IHK-Jahresrück- und -ausblick für den Kreis Viersen: „Die Probleme müssen endlich angegangen werden“

Die Arbeitslosigkeit bleibt niedrig, der Industrieumsatz wächst stärker als in der Gesamtregion sowie in Nordrhein-Westfalen, und die Ausfallrate der Betriebe ist weiterhin auf niedrigem Niveau.

Kreis Viersen – „Die Entwicklung vieler von uns analysierter Wirtschaftsindikatoren war im vergangenen Jahr im Kreis Viersen günstiger als in der Gesamtregion“, so fasst Jürgen Steinmetz, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Mittlerer Niederrhein, das Jahr 2023 zusammen. „Dennoch wird das Jahr 2024 auch für die Wirtschaft im Kreis Viersen nicht leicht.“ Steinmetz rechnet für 2024 nicht mit einer spürbaren Verbesserung der Konjunktur in der Region und im Land. „Dennoch gibt es auch Grund zu Optimismus“, so der IHK-Hauptgeschäftsführer. „Was mich zuversichtlich stimmt ist, dass unsere Mitgliedsunternehmen mit Entschlossenheit und Ideenreichtum die Herausforderungen angehen.“ Er hofft darauf, dass sich die Politik den grundlegenden Themen widmet. „Damit die Stimmung in der Wirtschaft langfristig besser wird, müssen auf allen politischen Ebenen die entscheidenden Weichen gestellt werden“, fordert der IHK-Hauptgeschäftsführer.

In den ersten beiden Konjunkturberichten zu Jahresbeginn hatte die regionale Wirtschaft zunächst eine sich stabilisierende Geschäftslage gemeldet. Die Erwartungen waren sogar deutlich weniger pessimistisch als noch im Herbst 2022. „Die Gasmangellage war ausgeblieben. Das hat sich positiv bemerkbar gemacht“, erklärt Steinmetz. Die Energiepreise sind zwar gesunken, sie sind aber weiterhin deutlich höher als vor dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. „Die Konjunktur ist im Jahresverlauf nicht in Schwung gekommen. Die Lagebewertung war im Herbst sogar wieder deutlich schlechter als im Frühsommer“, berichtet Steinmetz. „Einige Branchen, wie die Industrie, befinden sich in der Rezession.“ Im Kreis Viersen meldeten immerhin 35 Prozent der Betriebe zuletzt eine gute, 17 Prozent eine schlechte Lage. Das war deutlich besser als in der Region Düsseldorf/Mittlerer Niederrhein insgesamt. Dieser Saldo ergibt sich aus dem Anteil der Betriebe mit guter Geschäftslage und dem Anteil der Betriebe mit schlechter Geschäftslage. Die Erwartungen – Optimisten und Pessimisten hielten sich in der Waage – waren zudem weniger pessimistisch als in der Gesamtregion. Dies dürfte auch an der Branchenstruktur liegen. Schließlich sind energieintensive Industrien im Kreis Viersen weniger stark vertreten als in der Gesamtregion.

Das passt auch zur Entwicklung der Industrieumsätze von Januar bis September. Im Kreis Viersen ist der Umsatz in diesem Zeitraum um 5,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gestiegen. Im Vergleich dazu: Am Mittleren Niederrhein (-4,7 Prozent) und in NRW (-0,4 Prozent) gingen die Umsätze zurück. Für die gesamte Region gerechnet war es insbesondere eine im Kreis Viersen wichtige Industriebranche, die ein besonders gutes Abschneiden meldet: Die Ernährungsindustrie konnte die Umsätze um 20 Prozent steigern.

Auch die Insolvenzzahlen sind vor dem Hintergrund der hohen Kosten für die Unternehmen und der lahmenden Konjunktur in der Region zuletzt wieder angestiegen. In den ersten drei Quartalen verzeichneten die Statistiker von IT.NRW für den gesamten Mittleren Niederrhein eine Steigerung von 16 Prozent bei den Unternehmensinsolvenzen. Im Kreis Viersen mussten in den ersten drei Quartalen 42 Unternehmen Insolvenz anmelden. Das liegt sogar unter dem Wert des vergangenen Jahreszeitraums. „Noch ist das Insolvenzgeschehen zum Glück auf einem niedrigen Niveau. Unser kürzlich veröffentlichtes Risikobarometer hat jedoch gezeigt, dass wir im Kreis im kommenden Jahr mit einer höheren Ausfallrate rechnen müssen“, erklärt Steinmetz.

Für die Außenhandelsunternehmen gibt es Anlass zur Hoffnung, dass sich die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen allmählich verbessern: Der Wendepunkt bei Zinsen und Inflation im Euroraum scheint erreicht, die für den Export wichtige US-Wirtschaft wird dank der Zinssenkung stärker investieren, und auch in China verbessern sich die Wirtschaftsdaten. „Ich bin zuversichtlich, dass unsere exportstarken Branchen davon profitieren“, so Steinmetz.

Wenig Einfluss hat die lahmende Konjunktur bislang auf den Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosigkeit im Kreis Viersen lag im November mit 5,5 Prozent genau auf dem Vorjahreswert. Die aktuellsten Beschäftigungsdaten aus dem März weisen zudem darauf hin, dass die Anzahl der Beschäftigungsverhältnisse weiter steigt. Das sei allerdings nicht auf den Kreis Viersen begrenzt. „Die Unternehmen in der gesamten Region spüren den Fachkräftemangel“, so Steinmetz. „Sich angesichts der schlechten Konjunktur von Mitarbeitern zu trennen, ist für viele Unternehmen inzwischen das letzte Mittel, um Kosten zu reduzieren.“

Kritisch wertet Steinmetz, dass immer mehr Kommunalverwaltungen in der Region über höhere Hebesätze nachdenken. Im Kreis Viersen gab oder gibt es Debatten darüber in Tönisvorst, Brüggen und in Nettetal. „Ich bin froh, dass der Haushaltsplanentwurf der Kreisstadt Viersen keine Steuererhöhungen vorsieht. Das begrüße ich ausdrücklich“, so Steinmetz.

Die Hoffnung auf ein positives Jahr 2024 hat der IHK-Hauptgeschäftsführer jedenfalls noch nicht aufgegeben. „Viel wichtiger als ein kurzfristiges Wiederanspringen der Konjunktur ist für mich, dass wir die Probleme angehen, die dafür sorgen, dass wir im internationalen Vergleich an Wettbewerbsfähigkeit verloren haben“, so Steinmetz. Aus seiner Sicht sind dies vor allem die hohen Energiepreise und perspektivisch die gefährdete Versorgungssicherheit, die überbordende Bürokratie und die marode Verkehrsinfrastruktur. „Das Jahr 2024 kann zum Jahr der Wende zum Besseren werden – wenn die strukturellen Probleme endlich angegangen werden“, so Steinmetz. „Wir brauchen spürbare Verbesserungen und den Willen zu Veränderungen, keine weiteren Sonntagsreden.“