Viersen: Kampf um Bildungsreform durch Bürgerentscheid

Es krankt am deutschen Schulsystem. Im internationalen Vergleich sieht es für die Leistungen der Schüler:innen an deutschen Schulen nicht gerade rosig aus. Forschung und Lehrkräfte können eine Vielzahl von Ursachen dafür nennen, aber auch ohne wissenschaftliche Studien fällt sofort auf, dass sich das deutsche Schulsystem in den letzten 100 Jahren kaum verändert hat, wohingegen die Gesellschaft eine rasante Entwicklung durchlaufen hat.

Viersen – Da Bildung Ländersache ist, gibt es eine große Bandbreite an Versuchen, das deutsche Schulsystem zu modernisieren. Ein bereits sehr erfolgreicher Ansatz wird seit dem Schuljahr 2013/2014 von fünf PRIMUS-Modellschulen in NRW umgesetzt. PRIMUS steht für gemeinsames Lernen vom Primar- bis zum Sekundarbereich. Die Kinder besuchen in jahrgangsübergreifenden Klassen eine Schule von der ersten bis zur zehnten Klasse.

Im vergangenen Jahr mussten alle fünf Standorte der PRIMUS-Modellschule entscheiden, ob sie den Schulversuch weiterführen wollen. Bis auf den Standort in Viersen haben sich alle Städte mit großer Mehrheit für den Erhalt ihrer PRIMUS-Schule entschieden und die bereits auf Landesebene vorgeschlagene Verstetigung weiter vorangetrieben.
Jedoch ist auch in Viersen die letzte Entscheidung um die PRIMUS-Schule noch nicht gefallen. Eltern und Unterstützer:innen der Schule kämpfen in einem Bürgerentscheid um den Erhalt der Standortes in Viersen, um so rechtswirksam die Entscheidung des Rates zu kippen. Für den Erfolg müssen vom 11. Juli bis zum 15. August mindestens 15% der Wahlbeteiligten in einer einfachen Mehrheit mit Ja abstimmen.

Die Bürgerinitiative „PRIMUS ist Zukunft” hat dafür bereits in den Wahlkampfmodus geschaltet und startet am ersten Wahlsamstag am 15. Juli zwischen 10 und 13 Uhr mit einer groß angelegten Aktion vor dem Rathaus der Stadt, um die etwa 9400 nötigen Ja-Stimmen zu sammeln. Stefan Winz, einer der Initiatoren des Bürgerbegehrens, wird dafür in glänzender Ritterrüstung und mit Schutzschild für die Verteidigung der PRIMUS-Schule antreten. Die Bürgerinitiative will mit bunter Zuckerwatte, Popcorn und Luftballonschwertern die Viersener zum gemeinsamen Wählen einladen. Auch an die Mitarbeiter:innen des Wahlbüros wurde gedacht: „Uns ist bewusst, dass der Bürgerentscheid auch für die Stadtverwaltung mit großem Aufwand verbunden ist. Daher haben wir uns ein kleines Dankeschön überlegt.” Mehr wollte Stefan Winz zu diesem Zeitpunkt noch nicht preisgeben, da man die Mitarbeiter:innen im Wahlbüro überraschen möchte.

Dass die Initiative gut aufgestellt ist, hat sie bereits bei der Unterschriftensammlung für das Bürgerbegehren unter Beweis gestellt. Um den Erhalt der PRIMUS-Schule erneut auf die Tagesordnung des Rates zu bringen, mussten mindestens 3791 Unterschriften gesammelt werden. Am Ende der Frist konnten die Initiatoren über 6000 Unterschriften einreichen.

Alle Parteien des Viersener Stadtrates befürworten das pädagogische Konzept der PRIMUS-Schule. Aufgrund des Schulentwicklungsplans des externen Beratungsunternehmens biregio haben sich CDU, SPD und FDP, und damit die Mehrheit des Viersener Rates, jedoch gegen eine Verlängerung des Schulversuchs entschieden. Sowohl von den Grünen als auch vom Institut für pädagogische Beratung (Dr. Michael Wild) wird der Schulentwicklungsplan als unvollständig und fehlerhaft kritisiert. Eine Überprüfung der Fakten wurde jedoch abgelehnt, obschon die Verwaltung zwischenzeitlich selbst zum Beispiel mit anderen Schülerzahlen arbeitet als das biregio Gutachten.
Der Erfolg der PRIMUS-Schulen zeigt sich unter anderem in besseren Leistungen der Schüler:innen.

