Feldforschungen an historischen Gewaltorten in Griechenland

Erst durch den Fund eines Fotoalbums wurde vor wenigen Jahren ein Kriegsverbrechen deutscher Besatzer im griechischen Karya bekannt. Die Fotos dokumentieren aus Sicht der Täter den Einsatz jüdischer Männer aus Thessaloniki bei der Zwangsarbeit an der Bahnstation Karya im heutigen Regionalbezirk Ftiotida im Jahr 1943.

Griechenland – Forscherinnen und Forscher gehen davon aus, dass die Überlebenden am Ende des Bauprojekts ermordet wurden. Andreas Assael, selbst Sohn von Holocaust-Überlebenden, konnte das Album sichern und hat es dem Projektteam an der Universität Osnabrück zur Verfügung gestellt, damit sie, gemeinsam mit Partner-Einrichtungen, dieses Kriegsverbrechen aufarbeiten können. Geforscht wird nun vor Ort in Griechenland.

Zur Aufarbeitung haben sich unter Leitung der Stiftung Topographie des Terrors/Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, das Jüdische Museum Griechenlands in Athen und die Universität Osnabrück gemeinsam mit weiteren Partnern in Griechenland zusammengeschlossen. Gefördert von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft soll bis 2024 eine deutsch-griechische Wanderausstellung erarbeitet werden und, beginnend mit jeweils einer Eröffnung in Berlin und Athen, in beiden Ländern gezeigt werden.

Gefördert wird das Projekt in der Bildungsagenda NS-Unrecht von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) und dem Bundesministerium der Finanzen (BMF).

Bisher ist der Ort der Zwangsarbeit selbst nur sehr unzureichend untersucht. Erste Recherchen haben wenige Dokumente zutage gefördert, in denen die Opfer Spuren hinterlassen haben und die Täter sichtbar werden. Ein zentraler Baustein des Projekts sind daher Untersuchungen, die von der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Konfliktlandschaften der Universität Osnabrück unter Leitung von Prof. Dr. Christoph Rass vor Ort durchgeführt werden. Vom 30. März bis zum 6. April ist eine Gruppe von Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftlern und Studierenden der Universität in Griechenland, um im Umfeld des Bahnhofs Karya bzw. des Baustellengeländes von 1943 nach Spuren der Zwangsarbeiter zu suchen und den Tatort zu dokumentieren. Ihre Forschung zielt unter anderem darauf ab, mögliche Massengräber zu lokalisieren und so ggf. ein würdiges Gedenken zu ermöglichen. Leiden und Schicksal dieser Opfer von Holocaust und Besatzung in Griechenland soll nicht länger vergessen bleiben. „Das ist für uns ein sehr wichtiges Projekt“, so Projektleiter Christoph Rass, „die Aufarbeitung von deutschen Verbrechen aus der NS-Zeit bzw. dem Zweiten Weltkrieg ist unser vorrangiges Forschungsfeld.“

Die Prospektion selbst ist ein Großunternehmen: „Wir schaffen das nicht zuletzt durch ein weites Netz von Kooperationen“, fügt Lukas Hennies hinzu, der die Logistik koordiniert: „Wir leihen uns Teile der Ausrüstung vom Institut für Geographie, die AG Fernerkundung berät uns bei den Flugplanungen für die Drohnen, archäologische Werkzeuge stellen uns auch die Kolleginnen und Kollegen vom Projekt Kalkriese zur Verfügung, vom DigiLab der Universität bekommen wir Kameras, VirtuOS schickt einen Kameramann mit. Die Vorbereitungen in Griechenland wären ohne unsere Zusammenarbeit mit Behörden und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern dort undenkbar gewesen. Im Moment ist das ganze Netz der Projektpartnerinnen und Projektpartner voll auf die Umsetzung der Prospektion konzentriert.“

Schon bei der gemeinsamen Arbeit vor Ort ist die Beteiligung von jungen Menschen aus Griechenland und Deutschland ein zentrales Element des Projekts. Daher sind acht Studierende aus Osnabrück bei der Prospektion mit dabei, die auch als Exkursion durchgeführt wird. Parallel organisiert das Dokumentationszentrum Zwangsarbeit ein Begegnungsprojekt, in dem weitere Studierende aus Osnabrück und von der Universität Thessaloniki gemeinsam in Griechenland forschen. „Das ist eine tolle Gelegenheit, Studierenden die Methodenketten unserer Forschung nahe zu bringen und zu zeigen, dass Geschichtswissenschaft mehr sein kann, als Aktenstudium in Archiven“, sagt dazu Andre Jepsen, verantwortlich für die geoarchäologischen Arbeiten vor Ort: „Wir führen magnetometrische Messungen durch und Arbeiten mit einem Bodenradar, erzeugen dreidimensionale Geländemodelle und hoffen so, Spuren der Ereignisse des Jahres 1943 im Untergrund ausmachen zu können.“ „Wir sind sehr gespannt auf Einblicke in Forschungen, bei denen wir nicht nur zuschauen, sondern an allen Untersuchungsschritten mitarbeiten können. Solche Möglichkeiten als Teil unseres Studiums nutzen zu können, sind eine große Chance, als Historikerinnen und Historikern außergewöhnliche Kompetenzen zu erwerben – zugleich sind wir bei der Erforschung und Aufarbeitung wichtiger Fragen beteiligt und unsere Erkenntnisse sind später Teil einer Ausstellung“, so Johanna Schweppe, eine der studentischen Teilnehmerinnen. Die Osnabrücker berichten täglich über ihre Erfahrungen auf dem Forschungsblog der Professur für Neueste Geschichte und Historische Migrationsforschung: nghm.hypotheses.org. (opm)

Einsatz jüdischer Männer aus Thessaloniki bei der Zwangsarbeit an der Bahnstation Karya. Foto: Sammlung Andreas Assael