Anfang Juli ist ein neuer Haustier-Notdienstring am Wochenende in der Region gestartet. Das Angebot entlastet die Tierkliniken, die längst über dem Limit arbeiten. Warum das so ist, darüber sprach der Rheinische Spiegel mit Karl-Andreas Bulgrin, dem Präsidenten der Tierärztekammer Nordrhein.
Von RS-Redakteurin Nadja Becker
Region – In den vergangenen Jahren hat sich die Notdienstsituation für Haustiere nicht nur in der Region Niederrhein enorm verschlechtert. Immer weniger niedergelassene Tierärzte boten einen Notdienst an, während in den Kliniken die Anfragen stetig stiegen. Dass nun auch Kliniken nicht mehr unbedingt eine 24/7-Betreuung anbieten können und deshalb sogar ihren Status als Klinik zurückgeben, ist für Karl-Andreas Bulgrin, dem Präsidenten der Tierärztekammer Nordrhein, auf verschiedene Gründe zurückzuführen, weshalb er sich intensiv für die Einrichtung von Notdienstringen einsetzt.
Tatsächlich beginnt das Puzzle der verschiedenen Parameter, die gemeinsam die aktuelle, schwierige Situation hervorgerufen haben, bereits in der Universität. Der Trend zeigt bereits seit langem, dass die tierärztliche Zukunft weiblich ist. „Die Anzahl der Studienplätze ist seit 20 Jahren nahezu gleichbleibend, seit über 20 Jahren liegt der Frauenanteil an der Universität bei 90 %, sodass der Frauenanteil im Beruf immer weiter ansteigt“, erklärt Karl-Andreas Bulgrin. Was sich positiv anhört und sich bei den Damen in einer eigentlich positiven Familiengründung fortsetzt, ist für die Berufsgruppe jedoch ein Nachteil. Durch die Kinderbetreuung im Nachmittagsbereich zu Hause fallen Sprechstunden weg in der Zeit, in der die meisten Anfragen von Patienten entstehen. Hier greifen erneut die fehlenden kommunalen Strukturen einer späteren Kinderbetreuung, wodurch es für die Praxen schwierig ist passendes tierärztliches Personal für die zweite Tageshälfte vorzuhalten.
Ein weiterer Faktor sind die verschärften Kontrollen des Arbeitszeitgesetzes. An die Ruhephasen müssen sich Tierärzte strickt halten. Wer beispielsweise sonntagsnachts um 23 Uhr einen Notfall behandelt, der darf am Montagvormittag nicht arbeiten, da 13 Stunden Ruhepause vorgeschrieben sind. Ausgenommen von diesen Regelungen sind beispielsweise Humanmediziner, deren Ausgleichszeiten in Tarifverträgen geregelt sind. „Wir allerdings sind nur ein kleiner Berufsstand. Zwar bemühen wir uns um eine Tarifregelung, diese wird aber voraussichtlich nicht durchzusetzen sein“, so der Präsident der Tierärztekammer Nordrhein. „Nur wenn wir diese Tarife haben, können Tierärzte flexibel reagieren. Die Bundesregierung weigert sich bisher dennoch standhaft diese Regelungen einzuführen. Das trifft auch die Kliniken, in denen es regelmäßig nachts zu Not-Operationen kommt und wo dann am Tag danach das Personal aufgrund des Arbeitszeitgesetzes ausfällt.“
Es ist nicht verwunderlich, dass bei einem solchen Fundament der tierärztliche Notdienst für eine normale Praxis personell kaum zu stemmen ist. Zudem zeigt sich der Notdienst trotz der in der Gebührenordnung für Tierärzte festgelegten Gebühren nicht rentabel. „Die Notdienstverpflichtung ist im Heilberufsgesetz festgelegt und gilt für alle medizinischen Kammerberufe. Allerdings sind hierfür die Länder zuständig“, erklärt Bulgrin weiter. „In allen anderen Bundesländern ist diese Verpflichtung einheitlich geregelt, in NRW werden hier aber die Tierärzte nicht aufgeführt.“ Durch diese Lücke sind zwar Kliniken verpflichtet einen Notdienst anzubieten, Praxen aber nicht. Hierdurch sind die Kliniken in den vergangenen fünfzehn Jahren stetig gewachsen und konnten die Kunden gut gebrauchen, um die hohen Kosten aufzufangen. Die sinkende Belastung für die Praxen kam den Tierärzten zugute, die sich aus den Notdiensten immer mehr zurückzogen.
