Rote Listen für Nordrhein-Westfalen: Aktualisierter Umweltindikator „Gefährdete Arten“ veröffentlicht – Rund 44,4 Prozent der untersuchten Arten sind gefährdet, bedroht oder bereits ausgestorben.
NRW – In Nordrhein-Westfalen ist weiterhin ein Großteil der beobachteten Tier-, Pilz- und Pflanzenarten akut gefährdet. Zu diesem Ergebnis kommt das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) nach der vorläufigen Auswertung der aktuellen Roten Listen und der damit verbundenen Berechnung des Umweltindikators „Gefährdete Arten“. Demnach gelten rund 44,4 Prozent der untersuchten Tier-, Pilz- und Pflanzenarten in Nordrhein-Westfalen als gefährdet. Damit ist seit der letzten Erhebung im Jahr 2011 mit damals 46,3 Prozent zwar eine leichte Verbesserung festzustellen.
„Der weltweite Artenrückgang ist neben dem Klimawandel die zweite ökologische Krise unserer Zeit. Durch eine ambitionierte Naturschutzpolitik konnten wir in Nordrhein-Westfalen zwar eine leichte Verbesserung erreichen. Aber für eine Entwarnung ist es viel zu früh. Unsere Artenvielfalt ist weiterhin dramatisch gefährdet“, sagte Umweltminister Oliver Krischer bei der Vorstellung der vorläufigen Zahlen in Düsseldorf. Besorgniserregend sei, dass auch typische Arten der Feldflur und früher ungefährdete „Allerweltsarten“ in den Roten Listen zu finden sind und hier noch keine Trendumkehr erkennbar ist. So gelten Feldsperlinge nach wie vor als gefährdet und der früher häufige Schmetterling Kleiner Fuchs wird heute bereits in manchen Regionen auf der Vorwarnliste geführt. Ziel der Landesregierung ist es, den Anteil der gefährdeten Arten bis 2030 auf 40 Prozent zu reduzieren.
Mehr als 43.000 verschiedene Tier-, Pilz- und Pflanzenarten und rund 70 verschiedene Lebensräume bilden die Grundlage für den Artenreichtum in Nordrhein-Westfalen. Dass ein aktiver Naturschutz wirkt, zeigt die aktive und erfolgreiche Wiederansiedlung von ehemals ausgestorbenen Tierarten wie dem Uhu, dem Lachs, dem Biber oder dem Wanderfalken. Es kehren aber auch viele Tiere auf natürlicher Art zurück, weil sich die Lebensräume qualitativ verbessert haben, wie zum Beispiel die Weißstörche, die Anfang der 1990er-Jahre in Nordrhein-Westfalen so gut wie ausgestorben waren und von denen im Jahr 2022 landesweit wieder 705 Brutpaare mit insgesamt 1.203 ausgeflogenen Jungvögeln nachgewiesen werden konnten, oder der Otter, der selbstständig den Weg zurück ins Münsterland gefunden hat.
Die Rückkehr von Tierarten wird möglich, wenn deren Lebensräume wiederhergestellt worden sind und damit die Tiere die entsprechenden Rückzugsräume für ein Überleben in möglichst naturnahen Biotopen finden. So konnten beispielsweise durch die Ausweisung von rund 100 Wildnisentwicklungsgebieten und weiteren Schutzgebieten wichtige Lebensräume für gefährdete Arten, wie etwa für die Wildkatze und den Schwarzstorch, geschaffen werden. Einst ausgestorbene Tier- und Pflanzenarten sind mittlerweile wieder in Nordrhein-Westfalen heimisch und in ihrem Bestand gefährdete Arten konnten sich wieder erholen. So profitieren Bachforellen und viele Libellenarten von der Renaturierung und Verbesserung der Gewässergüte von Fließgewässern – ebenso wie die Emscher-Groppe, die mit der Renaturierung des ehemaligen Abwasserkanals Emscher wieder in die gesamte Region zurückkehren kann. Das gilt gleichermaßen für unzählige Fischnährtiere bis hin zu Amphibien, die in den letzten rund 200 Jahren im Ruhrgebiet aus dem Emscher-Raum praktisch verschwunden waren. Minister Krischer: „Ein ambitionierter Naturschutz zeigt Wirkung. Aber von einer nachhaltigen Trendumkehr können wir noch nicht reden.“
Arten mit stärkerer Gefährdung
Bei den Vögeln sind Verschlechterungen vor allem bei den Arten des agrarisch genutzten Offenlandes wie zum Beispiel der Feuchtwiesen, der Arten in Heiden und Mooren festzustellen. Hierzu gehören die stark gefährdeten Arten Großer Brachvogel und Krickente (beide zuvor gefährdet) und die gefährdeten Arten Rohrweihe und Rohrammer (beide zuvor Vorwarnliste).
