Großes Interesse an Aktion der Bürgerinitiative zum Erhalt der Primus-Schule

Mit dem Bürgerentscheid zur Verlängerung der Laufzeit der Primus-Schule um drei Jahre wird zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit das Handeln der Viersener Politiker auf die Probe gestellt. Alle Viersener Bürger*innen sind zur Abstimmung pro Primus-Schule aufgerufen. Mit ungewöhnlichen Aktionen zieht die Bürgerinitiative „Primus ist Zukunft“ das Interesse auf sich. 

Viersen-Dülken – In Nordrhein-Westfalen gibt es die direkte Mitbestimmung durch die Wähler*innen seit 1994. Seitdem wurden insgesamt 943 Bürgerentscheide durchgeführt. Lange gab es das Instrument nur in Baden-Württemberg, erst in den 1990er Jahren folgten andere Bundesländer, zuletzt Berlin 2005. Nach anfänglicher Skepsis und verhaltener Aktivität der Bürger*innen sind Bürgerbegehren und Bürgerentscheide mittlerweile weit verbreitet, und die direkte Mitbestimmung ist ein Grundpfeiler kommunaler Politik geworden.*

Foto: Rheinischer Spiegel/Martin Häming

Bis zum 15. August 2023, 16 Uhr, können die Viersener Bürger*innen sich aktiv beteiligen an der Entscheidung zur Verlängerung der hiesigen Primus-Schule. Zu diesem Zweck zeigen die Initiatoren der Bürgerinitiative regelmäßig Präsenz und organisieren Aktions- und Informationsstände, am vergangenen Samstag bereits zum zweiten Mal vor dem Viersener Rathaus.
Wurde die Woche zuvor der Gang zum Rathaus versüßt durch Zuckerwatte und Popcorn, so durfte dieses Mal im wahrsten Sinne am Rad gedreht werden. Wer dies tat, dem winkte mit etwas Glück ein Preis, oder sie oder er durfte ein zweites Mal sein Glück probieren. So freuten sich viele Kinder über lustige Bleistifte, Radiergummis sowie Pokémon-Figuren. Die Hauptgewinne waren Gesellschaftsspiele, Tischtennisschläger und Geschenkgutscheine von Viersener Geschäften.

Foto: Rheinischer Spiegel/Martin Häming

Nicht nur am Glücksrad verdient jeder eine zweite Chance, sondern auch in der Politik. Dass die Primus-Schule einen ungünstigen Start hatte, gehört längst der Vergangenheit an. Dennoch halten sich die aus der Anfangszeit genährten Vorurteile gegenüber dem Schulversuch hartnäckig, sodass fortwährende Aufklärung und die Richtigstellung bisher ungenannter Zusammenhänge notwendig sei, so die engagierte Bürgerinitiative. „Der Vergangenheit gehören ebenfalls die Zahlen, Daten und Fakten an, die dem Schulentwicklungsplan der Beratungsfirma biregio zu Grunde liegen, mit dem die Viersener Ratsmehrheit seinerzeit wie heute ihre Entscheidung gegen die Verlängerung der Primus-Schule zu untermauern versucht“, unterstreicht die Initiative.

Foto: Rheinischer Spiegel/Martin Häming

Obwohl die Argumentationskette dadurch offensichtlich nicht mehr haltbar sei und neuere Analysen zu anderen Ergebnissen kämen, hielte man an dieser Argumentation fest. Eine erneute Betrachtung unabhängiger Gutachter sei abgelehnt worden. „Aber wieso? Man hätte doch bei einem Zweitgutachten nichts zu befürchten gehabt, würde man von einer redlichen und objektiv gestützten Analyse des Erstgutachtens ausgehen“, fragt sich Yvonne Sturm aus der Bürgerinitiative „Primus ist Zukunft“.

Die Hinweise auf Verfehlungen in der Vergangenheit fänden sich auch im Bericht über die zweite Phase der wissenschaftlichen Begleitung des Schulversuchs. Die Problematik sei nicht durch die Schule selbst und die dortige Entwicklungsarbeit verursacht, sondern durch die von Anfang an unzureichende Unterstützung des Schulversuchs durch den Schulträger.*
„Unsere Bemühungen um Aufklärung und Transparenz sind weiterhin unbegrenzt und decken mit dem öffentlichen Interesse und der Notwendigkeit, die Unwissenheit der Bürger*innen nicht weiter zu nähren“, bekundet die Initiatorin und Mitstreiterin Isabelle Krausen, Mutter eines Schülers und überzeugt vom Konzept der Primus-Schule.

