Die Integrationspolitik in Viersen steht vor einem Wendepunkt. Iosif Tsivalidis, Vorsitzender des Viersener Integrationsrates, spricht offen über Erfolge, Herausforderungen und seine Erwartungen an den geplanten Integrationsausschuss.
Von RS-Redakteurin Sabrina Köhler
Viersen – Die Integrationsarbeit in Viersen steht vor einer einschneidenden Veränderung: Ein gemeinsamer Antrag der Ratsfraktionen von SPD, Bündnis 90/DIE GRÜNEN, FDP und DIE LINKE sieht die Auflösung des bisherigen Integrationsrates und die Einrichtung eines Integrationsausschusses vor. Der Viersener Stadtrat folgte mittlerweile diesem Vorschlag. Hintergrund dieser Entscheidung sind die bisherigen Erfahrungen, die laut Antragstellern zeigen, dass der Integrationsrat nicht die gewünschte Wirkung entfalten konnte. Fehlende innovative Projekte, mangelnde Wahrnehmung durch die migrantische Bevölkerung und eine schwierige Zusammenarbeit mit der Politik werden als zentrale Herausforderungen genannt.
Um die Situation näher zu beleuchten, sprachen wir mit Iosif (Saki) Tsivalidis, dem aktuellen Vorsitzenden des Integrationsrates Viersen. Nach fast zehn Jahren Engagement wird er in diesem Jahr nicht erneut kandidieren und zieht ein offenes Resümee.

Herr Tsivalidis, nach zehn Jahren Engagement im Integrationsrat haben Sie sich entschieden, nicht erneut anzutreten. Warum dieser Schritt?
Ich denke, nach zehn Jahren ist es an der Zeit neuen Gesichtern die Möglichkeit zu geben sich für die Integration in Viersen zu engagieren. Ich habe viel erlebt, viel bewegt, aber auch viele Hürden gesehen, die eine erfolgreiche Integrationsarbeit erschweren. Es ist wichtig, dass frischer Wind und neue Ideen kommen.
Wie bewerten Sie die Integration in Viersen insgesamt?
Integration ist ein komplexes Thema, das auf Gegenseitigkeit beruht. Es ist ein Geben und Nehmen. Leider muss ich sagen, dass der Integrationsrat nicht die erhoffte Aufmerksamkeit von den Menschen mit Migrationshintergrund erhalten hat. Viele Migranten haben sich schlichtweg nicht für unsere Arbeit interessiert. Wir waren eine gesetzlich vorgegebene Institution, aber nicht unbedingt eine, die aus eigenem Antrieb von der Community getragen wurde. Die finanziellen Mittel waren mit 10.000 Euro pro Jahr begrenzt, was für einige Projekte genutzt wurde, aber nicht ausgereicht hätte um wirklich nachhaltige Veränderungen zu bewirken.
Warum war es so schwer, die Migranten in Viersen zu erreichen?
Das Problem liegt darin, dass wir hauptsächlich bereits organisierte Gruppen wie beispielsweise die Moscheegemeinde, die damalige italienische Gemeinde oder die griechische Gemeinde erreicht haben. Doch es gibt zahlreiche andere Nationalitäten in Viersen, die keine eigenen Strukturen haben. Diese Menschen zu erreichen war extrem schwierig. Wenn es beispielsweise keine griechische Gemeinde gäbe, würde man auch weniger Griechen in unsere Arbeit einbinden können.
Wie stehen Sie zu der Kritik, dass der Integrationsrat nicht effektiv genug gearbeitet habe?
Ich akzeptiere konstruktive Kritik, aber ich lasse es nicht zu, dass alle Probleme allein den Migrantenvertretern zugeschrieben werden. Die Zusammenarbeit mit der Politik war oft nicht einfach. Es gab interne Sitzungen, zu denen wir Politiker eingeladen hatten, um frühzeitig Projekte zu besprechen. Gekommen sind jedoch fast keine. Einzige Ausnahme: Dr. a Campo von der FDP war immer da, hin und wieder Vertreter der CDU. Von den anderen Parteien wurden wir oft ignoriert, bei der SPD habe ich, gemeinsam mit der damaligen Vorsitzenden des Integrationsrates, vor einigen Jahren bei einem Gespräch schnell herausgefunden, dass ein gemeinsames Fundament nicht existiert. Eine konstruktive Zusammenarbeit war auf dieser Basis schwierig.
Über diese Problematik wurde bereits 2016 berichtet, wir haben den damaligen Bericht noch einmal aus den Archiven „gekramt“: Migrantenvertreter im Integrationsrat „schockiert“ über Aussagen der Viersener Ratsmitglieder.
Gab es konkrete Beispiele, bei denen Sie sich im Stich gelassen fühlten?
Ja, eines der deutlichsten Beispiele war das Integrationsfest, das wir im Stadthaus organisiert haben. Trotz Werbung war das Interesse in der Bevölkerung gering. Und wer wurde dafür verantwortlich gemacht? Wir als Migrantenvertreter. Die Politik hingegen zog sich aus der Verantwortung.
Auch die interkulturelle Woche, die es mittlerweile gibt, enthält zwar einige Veranstaltungen, aber echte Integrationsarbeit sieht anders aus. Es gibt in Viersen einfach ein begrenztes Interesse an diesen Themen, und die Politik war meiner Meinung nicht wirklich daran interessiert das zu ändern.
Ist ein Integrationsausschuss eine bessere Lösung?
Diese Idee ist nicht neu. Bereits vor der letzten Ratsperiode wurde darüber diskutiert. Damals haben sich die griechische Gemeinde und die Moschee Viersen zusammengeschlossen, um gemeinsam eine Liste für den Integrationsrat aufzustellen. Anfangs lief das gut, mit vielen Ideen und Enthusiasmus. Doch dann kamen Schwierigkeiten und mit der Corona-Pandemie brach alles zusammen. Unser Integrationsratsbüro wurde durch einen Brand zerstört und viele ehrenamtliche Projekte wurden aufgegeben.
Daher kann die Umwandlung in einen Ausschuss vielleicht ein neuer Weg sein. Als Vorsitzender schmerzt mich diese Entscheidung, aber ich hoffe, dass damit eine bessere Zukunft für die Integrationsarbeit in Viersen geschaffen wird. Wichtig ist, dass die Politik sich nicht nur mitentscheiden will, sondern auch aktiv mitarbeitet.
Wie sehen Sie die Zukunft der Integrationsarbeit in Viersen?
Ich hoffe, dass der neue Integrationsausschuss wirklich alle kulturellen Gruppen erreicht und Projekte umsetzt, die zur Integration beitragen. Ich befürchte jedoch, dass durch die direkte Einbindung in die politische Struktur vieles noch schwerfälliger wird. Aber ich lasse mich gerne eines Besseren belehren.
Aktuell ist der Fördertopf des Integrationsrates noch gut gefüllt. Bis Oktober, solange wir noch im Amt sind, können Projektanträge gestellt werden. Die Anträge sind auf der Webseite der Stadt Viersen verfügbar. Wer Fragen hat, kann sich gerne per Mail an integrationsratviersen@yahoo.com wenden. Falls es nötig ist, werde ich eine Sondersitzung einberufen.
Herr Tsivalidis, vielen Dank für das offene Gespräch. (sk)