Die Schulabschlüsse der Kinder zur zehnten Klasse übertreffen nachweislich die Schulwahlempfehlungen, die sie zur vierten Klasse erhalten haben. Das PRIMUS Konzept zeichnet sich durch folgende Punkte aus:
• Die Schüler:innen werden nicht nach der vierten Klasse auf Hauptschule, Realschule und Gymnasium aufgeteilt.
• Sie lernen länger gemeinsam jahrgangsübergreifend von der ersten bis zur zehnten Klasse, was dem skandinavischen Modell entspricht.
• Die Kinder lernen selbstgesteuert mit regelmäßiger, individueller Rückmeldung von Lehr- und Erziehungsfachkräften, sowie Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen.
• Die Erziehungsfachkräfte der offenen Ganztagsbetreuung sind in den Unterricht integriert.
• Es gibt keine Noten bis zur 8. Klasse, sondern ausführliche Lernentwicklungsberichte.
• Soziale und demokratische Bildung sind gelebte Werte und Ziele.

Die wissenschaftliche Begleitung der PRIMUS-Schulen erfolgt seit 2015 durch die Universitäten Oldenburg und Münster. Die beiden bisherigen wissenschaftlichen Zwischenberichte belegen die Wirksamkeit neuer Lernansätze hinsichtlich der Entwicklung des Leistungs- und Sozialverhaltens der Schüler:innen.

Deshalb hat der Landtag NRW im Frühjahr 2022 die Verlängerung des Schulversuchs im Schulgesetz verankert. Und dies aus gutem Grund: Nicht allein die guten Forschungsergebnisse sprechen für ein Weitermachen – der Schulversuch ist deutschlandweit von zukunftsweisendem, bildungspolitischem Interesse für die gesamte Schul- und Unterrichtsentwicklung.

„Seit Beginn des Bürgerbegehrens hat unsere Initiative mehr Aufklärungsarbeit zur PRIMUS-Schule geleistet, als die Stadt in vielen Jahren zuvor“, so Stefan Winz. Durch den breiten Zuspruch der Viersener:innen bereits während der Unterschriftensammlung, sehen die Initiatoren des Bürgerbegehrens dem Entscheid positiv entgegen, genügend Ja-Stimmen für den Erhalt der Schule in Viersen zu gewinnen. (opm)

Foto: PRIMUS ist Zukunft

15 Kommentare

  1. Fakt ist leider: die Primusschule funktioniert in Viersen nicht.

    Die Dülkener Eltern schicken ihre I-Dötzchen lieber auf eine klassische Grundschule (sie werden wissen warum), und nach der vierten Klasse wechseln viele Primus-Schüler auf eine andere weiterführende Schule (auch sie werden wissen warum).

    Und weil die Primusschule in Viersen nicht funktioniert, sollte man sie nicht verlängern.

    1. Liebe Kohlmeise,

      mich würde interessieren, WESHALB die Primus-Schule nicht funktioniert. Dass die Eltern anders entscheiden, reicht mir als Begründung nicht aus, denn auch Eltern neigen dazu, alles so zu machen wie es bisher gemacht wurde.

      1. Hoppla Blaumeise,

        Du schreibst „Eltern neigen dazu, alles so zu machen wie es bisher gemacht wurde“?

        Da irrst Du Dich!

        Eltern erkundigen sich was Schulen zu bieten haben, sie gehen zu Tagen der offenen Tür usw., sie hören sich um bei Eltern, die ihre Kinder schon dort haben …

        … und dann entscheiden sie welche Schule FÜR IHR KIND die beste ist.

        Und bei der dreizügig angelegten Primusschule reicht das eben nur für eine nicht ausgefüllte Zweizügigkeit.

        1. Ich war in 2 weiteren Schulen und habe mir die Schulkonzepte angehört. Ein eindeutiges Ja zur Primus Schule. Die einzige der 3 Schulen (die ich mir angeguckt habe) die unsere Kinder und deren Zukunft im modernen Zeiten sieht und unterstützt. Die anderen beiden Grundschulen überzeugten mit Methoden der 90er und definitiv nicht mit Blick auf die Kinder, sondern nur auf deren Leistungsfähigkeit.

    2. Nur gut das die wissenschaftliche Begleitung und andere Experten für Schulentwicklung etwas ganz anderes sagen! Mal davon abgesehen das die Gründe für den steinigen Weg in Viersen nicht durch den Schulversuch verursacht werden. Das man sich seitens der Politik und Verwaltung nicht an die Lösung diese Schwierigkeiten gesetzt hat ist beschämend, besonders da es in den Kommunen der anderen Standort gemacht wurde. Aber das ist nun mal so, die Schule hat es auch so geschafft uns zu überzeugen und deshalb stehen wir nun kurz von einem Bürgerentscheid.

