Literarisches: Der Automat

Ich soll mit der Zeit gehen. Alle sagen das. Dass es leichter gesagt, als getan ist, sagt niemand. Unschlüssig stehe ich vor dem Automat, der auf meinen Eingabebefehl wartet. Er besteht darauf. Meine Fahrkarte rückt er heraus, wenn ich seinen Anweisungen folge. Warum das ist, sagt er nicht.
Von Peter Josef Dickers

Literarisches – Mit ihm reden kann ich nicht. Versteht er auch nicht. Der freundlichen Herrn am Schalter, der den Fahrschein ohne Widerstreben aushändigte, ist nicht mehr da. Auf ihn war Verlass. Dass er Punkt zwölf Uhr die Klappe herunterließ, weil er Mittagspause hatte, war Dienstanweisung, sagte er. Den Schalter gibt es nicht mehr. Opfer der Umstände. Warum die Schalterhalle noch Schalterhalle heißt, sagt niemand. Den Bahnhof gibt es noch. Es fahren Züge. Nicht pünktlich wie früher, aber sie fahren.

„Lösen Sie Ihre Fahrkarte bequem am Automat“, empfiehlt die große Leuchtschrift. Bahnreform nennen sie das. Dass dieser Service einen Notstand auslöst, weiß der Automat nicht. Seine Anweisungen muss ich akzeptieren. Das ist das Problem. Ich kann nicht fragen, ob er die Stadt kennt, wohin ich fahren will. Ich kann wählen zwischen Zonen. Zu welcher Zone die Stadt gehört, sagt er nicht. „Markieren Sie die zuständige Zone.“ Woher soll ich das wissen? Zonen haben mit Entfernungen zu tun. Eine Zone umfasst zwanzig Kilometer. Wie viele Kilometer ist meine Stadt vom Automat entfernt? Wenn ich die Kilometer-Angabe zu gering einschätze, liefert mir der Automat eine Fahrkarte für die falsche Zone. Überziehe ich die Angabe, druckt er eine Fahrkarte aus, mit der ich tagelang Zug fahren könnte. Ich will zwar nicht so weit fahren, aber der Apparat ermuntert mich, meinen Horizont zu erweitern. Ich muss mit der Zeit gehen.

Der Automat fordert mich auf zu zahlen. Einen Geldschein soll ich in die vorgesehene Öffnung einführen. Der Schein wird nicht angenommen. Der Automat kennt ihn nicht. Der freundliche Herr, der mich bediente, ist nicht da. Vielleicht tüftelt er an einem neuen Automat. Auch Automaten gehen mit der Zeit.
Auf dem Bahnhofsvorplatz halten Busse. Wahrscheinlich ein Angebot, wenn der Automat keinen Fahrschein ausdruckt. Den Fahrer werde ich fragen. Ich hätte mich sofort für den Bus entscheiden sollen. Wo ist der Fahrer? Nicht zu sehen. Nicht im Bus, nicht außerhalb des Busses. Er muss nicht anwesend sein, weil der Bus heute nicht verkehrt. Ob der Automat es gewusst hätte? (opm)

Foto: Jill Wellington/Pixabay

Foto: Privat

Aus: P.J. Dickers, Du lieber Himmel

Peter Josef Dickers wurde 1938 in Büttgen geboren. Nach einem Studium der Katholischen Theologie sowie der Philosophie und Pädagogik in Bonn, Fribourg/Schweiz, Köln sowie Düsseldorf erhielt er 1965 die Priesterweihe. Anschließend  war er in der Seelsorge und im Schuldienst tätig, bis er sich 1977 in den Laienstand rückversetzen ließ und heiratete. Nach der Laisierung war er hauptamtlich tätig an den Beruflichen Schulen in Kempen (jetzt Rhein-Maas-Kolleg) mit den Fächern Kath. Religionslehre, Pädagogik, Soziallehre, Jugendhilfe/Jugendrecht.

„Seit der Pensionierung bin ich weiterhin engagiert durch meine Schreibtätigkeit, mein Vorlese-Engagement in diversen Einrichtungen und sonstige Initiativen. In den Sommermonaten lese ich zeitweise als „Lektor“ auf Flusskreuzfahrt-Schiffen aus meinen bisher erschienenen Büchern“, so Peter Josef Dickers, der mittlerweile in Mönchengladbach beheimatet ist.