Verschlechterungen wurden auch bei Fischen wie dem Flussneunauge (Kategorie 1 „vom Aussterben bedroht“, zuvor Kategorie3 „gefährdet“) oder der Nase (Kategorie 3 „gefährdet“, zuvor Vorwarnliste) festgestellt. Bei Farn- und Blütenpflanzen gibt es deutliche regionale Unterschiede, wobei sich die Gefährdungslage vor allem im Tiefland weiter verschlechtert hat. 23 Arten, die noch in der zuletzt veröffentlichten Roten Liste vor gut einem Jahrzehnt als ungefährdet bewertet werden konnten, mussten in der nun vorgelegten Liste verschiedenen Gefährdungsstufen zugeordnet werden. Darunter fallen zahlreiche Arten des Grünlandes, wie zum Beispiel Weide-Kammgras (Kategorie 3 „gefährdet“, zuvor Vorwarnliste), Wiesen-Storchschnabel (Kategorie 3 „gefährdet“, zuvor ungefährdet), Berg-Platterbse (Kategorie 3 „gefährdet“, zuvor ungefährdet) oder Sumpf-Sternmiere (Kategorie 2 „stark gefährdet“, zuvor Kategorie 3 „gefährdet“).
Bewertet wurde zudem die Gefährdung von mehr als 1.700 regelmäßig vorkommenden Schmetterlingsarten, von denen mehr als die Hälfte einer Gefährdungskategorie zugeordnet sind. Neben lang- und kurzfristigen Trends in der Gefährdung reduziert sich auch die Häufigkeit früher weit verbreiteter Arten teilweise sehr stark.
So musste der Kleine Fuchs, vor 20 Jahren einer der häufigsten Tagfalter, bereits in einigen Regionen in Nordrhein-Westfalen auf die Vorwarnliste gesetzt werden.
Arten mit geringerer Gefährdung
Bei Vogelarten der Wälder und Gebüsche zeigen sich Verbesserungen. Hierzu gehören Raubwürger (Kategorie 2 „stark gefährdet“, zuvor „Kategorie 1 „vom Aussterben bedroht“), Baumpieper (Kategorie 3 „gefährdet“, zuvor Kategorie 2 „stark gefährdet“), Gartenrotschwanz (Vorwarnliste, zuvor Kategorie 2 „stark gefährdet“) und Waldlaubsänger (Vorwarnliste, zuvor Kategorie 3 „gefährdet“). Verbesserungen sind auch bei Maifischen (Kategorie 1 „vom Aussterben bedroht“, zuvor Kategorie 0 „ausgestorben oder verschollen“) zu erkennen, die durch gezielte Naturschutzmaßnahmen wieder angesiedelt wurden. Die Bestände der Bachforelle sind in NRW stabil und können als ungefährdet eingestuft werden.
Bei den Farn- und Blütenpflanzen konnten 15 bisher gefährdete Arten nun als ungefährdet bewertet werden. Hierzu gehören Roggen-Trespe, Langjährige Segge, Nadel-Sumpfbinse oder Teichlinse. Erfreulich sind Erholungstendenzen bei den Ackerwildkräutern, die in manchen Landesteilen, zum Beispiel im Sauerland, recht auffällig sind zum Beispiel Roggen-Trespe oder Acker Hohlzahn. Hier wirken sich die Maßnahmen des Vertragsnaturschutzes in Verbindung mit einem Blühstreifenmanagement positiv aus.
Auch bei den Schmetterlingen konnte die Gefährdung einiger Arten – wie Mädesüß-Perlmutteralter (Kategorie 3 „gefährdet“, zuvor Kategorie 2 „stark gefährdet“), Kleiner Perlmutterfalter (Vorwarnliste, zuvor Kategorie 3 „gefährdet“), Kleiner Sonnenröschen-Bläuling (Vorwarnliste, zuvor Kategorie 2 „stark gefährdet“) oder Brombeer-Zipfelfalter (Kategorie 3 „gefährdet“, zuvor Kategorie 2 „stark gefährdet“) – niedriger eingestuft werden. Hierbei handelt es sich allerdings um wärmeliebende Arten, die durchaus vom globalen Temperaturanstieg in Folge der Klimakrise profitiert haben könnten.