      Veränderung ist nie leicht und manchmal auch unnötig erschwert, aber es ist nötig dein Versuch zu wagen und Ergebnisse abzuwarten bevor mal aufgibt!

    3. Hallo Kohlmeise!
      Welche Informationen über den Abgang nach Klasse 4 haben Sie? Informieren Sie sich bitte über genaue Zahlen. Dann werden Sie ganz schnell Ihre Aussage revidieren und feststellen das die Primus Schule sehr wohl funktioniert und kaum Kinder nach Klasse 4 die Schule wechseln.

  2. Hallo liebe Kohlmeise, das sind aber wilde Behauptungen. Mit welchen Zahlen kannst du denn diese belegen? In diesem Jahr wechseln zum 5. Schuljahr lediglich 6 Schüler auf eine andere Schule. Woher denn die Behauptung, die Dülkener schicken ihre Kinder lieber auf die klassische Grundschule? Die Primus-Schule kann pro Jahr vielleicht noch eine Handvoll mehr Schüler aufnehmen, damit die Klassen dort auch rappelvoll werden, d.h. die Schule funktioniert sehr wohl. Ein dritter Zug ist nie zustande gekommen – der Platz wurde aber auch seitens der Stadt nie geschaffen.

  3. Eine Schule, auf die bald 450 Schüler gehen und sich in diesem Jahr auch über 50 neue Schüler angemeldet haben – obwohl ihr Erhalt bedroht ist – funktioniert nicht nur sondern leistet darüber hinaus auch einen wichtigen Beitrag für eine vielfältige Schullandschaft, für eine Bildungsreform und eine Alternative zur Gesamtschule (die bereits Schüler abweisen muss).
    Man stelle sich vor was passieren würde, wenn Verwaltung und CDU/SPD die Schule endlich verdientermaßen unterstützen würden.

    Das mit dem Wechsel nach der vierten Klasse stimmt auch einfach nicht mehr und ist Schnee von vorgestern – die Haltkraft hat sich signifikant verbessert. Nur 6 Schüler/innen wechseln diese Jahr die Schule nach der vierten Klasse.

  4. Primus funktioniert. solche Äußerungen treffen nur Leute die nicht an der Schule sind und den falschen Informationen der „Gegner“ folgen. es gibt mittlerweile weniger wechsler als am Anfang. Primusschule-viersen ist Zukunft, man muss sie nur zulassen!

  5. Es gibt tatsächlich Fakten, die besagen, dass 54 Kinder die 5. Klasse besuchen werden und dass es momentan keine Alternative für leistungsschwächere Kinder in Dülken gibt, falls die Primusschule wegfällt. Diese Situation wirft die Frage auf, wie man sicherstellen kann, dass alle Schülerinnen und Schüler angemessene Bildungsmöglichkeiten erhalten. Es ist wichtig, dass alle beteiligten Parteien zusammenarbeiten, um alternative Lösungen zu finden, die den Bedürfnissen auch leistungsschwächeren und besonderen Kinder gerecht werden. Wieso wird wieder an Räumlichkeiten für Kindern gespart anstatt allen Schulen genug räumliche Kapazitäten zu bieten? Wieso hat die Primus Schule bereits jetzt doppelstöckige Containerlandschaften, wenn die Anmeldezahlen zu gering sind. Es ist wichtig, sicherzustellen, dass die notwendige Infrastruktur wie Gebäude und Lehrerressourcen angemessen vorhanden sind, bevor Eltern überhaupt weitere Kinder anmelden können. Solange das nicht der Fall ist, braucht man auch nicht über die Anmeldezahlen zu diskutieren. Durch das Auslaufen der Primus Schule, wird nur die räumliche Situation gelöst. Die Klassen werden überall gleichmäßig aufgefüllt und alle Kinder werden unter der Situation leiden, da vollere Klassen. Außerdem haben die Eltern dann keine Anspruch auf einen bestimmten Platz. Die Kinder werden einfach zugeordnet.

    1. Hallo Peter,

      wenn Du noch dreimal „leistungsschwächere Schüler“ und „Primusschule“ in einem Satz unterbringst, hast Du den Ruf dieser Schule in Dülken komplett ruiniert!

      Die Primusschule ist dem Konzept nach eine vollwertige Grund- und weiterführende Schule, keine verkappte Förder- und Hauptschule! Aber genau das suggerierst Du mit Deinem Beitrag!