So zeigt sich die Initiative irritiert über die Stellungnahme der Bürgermeisterin zum laufenden Bürgerentscheid, in dem sie ihre eigene Argumentation untermauert durch die Behauptung, die Wissenschaftler bescheinigten der Primus-Schule in Viersen eine prekäre Entwicklung.
„Dieses Zitat liest sich einfach und plakativ, ist jedoch völlig aus dem Zusammenhang genommen“, so die Initiatoren der Bürgerinitiative. „Hätte Frau Anemüller weitergelesen, so hätte sie dieses Zitat wahrscheinlich nicht genutzt. Denn: Die Probleme am Standort Viersen und der daraus entstandene Imageschaden für PRIMUS seien nicht auf den Schulversuch selbst zurückzuführen, sondern auf Verwerfungen in der kommunalen Schulentwicklung vor Ort, also hier in der Stadtverwaltung Viersen, heißt es dort weiter“, so Anna Winz, Vertreterin der Viersener Bürgerinitiative „Primus ist Zukunft“.

Zur Stellungnahme einer Bürgermeisterin heißt es in der Satzung der Stadt Viersen: „Der/Die Bürgermeister/in kann für die in der Abstimmungsinformation gemäß Absatz 2 Nr. 2 darzustellenden Begründung des Bürgerbegehrens ehrverletzende oder eindeutig wahrheitswidrige Behauptungen des Begründungstextes herausnehmen“. Winz äußert sich dazu verwundert: „Sollte die angesprochene Redlichkeitspflicht nicht für alle Akteure in diesem laufenden Verfahren gelten? Wir konnten keine Textstelle finden, die die Bürgermeisterin von dieser ausschließt und fühlen uns daher zurecht verärgert.“

Prof. Idel fordert in einem Schreiben an Bürgermeisterin Anemüller die Richtigstellung der Zitierung aus seinem wissenschaftlichen Bericht: „Die Situation in Viersen ist ein Lehrstück dafür, dass Schulentwicklung gerade im Kontext eines Schulversuchs der verlässlichen Unterstützung durch den Schulträger bedarf. Dieser Verantwortung wurde aber leider nicht nachgekommen, obwohl die Teilnahme am Schulversuch ursprünglich vom Schulträger selbst beantragt wurde“, so Idel, der sich mit diesem Appell gegen solch eine Instrumentalisierung und der damit verbundenen falschen Darstellung des Berichts öffentlich zur Wehr setzt.

Stoßen verschiedene Interessen aufeinander, so ist es grundsätzlich schwer, einen unvoreingenommenen und wertfreien Überblick zur Situation zu bekommen. Leider wird es der Bevölkerung in politischen Debatten nicht weniger leicht gemacht, sich ein unabhängiges, transparentes Bild zu machen. „Wir von der Bürgerinitiative „Primus ist Zukunft“ wünschten uns einen Beipackzettel mit faktenbasierten Informationen, allen Risiken und Nebenwirkungen, wie dies bei der Einnahme eines Medikaments obligatorisch ist. Wäre dies der Fall, so wäre die Verlängerung der Primus-Schule Viersen längst schon gesichert“, so Krausen. (opm)

Quellen:

Mehr Demokratie e.V,: „Bürgerbegehren, Bericht 2023“, URL: https://www.mehr-demokratie.de/fileadmin/pdf/2023/Berichte/230531_MD_Buergerbegehrensbericht_2023_web.pdf

– §6 Absatz 3 der Satzung zur Durchführung von Bürgerentscheiden in der Stadt Viersen vom 13.11.2019, URL: https://www.viersen.de/C125716C0029A475/files/01-08_durchfuehrung_von_buergerentscheiden.pdf/$file/01-08_durchfuehrung_von_buergerentscheiden.pdf

– Idel et al. 2021: „Bericht über die zweite Phase der wissenschaftlichen Begleitung des Schulversuchs PRIMUS“, URL: https://bildungsklick.de/fileadmin/user_upload/www.bildungsklick.de/PDFs/PRIMUS_Bericht_2.pdf 

6 Kommentare

  1. Ihr Lieben! Die Professorinnen sagen, dass die Primus-Schule in Viersen vor die Wand gefahren ist. Und genau das sagt auch die Bürgermeisterin. Wo ist der Aufreger?

    1. Lesefux!
      Wenn Sie lesen könnten, davon gehe ich eigentlich aus wenn ich Ihren Nick sehe, würden sie verstehen und auch sehen, daß die Stadt diese prekäre Situatuon in der die Schule steckt, verursacht hat. Das hat nichts mit der Arbeit der Schule zu tun.

      1. Nun, das Thema „Arbeit der Schule“ übergehen die ProfessorInnen in ihrem Zwischengutachten völlig. Sind sie auf diesem Auge vielleicht blind?

        Und noch einmal: die ProfessorInnen sagen „Die Primusschule funktioniert in Viersen nicht“, die Bürgermeisterin sagt „Die Primusschule funktioniert in Viersen nicht“ – verschiedene Beobachter kommen zu demselben Ergebnis. Wo ist der Aufreger?

        1. @ Lesefuchs:
          Solche manipulativen Äußerungen sollten Sie unterlassen und verharmlosen Sie nicht die bewusste Indienstnahme aus wissenschaftlichen Texten. Sowohl die Bürgermeisterin als auch Sie tun es! Schämen Sie sich.

