Literarisches: Kirche zum Anfassen – Fehlt uns etwas?

Ein Missionar, der im brasilianischen Regenwald tätig war, stammte aus meinem Heimatort. Wenn er Heimaturlaub hatte und Gottesdienst bei uns feierte, war ich stolz, wenn ich als Messdiener dabei sein konnte.
Von Peter Josef Dickers

Literarisches – Dann wäre ich Gott besonders nahe, sagte der Pater. Davon spürte ich allerdings nichts. Dass man im Glauben gestärkt werde, wenn man den Gottesdienst besucht, blieb mir ebenfalls verborgen. Mir genügte es, das Weihrauchfass schwingen und den großen Leuchter tragen zu dürfen.

Mir gefiel es, anschaulich Kirche zu erleben. Dazu zählten die Maiandachten vor dem Marienaltar in der Kirche. Im Mai schleppte ich Fliederbüsche in die Kirche, Flieder aus unserem Garten. Der Marienaltar glich einem weißen oder violetten Fliederblüten-Meer. Kirche zum Anfassen. Kirche zum Sehen und Riechen. Glauben mit allen Sinnen. Ab und zu durfte ich mit dem Pater zusammen frühstücken. Priester zum Anfassen. Es gab Schinken und Käse, ein gekochtes Ei und Kaffee. Frühstücks-Zutaten, die ich nur vom Hörensagen kannte.

Die Kirche gewährte Halt und Sicherheit. Die Kirche war den Menschen nahe, die Menschen der Kirche. Dort fühlten wir uns sicher und geborgen. Dort erhofften wir Schutz. Der Pfarrer wusste, was gut und richtig war. Er hatte in gottesfürchtigen Landen Macht über Leben und Tod. Von der Kanzel herab verkündete er unverrückbare Wahrheiten.

Diese Zeiten will ich nicht zurück holen. Niemand wird das ernsthaft wollen. Dennoch hatten diese Zeiten und diese Kirche etwas an sich und für sich, das heute vielleicht fehlt. „Nimm das Leben wie es ist.“ Titel eines Buches von Franz Müntefering. Wir leben in Diskussions- und Protest-wütigen Zeiten. Die Welt ist im Stress. Wir sind es nicht minder. Untergangspropheten geht es so schlecht wie nie zuvor. In Zukunft wird es noch schlimmer. Wenn immer weniger Leute kommen, schließen gestresste Kirchen- Bedienstete Kirchentüren. Wer irgendwo zum Gottesdienst will, bestellt sich ein Taxi. Sollten die Menschen zur Einsicht kommen und sich an das alte Tauflied „Ich will die Kirche hören“ erinnern, lässt sich das wieder ändern. Strukturreform heißt so etwas. Demokratisch beschlossen, sagt das Bistum. Lupenreine Demokratie, würde ein ehemaliger Bundeskanzler ergänzen. Dass alle weiter Kirchensteuer zahlen, steht nicht in Frage.

Wer braucht eine solche Kirche? Wer braucht eine Kirche, die krampfhaft festzurrt, was festzuzurren ist? Wer braucht diese Kirche, wenn der Papst „in Sorge über Schritte ist, mit denen sich große Teile der deutschen Kirche vom gemeinsamen Weg der Weltkirche entfernen“? Man darf am Glas nippen, aber nicht trinken.

Vor einiger Zeit besuchte ich den byzantinischen Gottesdienst einer rumänisch-deutsch-sprachigen Gemeinde. Väter und Mütter mit ihren Kindern, Mütter mit Babies auf den Armen waren anwesend. Das Alltägliche ließen sie nicht hinter sich, sondern brachten es mit in den Kirchenraum. „Alleluia“, „Amen“, „Herr, erbarme Dich“ sangen sie. Als der Priester die in Wein getauchten Brotstücke, Leib und Blut Christi, austeilte, durften alle empfangen, Erwachsene und Kinder. Auch ich. Niemand fragte, ob ich katholisch, evangelisch oder sonst etwas wäre. Erlebte, gelebte Kirche.

Kirche zum Anfassen. Fehlt uns etwas? „Neue Engel braucht das Land.“ Einige werden protestieren. (opm)

Foto: Privat

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Peter Josef Dickers wurde 1938 in Büttgen geboren. Nach einem Studium der Katholischen Theologie sowie der Philosophie und Pädagogik in Bonn, Fribourg/Schweiz, Köln sowie Düsseldorf erhielt er 1965 die Priesterweihe. Anschließend  war er in der Seelsorge und im Schuldienst tätig, bis er sich 1977 in den Laienstand rückversetzen ließ und heiratete. Nach der Laisierung war er hauptamtlich tätig an den Beruflichen Schulen in Kempen (jetzt Rhein-Maas-Kolleg) mit den Fächern Kath. Religionslehre, Pädagogik, Soziallehre, Jugendhilfe/Jugendrecht.

„Seit der Pensionierung bin ich weiterhin engagiert durch meine Schreibtätigkeit, mein Vorlese-Engagement in diversen Einrichtungen und sonstige Initiativen. In den Sommermonaten lese ich zeitweise als „Lektor“ auf Flusskreuzfahrt-Schiffen aus meinen bisher erschienenen Büchern“, so Peter Josef Dickers, der mittlerweile in Mönchengladbach beheimatet ist.