogar leider bereits verstorben“, sagt Polixa. Einen Rechtsstreit hat die Caritas verloren, insgesamt dürfte sie auf rund 55.000 Euro an Fahrtkosten für die Jahre 2015 bis 2019 sitzen bleiben.

Der Caritas-Geschäftsführer kritisiert, das Verfahren bleibe für den Verband undurchsichtig: „Offenbar hat der jeweilige Sachbearbeiter bzw. die Sachbearbeiterin der Bezirksregierung einen Handlungsspielraum, der mal so und mal so ausgelegt werden kann. In einem Jahr legen wir ein schulärztliches Gutachten vor, in einem anderen Jahr müssen wir zig Unterlagen beibringen. Es gibt keine klare Linie.“ Sowohl die Eltern als auch die Schule hätten den Eindruck, „dass uns immer wieder Steine in den Weg gelegt werden und wir der Bürokratie ausgeliefert sind“. Das Verhalten der Bezirksregierung habe dazu geführt, dass auch die Eltern, deren Kinder mit einem von der Schule organisierten Bus zum Unterricht kommen, jedes Jahr einen Antrag für die Refinanzierung stellen und eine ärztliche Bescheinigung beibringen müssen – „als ob eine geistige Behinderung plötzlich verschwinden würde“, wie Polixa anmerkt.

Er habe großes Verständnis dafür, dass mit Steuergeldern verantwortlich umgegangen werden müsse“, betont der Caritas-Geschäftsführer. „Das ist aber auch in der Vergangenheit passiert. Es gibt aus unserer Sicht keinen Grund für die geänderte Haltung der Bezirksregierung Düsseldorf.“ Die dortigen Verwaltungsfachleute hätten keine Ahnung von den Kindern an der Paul Moor-Schule. „Warum überlassen sie nicht einfach die Entscheidung unseren entsprechend ausgebildeten pädagogischen Fachkräften hier an der Paul Moor-Schule?“, fragt Polixa.

Auch Schulleiterin Marion Middendorp wünscht sich von der Bezirksregierung einen klaren Handlungsrahmen, „der am besten in einem persönlichen Gespräch besprochen werden kann und der vor allem die Situation der Eltern berücksichtigt“. Und sie wünscht sich eine deutlich schnellere Bearbeitungszeit, damit die betroffenen Eltern bis zu einer Entscheidung nicht völlig in der Luft hängen. Zurzeit sei für vier Schüler eine Einzelbeförderung notwendig.

Für Matilda kam nach über fünf Monaten Ende letzter Woche endlich die Bewilligung aus Düsseldorf. Die Familie Wyes atmet auf – am grundsätzlichen Problem ändere das jedoch nichts, betont die zuständige Bereichsleiterin beim Caritasverband, Hildegard van de Braak. Die Caritas hat zu dem Thema die Abgeordneten Dr. Günter Krings und Jochen Klenner kontaktiert.

Viele der insgesamt 130 Schülerinnen und Schüler der 1977 gegründeten Paul Moor-Schule haben eine geistige Behinderung, manche sind schwerst mehrfachbehindert. Die meisten Schülerinnen und Schüler können nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem normalen Schulbus fahren, sondern nutzen den sogenannten „Schülerspezialverkehr“. Das müssen die Eltern beantragen und dazu ein ärztliches Attest vorlegen. Die Schule organisiert die Beförderung und erhält die Kosten von der Bezirksregierung erstattet. (opm)

Sie wünschen sich eine unbürokratischere und klare Haltung der Bezirksregierung und eine schnellere Bearbeitung von Anträgen (v. l.): Marion Middendorp, Leiterin der Paul Moor-Schule, Caritas-Geschäftsführer Frank Polixa, Bereichsleiterin Hildegard van de Braak und Mutter Isabell Wyes.
Foto: Caritas