Intakte Lebensräume notwendig für Trendumkehr
Die Ursachen des Artenrückgangs und des Verlustes an biologischer Vielfalt sind häufig menschengemacht: „Hierzu gehören insbesondere eine anhaltend intensive Flächennutzung, die Zerstörung und Zerschneidung naturnaher Lebensräume und der fortschreitende Flächenverbrauch“, sagte die Präsidentin des Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV), Elke Reichert. „Auch die Auswirkungen des Klimawandels führen zu Veränderungen der biologischen Vielfalt.“ So gingen im Jahr 2022 durchschnittlich etwa 5,6 Hektar pro Tag an Lebensraum für eine Vielzahl von Pflanzen-, Pilz- und Tierarten durch neue Siedlungs- und Verkehrsflächen verloren.
Die Landesregierung will dem Verlust der biologischen Vielfalt und dem fortschreitenden Artenrückgang gegensteuern. „Ohne eine intakte Natur, ohne ein wildes und lebendiges Nordrhein-Westfalen, sind unsere Lebensgrundlagen gefährdet“, sagte Minister Krischer. „Die Landesregierung hat sich vorgenommen, mit einer Vielzahl von Maßnahmen und einer umfangreichen Finanzierung die Biodiversitätskrise wirksam zu bekämpfen und in allen Politikfeldern mitzudenken.“
Um eine nachhaltige Trendumkehr beim Artenverlust zu erreichen, muss die Qualität der natürlichen Lebensräume verbessert werden. Viele Lebensräume für wild lebende Tier- und Pflanzenarten in Nordrhein-Westfalen sind weiterhin nicht in einem guten Zustand. Rund 80 Prozent der Lebensräume im nordrhein-westfälischen Tiefland sind in keinem guten Erhaltungszustand, allen voran Moore, Grünland- und Gewässerlebensräume sowie Eichen- und Auenwälder. Im Bergland sieht es deutlich besser aus: Hier sind fast 60 Prozent in einem günstigen Erhaltungszustand. Diese Zahlen belegt der FFH-Bericht für Nordrhein-Westfalen, den das LANUV zuletzt 2019 vorlegte. Er zeichnet ein ambivalentes Bild des Erhaltungszustands der beiden großen nordrhein-westfälischen Lebensräume, dem atlantisch geprägten Tiefland (Westfälische Bucht, Niederrheinische Bucht, Niederrheinisches Tiefland) und dem kontinental geprägten Bergland (Weser- und Osnabrücker Bergland, Rheinisches Schiefergebirge).
Bei den Gewässern sind derzeit nur 8,8 Prozent aller Fließgewässer in Nordrhein-Westfalen in einem sehr guten oder guten ökologischen Zustand.
Potenzialanalyse Moorschutz vorgestellt
Ein wichtiger Baustein für den Schutz der biologischen Vielfalt ist die Renaturierung von Mooren. Als ersten Schritt hat das LANUV hierzu ein Naturschutz-Fachkonzept zur Wiederherstellung von Mooren in Nordrhein-Westfalen erstellt.
„Moore sind Alleskönner. Sie schützen nicht nur das Klima, sondern sind wichtige Lebensadern für die biologische Vielfalt und den Wasserhaushalt“, sagte Minister Krischer. „Denn Moore sind unsere bedeutendsten natürlichen Kohlenstoffspeicher, bieten Lebensraum für viele seltene und gefährdete Arten und sind wichtige Wasserspeicher.“
Die ursprüngliche Fläche der Moore ist allerdings auch in Nordrhein-Westfalen durch Landnutzungsänderungen und Entwässerungsmaßnahmen historisch deutlich zurückgegangen. Intakte und naturnahe Moorflächen finden sich heute nur noch auf Restflächen vor allem in Schutzgebieten. So nehmen Moor-Lebensraumtypen nach der europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie heute nur noch rund 1.620 Hektar ein. Beispiele sind das FFH-Gebiet „Großes Torfmoor, Altes Moor“ im Kreis Minden-Lübbecke, das „Amtsvenn und Hündfelder Moor“ im Kreis Borken oder das „Mettinger und Recker Moor“ im Kreis Steinfurt.
