St. Joseph: Von der Pfarrkirche zur Viersener Grabeskirche

Viersens lebendige Geschichte … Straßen und Plätze erzählen
Von RS-Redakteurin Sabrina Köhler

Viersen – Die St. Joseph-Kirche im Viersener Ortsteil Rintgen blickt auf eine lange und ereignisreiche Geschichte zurück. Was als Pfarrkirche begann, hat sich durch die Jahrhunderte zu einem besonderen Ort des Gedenkens gewandelt: einer modernen Grabeskirche, die Tradition und Zukunft miteinander verbindet. Ihre Geschichte ist geprägt von bedeutenden Bauphasen, Zerstörung und Wiederaufbau sowie tief verwurzelten Gemeindestrukturen.

Die Ursprünge der St. Joseph-Kirche reichen zurück ins Jahr 1879, als Oberpfarrer Franz Josef Schroeteler anlässlich seines 50-jährigen Priesterjubiläums die beeindruckende Summe von 6.000 Mark erhielt, um eine neue Kirche in Viersen zu errichten. Nach jahrelangen Vorbereitungen, darunter die Gründung eines Bauvereins und die Sammlung von Beiträgen durch die Gemeinde, konnte am 19. März 1889 der erste Spatenstich erfolgen. Bereits am 17. November 1891 wurde die neugotische Backsteinbasilika durch den Erzbischof von Köln, Philipp Kardinal Krementz, feierlich geweiht.

Foto: Rheinischer Spiegel/Martin Häming

In den Jahren durchlief die Kirche zahlreiche folgende Veränderungen und Anpassungen. So wurde bereits 1895 das Rektorat zur Pfarrei erhoben, und 1899 erhielt St. Joseph ihre erste Orgel sowie ein beeindruckendes Altarbild des Künstlers Professor Lauenstein. Immer wieder musste die Kirche Renovierungen und Erweiterungen über sich ergehen lassen, die teils aus Notwendigkeit, teils aus Modernisierungswünschen heraus erfolgten. Ein Blitzschlag im Jahr 1922 verursachte schwere Schäden am Dach der Kirche, die mühevoll behoben werden mussten.

Besonders gravierend für die Kirche und die Gemeinde war die Abgabe ihrer Glocken während des Ersten und Zweiten Weltkriegs. Die Bronzeglocken wurden von der preußischen Regierung zur Waffenproduktion benötigt, was das spirituelle Leben der Kirche stark beeinträchtigte. Doch die Gemeinde ließ sich nicht unterkriegen: 1950 weihte man erneut ein Geläut mit vier neuen Glocken, die den Namen Heiliger Persönlichkeiten wie Maria und Michael trugen.

Foto: Rheinischer Spiegel

Der bedeutendste Wandel in der Geschichte der Kirche erfolgte Anfang des 21. Jahrhunderts. Durch den Umbau zur Grabeskirche hat St. Joseph eine neue Funktion als Ruhestätte für Urnenbestattungen übernommen. Dieser Schritt war eine Antwort auf die sich verändernde Bestattungskultur, die sich zunehmend von der klassischen Erdbestattung mit Sarg hin zur Urnenbeisetzung entwickelt. Die Umgestaltung wurde 2012 mit der Weihe des neuen Altars und der Benediktion des Columbariums abgeschlossen. Nur zwei Tage später, am 4. Juni 2012, fanden die ersten Bestattungen in der neu gestalteten Kirche statt.

St. Joseph ist ein beeindruckendes Beispiel für die neugotische Architektur des späten 19. Jahrhunderts. Der Kirchturm, der mit einer Höhe von 89 Metern das Stadtbild von Viersen prägt, ist ein herausragendes Element dieser Baukunst. Die dreischiffige Basilika mit ihrem Kreuzrippengewölbe, den Spitzbogenarkaden und den fein ausgearbeiteten Maßwerkfenstern im Seitenschiff sind ein architektonisches Juwel. Besonders bemerkenswert ist das Hauptportal mit seinen filigranen Archivolten, die von Akanthusblüten und Medusenhäuptern verziert werden.

Auch die Innenausstattung der Kirche spiegelt die reiche Geschichte wider. Der Taufstein, ein Geschenk der Junggesellen von Rintgen aus dem Jahr 1905, wurde an prominenter Stelle im Beisetzungsbereich aufgestellt. Ebenso bedeutend ist die Mirakelsmadonna aus dem 15. Jahrhundert, die heute in der ehemaligen Taufkapelle einen besonders besinnlichen Ort für stille Gebete darstellt.

Foto: Rheinischer Spiegel

Ein weiterer Blickfang ist der Kreuzabnahme-Altar in der rechten Seitenkapelle. Hier wird besonders den Opfern des Zweiten Weltkriegs gedacht, und im Zuge des Umbaus zur Grabeskirche wurde dieser lange Zeit verdeckte Altar wieder freigelegt, um seiner ursprünglichen Funktion gerecht zu werden.

Die Kirche schützt auch einen beeindruckenden Kreuzweg des Künstlers H. Koulen aus Heinsberg, dessen erste Stationen bereits 1895 eingeweiht wurden. Besonders die 12. Station, die den Tod Jesu am Kreuz, zieht die Blicke der Besucher auf sich.

Heute ist die Grabeskirche St. Joseph weit mehr als nur ein Ort des Gedenkens. Sie ist ein Symbol für den Wandel und die Anpassung an die Bedürfnisse der modernen Gesellschaft, ohne dabei ihre historischen Wurzeln zu verlieren. Der Heilige Joseph als Namenspatron der Kirche steht für die Brücke zwischen Diesseits und Jenseits, und der Umbau zur Grabeskirche unterstreicht diese spirituelle Dimension.

Die Geschichte von St. Joseph ist ein lebendiges Zeugnis für die Kraft des Glaubens und den Willen einer Gemeinde, ihr Gotteshaus immer wieder neu zu beleben. In einer Zeit, in der traditionelle Bestattungsformen an Bedeutung verlieren, bietet die Grabeskirche eine würdevolle und stimmungsvolle Alternative zum Friedhof – und bleibt dennoch tief in den Herzen der Menschen verwurzelt. (sk)

Foto: Rheinischer Spiegel