„Das funktionierte wunderbar, bis die Kleintierkliniken mit dem immer weiter steigenden Arbeitspensum überfordert waren“, sagt Bulgrin. „Mittlerweile wandern den Kliniken jedoch die Mitarbeiter ab, die keinen Notdienst machen wollen. Hierdurch entsteht ein verstärktes Kliniksterben. In den meisten Bundesländern ist die Anzahl der Kliniken im vergangenen Jahr weiter gesunken und es gab 2021 in ganz Deutschland keine Klinikneugründung.“
In manchen Gegenden gibt es mittlerweile bereits keinen Notdienst mehr, weshalb sich der Präsident der Tierärztekammer Nordrhein engagiert für den Neustart von Notdienstringen einsetzt. Hierzu sucht er stetig neue Gespräche mit den Kreisstellen, die einen Notdienst anstoßen können. „Zudem haben wir eine Notdienstverpflichtung für Praxen auf den gesetzlichen Weg gebracht, eine Entscheidung hierzu erwarten wir im nächsten Jahr.“
Weil gerade in der Region am Wochenende zahlreiche Patienten aus der gesamten Umgebung in die Mönchengladbacher Klinik fahren und diese längst ihr Limit überschritten hat, hat sich nun ein Notdienstring am Wochenende für Haustiere gebildet. „Hier haben sich vorbildlich 25 bis 30 Praxen zusammengetan“, lobt Bulgrin, der selbst eine eigene Tierarztpraxis geleitet hat. „Es ist etwas Neues entstanden und das entlastet die Klinik. Es ist noch nicht ideal, denn bisher wird nur das Wochenende bedient, aber es ist ein Anfang. In Krefeld gibt es bereits seit 30 Jahren einen funktionierenden Notdienst, im Kreis Viersen werben wir zurzeit um weitere Praxen. In Dülken gibt es bereits einen kleinen Notdienstring, es ist allerdings enorm wichtig, dass sich weitere Praxen anschließen.“
Nicht einfach, denn es gibt immer weniger Tierarztpraxen. Was am Niederrhein im Bereich der Landpraxis noch funktioniert, ist in anderen Regionen bereits fast ‚ausgestorben“. Der bürokratische Aufwand ist im Kleintierbereich, vor allem aber im Nutztierbereich so enorm gestiegen, dass dies für viele abschreckend wirkt – auch wenn sie eigentlich in die Landpraxis gehen wollen. Aktuell liegt das Durchschnittsalter der Landpraktiker über 60 Jahre und es ist abzusehen, dass die Situation so schwierig wird, dass Tiere auf dem Land nicht mehr ausreichend medizinisch betreut werden können.
Karl-Andreas Bulgrin wirbt ausdrücklich dafür, dass sich Tierhalter einen festen Haustierarzt suchen und nicht stetig das Angebot der Klinik bei ‚normalen‘ Untersuchungen nutzen. Dabei sollte auch die Frage nach der Notfallversorgung gestellt werden. So würde auch bei den Tierärzten Aufmerksamkeit für dieses wichtige Thema erzeugt werden.
Am 1. Juli 2022 ist mittlerweile der offizielle Notdienstring in der Region gestartet.
Wechselseitig werden die verschiedenen Praxen am Wochenende tagsüber einen Notdienst anbieten. Bei einem Notfall sollte zunächst der Haustierarzt kontaktiert werden. Bietet dieser keinen eigenen Notdienst an, stehen untenstehende Telefonnummern zur Verfügung, um notdienstbereite Praxen zu finden. Diese sind entweder direkt zu erreichen oder rufen zurück. Bei schweren Notfällen wird geraten, zur nächstgelegenen Kleintierklinik zu fahren.
Region Mönchengladbach und Neuss
Telefonnummer: 0151 64668352
Samstag von 12:00 Uhr bis 20:00 Uhr
Sonntag von 10:00 Uhr bis 20:00 Uhr
Kreis Viersen
Telefonnummer: 02162 26206
Samstag von 12:00 Uhr bis 18:00 Uhr
Sonntag von 08:00 Uhr bis 18:00 Uhr
Feiertag von 08:00 Uhr bis 18:00 Uhr
Region Krefeld
Telefonnummer: 0700 84374666
www.tierarzt-notdienst-krefeld.de
Samstag von 12:00 Uhr bis Montag 08:00 Uhr durchgehend
Feiertags 08:00 Uhr bis zum nächsten Morgen um 08:00 Uhr durchgehend
Kreis Heinsberg
Telefonnummer: 02454 9365151
www.tierärztlicher-notdienst.de
Freitag von 18:00 Uhr bis Montag 08:00 Uhr durchgehend. (nb)