Nach der naturschutzfachlichen Analyse des LANUV besteht in Nordrhein-Westfalen ein theoretisches Potenzial für die Renaturierung von Mooren von insgesamt 23.260 Hektar. Von diesem Suchraum entfallen 2.240 Hektar auf eine mögliche Renaturierung von Hochmooren, die von Regenwasser gespeist werden und durch nährstoffarme Lebensräume charakterisiert sind. Das theoretische Renaturierungspotenzial für Übergangsmoore und Niedermoore, die Anschluss zum Grundwasser haben und häufig zum Beispiel in Flussniederungen vorkommen, umfasst 20.590 Hektar. Weiteres Potenzial besteht auf rund 430 Hektar, wobei der Moortyp hier indifferent ist.
„Unsere Analyse zeigt, dass in Nordrhein-Westfalen naturschutzfachlich ein großes theoretisches Potenzial für die Wiederherstellung von Mooren besteht“, erläuterte LANUV-Präsidentin Reichert bei der Vorstellung der Potenzialstudie. „Die früheren Moor-Standorte unterliegen heute aber ganz unterschiedlichen Landnutzungen. Vor einer Umsetzung von Projekten gilt es daher, gemeinsam mit den relevanten Institutionen zu prüfen, welche Flächen tatsächlich für eine Wiedervernässung in Frage kommen“. Dabei soll der Fokus vor allem auf bestehende Schutzgebiete gelegt werden, die etwa die Hälfte des Suchraums einnehmen.
Dialogprozess zum Moorschutz geplant
Mit der Vorlage der Potenzialanalyse durch das LANUV will das Umweltministerium in den nächsten Monaten einen Dialogprozess mit Stakeholdern über die weitere Umsetzung der Maßnahmen starten. Auf der „Moorschutzkonferenz NRW“ im November in Düsseldorf sollen erste Umsetzungsmaßnahmen und Fördermöglichkeiten vorgestellt und diskutiert werden. Über die Europäische Union (EU), Bund und Land stehen bereits verschiedene Förderangebote bereit bzw. werden aktuell entwickelt, die eine Pflege und Renaturierung von Moorlebensräumen unterstützen.
Über das neue Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz des Bundes stehen künftig weitere Mittel zur Verfügung. Diese gilt es gemeinsam mit den verschiedenen Partnern umfangreich zu nutzen.
Von einer erfolgreichen Wiedervernässung von Mooren profitieren auch viele seltene und gefährdete Arten. Hierzu gehört zum Beispiel die Bekassine, die heute in Nordrhein-Westfalen nur noch in drei FFH-Gebieten in den Kreisen Steinfurt und Minden-Lübbecke vorkommt. Aber auch Moorfrösche, Großlibellen wie die Große Moosjungfer, die verschiedenen Sonnentau- und Torfmoosarten oder Orchideen wie das Moor-Knabenkraut finden in Mooren wertvollen Lebensraum.
Zur Methodik:
Die Roten Listen basieren auf Erhebungen von zahlreichen ehrenamtlichen Institutionen und werden in Nordrhein-Westfalen etwa alle zehn Jahre für verschiedene Artengruppen erstellt. Aus ihnen leitet das LANUV den Indikator der „Gefährdeten Arten“ ab.
Datengrundlage des Indikators sind die Roten Listen der gefährdeten Pflanzen, Tiere und Pilze. Die Gefährdungsabschätzung für die einzelnen Arten erfolgt etwa alle zehn Jahre. In der Auswertung wurden rund 3.600 Arten berücksichtigt. Im aktuellen Erhebungszyklus sind bislang die Artengruppen der Farn- und Blütenpflanzen, Armleuchteralgen, Rotalgen und Braunalgen, Vögel, Fische und Rundmäuler, Schmetterlinge, Laufkäfer, Steinfliegen, Eintagsfliegen und Köcherfliegen abgeschlossen, weitere Artengruppen folgen in den nächsten Monaten.
Mit der Vorlage der Roten Liste NRW 2011 wurde das Veröffentlichungsformat geändert. Mit dem Start der aktuellen Erhebung werden die Roten Listen für die Einzelgruppen fortlaufend veröffentlicht und nicht mehr zu einem Stichtag. Etwa alle zehn Jahre wird auf dem Erhebungszeitraum der Umweltindikator „Gefährdete Arten“ als umfassende Klammer für alle Listen aktualisiert und veröffentlicht. Der nächste Erhebungszeitraum soll 2031 beginnen. (opm)
Nur der Mensch ist an das Aussterben der Fauna und Flora und der Meere und Flüsse der Haupttäter der Zerstörung und Ausrottung mit dem Vorsatz Geldgier. Die Spitzenpolitiker sind immer die Übeltäter und wollen Kriege seit der Geschichte. Die Gier nach mehr zerstört den Globus.