Meine Schülerin war sechzehn Jahre alt, als sie tödlich mit ihrem Motorrad verunglückte. Niemand durfte bei ihrer Beerdigung anwesend sein.
Von Peter Josef Dickers
Literarisches – Meine Schülerin war sechzehn Jahre alt, als sie tödlich mit ihrem Motorrad verunglückte. Niemand durfte bei ihrer Beerdigung anwesend sein. „In aller Stille“ wollten Eltern und nächste Angehörige an ihrem Grab Abschied nehmen. „Von Beileidsbekundungen bitten wir abzusehen.“ „Auf Wunsch der Verstorbenen im engsten Familienkreis.“
Manche Todesanzeigen wollen Andere, scheinbar nicht Betroffene, aussperren. Im konkreten Fall fiel es mir schwer, das zu respektieren. Sie war Schülerin meiner Klasse, „meine“ Schülerin, Mit-Schülerin, Mitglied der Schulgemeinschaft. Eine von uns. Ich fühlte mich ausgesperrt. Ist Trauer nicht leichter zu ertragen und wird Trauerarbeit nicht einfacher, wenn sie mitgetragen wird? Hilft es, wenn man die Flucht ergreift vor denen, die mit dabei sein wollen, weil sie vielleicht dazu gehören? Macht menschliche Distanz Trauer leichter? Verhindert sie nicht im Gegenteil die Bewältigung?
Passen Tod und Trauer nicht in unsere Zeit, die Stärke fordert und Schwäche verurteilt? Juden versammeln sich regelmäßig zum Gedenken an ihre Verstorbenen auf dem Friedhof. Muslime beweinen laut ihre Toten. Sinti und Roma treffen sich am Grab ihrer Angehörigen, trinken einen Schnaps, rauchen eine Zigarette. Bei uns wird der Tod oft privatisiert. Tod wird zum Tabu. Muss man nicht auch der Trauer einen Ort, eine Heimat geben? „Scheiß Motorrad“ stand auf dem Plakat auf dem Grab meiner Schülerin. Wie hätte man das lesen sollen, wenn man nicht dabei sein durfte?
Die Eltern, die Leo verloren, ehe er das Licht des Lebens erblickte, wollten allein sein. Das habe ich verstanden. (opm)
Peter Josef Dickers wurde 1938 in Büttgen geboren. Nach einem Studium der Katholischen Theologie sowie der Philosophie und Pädagogik in Bonn, Fribourg/Schweiz, Köln sowie Düsseldorf erhielt er 1965 die Priesterweihe. Anschließend war er in der Seelsorge und im Schuldienst tätig, bis er sich 1977 in den Laienstand rückversetzen ließ und heiratete. Nach der Laisierung war er hauptamtlich tätig an den Beruflichen Schulen in Kempen (jetzt Rhein-Maas-Kolleg) mit den Fächern Kath. Religionslehre, Pädagogik, Soziallehre, Jugendhilfe/Jugendrecht.
„Seit der Pensionierung bin ich weiterhin engagiert durch meine Schreibtätigkeit, mein Vorlese-Engagement in diversen Einrichtungen und sonstige Initiativen. In den Sommermonaten lese ich zeitweise als „Lektor“ auf Flusskreuzfahrt-Schiffen aus meinen bisher erschienenen Büchern“, so Peter Josef Dickers, der mittlerweile in Mönchengladbach beheimatet ist.