          Die öffentliche Erklärung lautet:

          Erwiderung der wissenschaftlichen Begleitung zum Schulversuch PRIMUS auf die Stellungnahme der Bürgermeisterin der Stadt Viersen im Rahmen der Informationen zum Bürgerentscheid über den Fortbestand der Primus-Schule Viersen

          Die Bürgermeisterin der Stadt Viersen bezieht sich in ihrer Argumentation gegen eine Verlängerung des Schulversuchs auf unsere Einschätzung im Bericht zur zweiten Phase der wissenschaftlichen Begleitung, dass die Situation der Primus-Schule Viersen prekär sei. Diese Indienstnahme der wiss. Begleitung ist suggestiv, weil unsere Einschätzung aus dem Kontext gelöst und unvollständig wiedergeben wird. In der Stellungnahme wird nämlich unsere Erklärung für diese Situation verschwiegen. Daher möchten wir klarstellen: Wir sehen die Problematik nicht durch die Schule selbst und die dortige Entwicklungsarbeit verursacht, sondern durch die von Anfang an unzureichende Unterstützung des Schulversuchs in Viersen durch den Schulträger. Die Situation in Viersen ist ein Lehrstück dafür, dass Schulentwicklung gerade im Kontext eines Schulversuchs der verlässlichen Unterstützung durch den Schulträger bedarf. Dieser Verantwortung wurde aber leider nicht nachgekommen, obwohl die Teilnahme am Schulversuch ursprünglich vom Schulträger selbst beantragt wurde. Wir bedauern dies sehr und möchten betonen, dass die Krise der Primus-Schule Viersen weder gegen den Schulversuch als solchen noch gegen seine Durchführung am Standort Viersen spricht!

          Prof.‘in Dr. Christina Huf, Universität Münster

          Prof. Dr. Till-Sebastian Idel, Universität Oldenburg

  2. Lieber Lesefuchs,
    anscheinend ist lesen nicht so Ihre Stärke. Schade dass sie keine Primus Schule besucht haben, die sehr engagierten Lehrer helfen STÄRKEN zu stärken und Schwächen zu schwächen.

    Außerdem finde ich Ihre Äußerungen sehr anmaßend. Sie sprechen immer noch von Kindern.

    Übrigens sind solch manipulative Praktiken wie das Rosinenpicken sehr verwerflich und schädlich, dass müssten Sie besonders gut wissen. In der Politik und gerade von der Bürgermeisterin sollten Transparenz, Ehrlichkeit und Offenheit im Umgang mit Informationen oberste Priorität haben. Solche Taktiken untergraben das Vertrauen der Menschen in politische Parteien und Institutionen und können das demokratische System negativ beeinflussen.

  3. In der heutigen Gesellschaft wird zunehmend eine „Verrechtlichung“ unserer Lebensumstände beobachtet, bei der immer mehr Aspekte unseres Lebens durch rechtliche Normen und Verfahren geregelt werden. Dies wird insbesondere im Bildungssystem deutlich. Schulen werden zunehmend als Einrichtungen betrachtet, deren primärer Zweck darin besteht, Schülern einen formalen Abschluss zu ermöglichen. Dieser Abschluss fungiert dann als eine Art „Berechtigungsschein“, der es den Schülern ermöglicht, eine weiterführende Bildung anzustreben oder sich auf dem Arbeitsmarkt zu positionieren.

    Mit dieser Ansicht wird der Abschluss zum zentralen Ziel der Schulbildung, und Schulen werden im Wesentlichen als Prüfungsfabriken wahrgenommen. In diesem Zusammenhang wird die Ausbildung oft auf das Erlernen von prüfungsrelevantem Wissen reduziert.

    Ein weiterer Aspekt ist die zunehmende Kommodifizierung der Bildung. Zusätzliche Qualifikationen, die außerhalb formeller Abschlüsse erworben werden, nehmen eine eher konsumtive Natur an. Statt notwendige Bildungsinstrumente für die individuelle Entwicklung und das lebenslange Lernen zu sein, werden sie als „Produkte“ konsumiert, die erworben werden, um den sozialen Status zu verbessern, den Lebenslauf zu bereichern oder einfach als Freizeitbeschäftigung.

    In diesem Licht werden solche Qualifikationen eher als Mittel zur sozialen Unterscheidung und Selbstverwirklichung betrachtet, ähnlich dem Konsum von Luxusgütern oder der Teilnahme an kostspieligen Freizeitaktivitäten. Sie tragen zur Konstruktion einer individuellen Identität bei und dienen als Ausdruck von Geschmack, Stil und kulturellem Kapital.

    Interessant ist, dass dieser Bildungskonsum oft mehr den Interessen der Eltern dient als denen der Kinder. Eltern nutzen die Bildungsleistungen ihrer Kinder, um ihren sozialen Status und ihre Position in der Gesellschaft zu verbessern. Die Schule wird damit zur Lieferantin für „Bildungsprodukte“, die die Eltern für sich beanspruchen. In diesem System nehmen die Kinder oft nur die Rolle von Konsumenten ein, die den Erwartungen und Wünschen ihrer Eltern entsprechen müssen.

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