Literarisches – Knödel in Südtirol

In der kleinen Bauernhof-Gaststätte hatte ich am frühen Nachmittag Marende bestellt, Südtiroler Bauernspeck. Von einem Appetithappen zwischen Mittag- und Abendessen war ich ausgegangen. Ich hätte eine Sippe ernähren können. Ein großer Holzteller, gefüllt mit Käse und stark geräuchertem Schinken, stand vor mir. Ich hatte keine Hungersnot hinter mir und daher keine Chance, die Fülle zu bewältigen.
Literarisches von Peter Josef Dickers

Literarisches – Ähnlich war es mir mit der anderen Spezialität ergangen, dem Knödel. Das ernährungsgeschichtliche Urgestein scheint so unverzichtbar zu sein, dass es auf keiner Speisekarte fehlte. Ich weiß nicht, wie viele Knödel-Variationen auf meinem Teller landeten. Spinatknödel und Käseknödel, Semmelknödel und Speckknödel, Zwetschgenknödel und Marillenknödel.

Auch sonstige Essgewohnheiten musste ich den hiesigen anpassen. Das Frühstück hieß „Vormess“ – vor der Messe. Es folgte der „Halbmittag“, eine Jause am späten Vormittag. Die Marende schloss sich als Brotzeit am späten Nachmittag an. Wenn ich in einem der kleinen Cafés den Apfelkuchen probieren wollte, musste ich vorher gefastet haben. Vinschger Apfelstrudel, Hefe-Apfelkuchen, Apfelweinkuchen, Versunkener Apfelkuchen – der Urlaub war zu kurz, um so viel Hunger zu haben. Auf das folgende „Nachtmahl“ hätte ich verzichten müssen, aber ich wusste nicht, wann ich wieder herkommen würde. Es schien zudem nicht aufzuhören mit Schüttelbrot und Vinschger Paarl, mit Keschten und Esskastanien, mit Schlutzkrapfen und Teigtaschen. Dazu ein Glas Wein – Marke Eigenanbau.

Foto: riddick_soad/Pixabay

Wer in diese Gegend reist, muss nicht am Hungertuch nagen. Joghurttage, Milchfest, Knödelfest, Brotmarkt, Strudelmarkt, Speckfest, Apfelwoche, Kastanienwochen sorgen dafür, dass man überlebt. Die kräftigen Speisen sagen eine Menge aus über die Menschen, die im Vinschgauer Tal leben. Sie waren nie auf Rosen gebettet. Pest, Hunger und Krieg haben ihr Leben in den vergangenen Jahrhunderten geprägt. Ein wenig spürt man davon noch bei den Bergbauern. In 1.500 m Höhe ist kein Platz für Romantik. Einige Höfe wurden zwar zu Gasthöfen umgebaut, aber viele Bergbauern sind immer noch arm mit ihren kleinen Feldern und dem wenigen Vieh. Ihre Zukunft ist wahrscheinlich nur gesichert mit asphaltierten Straßen entlang der steilen Felswände, mit renovierten Höfen und Tourismus.

Am Abend saß ich im Verkostungsraum eines ehemaligen Fohlenhofs. Ursprünglich war er vom österreichischen Kaiser als Sanitätsstation für fußkranke Pferde erbaut worden. Der erste Haflingerhengst wurde hier großgezogen, Urvater aller Haflinger. Jetzt lernte ich zusammen mit anderen fußkranken Wandern in der „Bäuerlichen Brennerei“ eine andere Kostbarkeit der Gegend kennen. Der Reichtum an hochwertigem Obst animiert dazu, Edelbrände herzustellen, ein edles Destillat zu brennen. Das Brennen, so erzählte der Brennermeister, ist ein Spiel von Können und Passion. Unterstützt wird es von der ausgefeilten Technik eines modernen Brennkessels. Ein paar „gebrannte Kostbarkeiten“ traten mit mir den Heimweg an. Die Edelbrände werden mich daheim an das „Tal der Goldenen Äpfel“ erinnern. (opm)


Aus: Peter Josef Dickers, Esel haben keine Lobby. ISBN: 9783939052043. Verlag Albert Verleysdonk. 12 Euro (nur noch Einzelexemplare verfügbar)

Foto: Winkler

Peter Josef Dickers wurde 1938 in Büttgen geboren. Nach einem Studium der Katholischen Theologie sowie der Philosophie und Pädagogik in Bonn, Fribourg/Schweiz, Köln sowie Düsseldorf erhielt er 1965 die Priesterweihe. Anschließend  war er in der Seelsorge und im Schuldienst tätig, bis er sich 1977 in den Laienstand rückversetzen ließ und heiratete. Nach der Laisierung war er hauptamtlich tätig an den Beruflichen Schulen in Kempen (jetzt Rhein-Maas-Kolleg) mit den Fächern Kath. Religionslehre, Pädagogik, Soziallehre, Jugendhilfe/Jugendrecht.

„Seit der Pensionierung bin ich weiterhin engagiert durch meine Schreibtätigkeit, mein Vorlese-Engagement in diversen Einrichtungen und sonstige Initiativen. In den Sommermonaten lese ich zeitweise als „Lektor“ auf Flusskreuzfahrt-Schiffen aus meinen bisher erschienenen Büchern“, so Peter Josef Dickers, der mittlerweile in Mönchengladbach beheimatet ist.