Ein abgebrochener Zahn und ein Bruch des Kiefers heilen nicht von allein. Das unterscheidet diese Verletzungen von Prellungen und Hämatomen – und macht Zahnmediziner zu wichtigen Anlaufstellen für Opfer von häuslicher Gewalt. Denn häufig sind sie die Ersten, manchmal auch die Einzigen, die von den Betroffenen konsultiert werden.
NRW – Die Zahl der Betroffenen ist nach wie vor hoch: Jede vierte Frau wird im Verlauf ihres Lebens mindestens einmal Opfer häuslicher Gewalt. 60 Prozent der Verletzungen durch häusliche Gewalt finden sich im Bereich von Gesicht, Mund und Kiefer.
Um die Opfer von Gewalt besser unterstützen zu können, haben die Zahnärztekammern Nordrhein sowie Westfalen-Lippe und die Kassenzahnärztlichen Vereinigungen Nordrhein sowie Westfalen Lippe einen sogenannten Forensischen Befundbogen erstellt, der den Zahnärztinnen und Zahnärzten hilft, Verletzungen zu dokumentieren.
Diese frühzeitige und vor allem rechtssichere Dokumentation ist für eine spätere strafrechtliche Verfolgung und damit auch für den Weg heraus aus der Gewaltspirale wichtig: „Einige Verletzungen, insbesondere im Schleimhautbereich der Mundhöhle, sind nur wenige Tage nachweisbar“, berichtet Dr. Ralf Hausweiler, Präsident der Zahnärztekammer Nordrhein, „zudem ermöglicht der Befundbogen den Opfern eine vor Gericht verwertbare Dokumentation der Gewalteinwirkungen.“
Darüber hinaus können Zahnärzte den Geschädigten Anlaufstellen zur Unterstützung vermitteln – oder im Fall von Kindern seit kurzer Zeit auch direkt das Jugendamt informieren, wenn sie eine Kindeswohlgefährdung vermuten. Um die Kollegenschaft für dieses wichtige Thema und vor allem einen empathischen Umgang mit Opfern von Gewalt zu sensibilisieren, bietet die Zahnärztekammer Nordrhein regelmäßig Fortbildungen zu diesem Thema an. „Opfer von Gewalt haben häufig große Angst, deshalb ist es wichtig, dass sie sich uns Zahnärztinnen und Zahnärzten anvertrauen können“, sagt Dr. Ralf Hausweiler.
Unterstützt wird das Engagement der Zahnärzteschaft von Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen. „Zahnmedizinerinnen und Zahnmediziner sind wichtige Akteure im Gesundheitswesen, wenn es um das Erkennen von häuslicher Gewalt oder Kindesmisshandlungen geht. Gerne habe ich daher die Schirmherrschaft für das Projekt ‚Gemeinsam gegen häusliche Gewalt‘ und den Forensischen Befundbogen übernommen. Der Befundbogen kann, nicht nur für den Bereich der häuslichen Gewalt zwischen Erwachsenen, sondern auch bei Kindesmisshandlungen, ob nun in oder außerhalb des häuslichen Umfelds, einen wichtigen Teil zur Aufklärung der Tat beitragen und damit vielleicht auch weiteres Leid der Opfer verhindern“, erklärt Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann.
Auch Gleichstellungsministerin Josefine Paul unterstützt das Projekt: „Der Kampf bei Gewalt gegen Frauen und die Unterstützung der Betroffenen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und Verantwortung. Für betroffene Frauen ist das eigene Zuhause und das unmittelbare soziale Umfeld eben gerade kein sicherer Ort. Mindestens jede vierte Frau erlebt im Laufe ihres Lebens Gewalt durch einen Partner oder Ex-Partner. Gewalt hat aber viele Erscheinungsformen und reicht von Kontrolle und psychischer Gewalt über sexualisierte bis hin zu physischer Gewalt. Geschlechtsbezogene Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist keine Privatsache und wir werden sie als Gesellschaft nicht tolerieren. Deshalb begrüße ich es sehr, dass Zahnärztinnen und Zahnärzte dabei helfen wollen, erlittene Misshandlungen zu dokumentieren, und damit gezielt Opfer von häuslicher Gewalt dabei unterstützen, sich zu wehren. Der Befundbogen ist dabei ein weiterer Baustein beim Ausbau des Gewalt- und Opferschutzes, damit endlich alle Frauen und Mädchen in Deutschland ein Leben frei von Gewalt führen können.“
An der Konzeption des Fragenbogens war maßgeblich Dr. Dr. Claus Grundmann, Vorstandsmitglied des Arbeitskreises für Forensische Odonto-Stomatologie (AKFOS) und Mitarbeiter des Gesundheitsamtes Duisburg, beteiligt. Im Weiteren wird das Projekt vom Kinderschutzbund und dem Gesundheitsamt der Stadt Düsseldorf unterstützt. (opm)