      1. Entschuldige bitte, wenn mein vorheriger Beitrag den Eindruck erweckt hat, dass die Primusschule eine verkappte Förder- und Hauptschule ist. Das war nicht meine Absicht. Die Primusschule hat ein umfassendes Konzept, das sowohl Grund- als auch weiterführende Schulelemente beinhaltet. Ich wollte lediglich betonen, dass sie auch Schülern mit unterschiedlichen Leistungsstufen offensteht. In Dülken gibt es leider außer der beiden Gymnasien keine alternative Schule im Sekundarbereich. Vielen Dank für deine Klarstellung!

  6. Peter und Lesefuchs – bitte nicht streiten ….
    Ihr habt ja beide recht. Peter meint, dass es neben dem Gymnasium keine Alternative im Bereich der 5.-10. Klasse in Dülken gibt. Das ist Fakt! Die PRIMUS-Schule ist eine Schule für Gymnasiasten, Realschüler:innen, Hauptschüler:innen, Schüler:innen mit besonderen Herausforderungen – eben eine moderne Inklusive Schule für alle Heranwachsenden. Welcher Weg sich am Ende der 4. Klasse eröffnet, kann man bei der Anmeldung an einer Grundschule nicht wissen. Es ist aber ja kein Geheimnis, dass sich viele Eltern eine gymnasiale Empfehlung erhoffen oder sogar erwarten. Daher weckt die Aussage ‚schwächere Schüler:innen‘ sicher die Sorge, es handele sich an der PRIMUS-Schule ausschließlich um Schüler:innen mit besonderen Bedarfen. Das ist falsch! Ich verstehe Peter so, dass er schwächere Leistungen bei allen Heranwachsenden sieht, die keinen gymnasialen Standard in Klasse 4 erreichen. Genau das spielt für Primus keine Rolle. Hier weiß man, dass sich Kinder nicht nach einem Zeitplan im Gleichschritt entwickeln und geben den Schüler:innen mehr Raum, Zeit und individuelle Unterstützung beim Lernen. Eben ein modernes, zeitgemäßes Lernkonzept, das Viersens Unterstützung und Vertrauen verdient.

  7. Wieso wird immer um den heißen Brei herumgeredet? Im Wesentlichen geht es in Viersen doch um Geldmangel.
    Kreuzherrenschule zu teuer im Unterhalt also weg damit (Wurde ja gemacht) Paul-Weyers-Schule, Primusschule und Gesamtschule zu klein und bis auf den GS-Neubau ebenfalls zu teuer.
    Für Neubauten, die auch ökologisch gebaut werden sollten und eine spätere alternative Nutzung zulassen, wenn Schülerzahlen sinken, ist kein Geld da. Digitalisierung?
    Hauptschulen Viersen-Mitte und Beberich?
    Kostenlos wird es weder adäquate Gebäude noch Lehrpersonal geben.
    Wo ist ein Finanzierungskonzept?
    Wo ist die Beteiligung der Wohlhabenden an der Gemeinschaft?
    Was ist es uns Bürgern wert?

  8. Es ist klar, dass Eltern sich über die verschiedenen Schuloptionen informieren und letztendlich die Entscheidung treffen, welche Schule für ihr Kind am besten geeignet ist. Dabei spielen viele Faktoren eine Rolle, von der pädagogischen Philosophie der Schule, über die Möglichkeiten für individuelles Lernen, bis hin zu logistischen Fragen wie Standort und Schulweg.

    Doch anstatt eine Schule als gescheitert zu erklären, weil sie momentan unter bestimmten Herausforderungen leidet, sollten wir versuchen, sie zu verbessern und zu stärken. Es ist nicht ungewöhnlich, dass innovative Bildungskonzepte wie die der Primus-Schule auf Widerstand stoßen und Zeit benötigen, um sich zu etablieren und anzupassen.

    Darüber hinaus sollten wir uns daran erinnern, dass Bildung nicht nur ein Prozess des Lernens, sondern auch der Entwicklung ist. Jedes Kind hat das Recht auf eine Schulbildung, die seinen individuellen Fähigkeiten und Bedürfnissen entspricht. Und jeder Versuch, die Vielfalt der Bildungslandschaft zu erweitern und zu verbessern, sollte begrüßt und unterstützt werden.

    Letztendlich sind wir alle – Eltern, Lehrer, Schüler und die Gemeinschaft als Ganzes – in der Verantwortung, sicherzustellen, dass unsere Schulen den besten Ort bieten, um unsere Kinder auf ihre Zukunft vorzubereiten. Und dazu gehört auch die Bereitschaft, neue Wege zu gehen und über den Tellerrand hinaus zu denken.

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