Literarisches: Leichte Brise

Gestern war der Fluss spiegelglatt. Kein Lüftchen regte sich. Heute ist es anders. Das Wasser bewegt sich, nicht übermäßig, nicht stürmisch. Es ist nicht in Aufruhr, zeigt keine weißen Schaumflecken, keine Wellenberge.
Von Peter Josef Dickers

Literarisches – Aber es regt sich. „Gestern war das Wetter besser“, sagt der Herr am Nebentisch. Ob er das mir oder sich selbst sagt, kann ich nicht beurteilen. Den ganzen Tag habe er im Liegestuhl auf dem Sonnendeck zugebracht. „Heute ist das vorbei.“ Der Tonfall seiner Stimme verrät, dass sich seine Begeisterung in Grenzen hält.

Jetzt registriert er, dass seine Unmutsäußerung zu mir herüber geschwappt ist. Er scheint zu erwarten, dass ich erwidere und ihm beipflichte. Er sucht Verbündete. Aber ich reagiere nicht, jedenfalls nicht wie von ihm erhofft. Stattdessen Wortstille. Keine Schaumkronen. Keine Wortberge. Mein Unmut-Nachbar hält mich vermutlich für taubstumm. Der sich regende Fluss, die leichte Brise kann niemanden unbewegt lassen. An Land scheinen die Blätter an den Bäumen zu rascheln, dünne Zweige sich zu bewegen, Fähnchen sich zu strecken. Bewegung erzeugt Regung. Auch ich habe mich zu regen.

Aber wir sind nicht an Land, sondern auf einem Fluss. Muss etwas überall gelten, was sich an einer bestimmten Stelle auf dem Globus ereignet? Muss Wind immer Gegenwind erzeugen? Kann Wind nicht verebben? Der Herr am Nebentisch versteht mich nicht. Er sagt es nicht, deutet es aber an. Eine leichte Brise umspielt seine Mundwinkel. Ob sie schäumend, bedrohlich wird? Nein, sie entwickelt sich spielerisch. Sie bleibt es. Sie verebbt.

Auf der Wasseroberfläche hat die Brise noch nicht entscheiden, ob sie Brise bleibt oder nicht. Am Nebentisch hat sie entschieden. Für Windstille. (opm)

Foto: Privat

Foto: Privat

Peter Josef Dickers wurde 1938 in Büttgen geboren. Nach einem Studium der Katholischen Theologie sowie der Philosophie und Pädagogik in Bonn, Fribourg/Schweiz, Köln sowie Düsseldorf erhielt er 1965 die Priesterweihe. Anschließend  war er in der Seelsorge und im Schuldienst tätig, bis er sich 1977 in den Laienstand rückversetzen ließ und heiratete. Nach der Laisierung war er hauptamtlich tätig an den Beruflichen Schulen in Kempen (jetzt Rhein-Maas-Kolleg) mit den Fächern Kath. Religionslehre, Pädagogik, Soziallehre, Jugendhilfe/Jugendrecht.

„Seit der Pensionierung bin ich weiterhin engagiert durch meine Schreibtätigkeit, mein Vorlese-Engagement in diversen Einrichtungen und sonstige Initiativen. In den Sommermonaten lese ich zeitweise als „Lektor“ auf Flusskreuzfahrt-Schiffen aus meinen bisher erschienenen Büchern“, so Peter Josef Dickers, der mittlerweile in Mönchengladbach beheimatet ist.