Literarisches: Muttertag hatten wir täglich. Erinnerungen

Meine Mutter war fünfunddreißig Jahre alt, als ihr „der Heldentod“ meines Vaters mitgeteilt und zum „ehrenvollen Andenken an den tapferen Krieger“ aufgerufen wurde. Ob es für sie viel bedeutete, dass er „als vorbildlicher Soldat in treuer Pflichterfüllung gefallen“ war?
Von Peter Josef Dickers

Literarisches – Über ihre eigene treue Pflichterfüllung hat sich die patriarchalisch geprägte Gesellschaft wahrscheinlich keine Gedanken gemacht. Was „Krieger-Witwen“ erlitten, wurde zugeschüttet von Schichten des Vergessens oder als Privatsache eingestuft. Es waren Mutter-Tage, Mutter-Jahre mitten im Krieg. Mutter-Freuden sahen anders aus. „Muttertag“ haben wir nicht gefeiert; wir erlebten ihn täglich. Ich kann mich nicht erinnern, dass sie nach Sozialamt, nach einem Recht auf Kindergartenplatz oder nach Ganztagsbetreuung gerufen hat. Hätte es schon den Begriff „allein erziehend“ gegeben, man hätte ihn wörtlich nehmen können.

Ein Verwandter bot an, heimlich das gemästete Hausschwein zu schlachten, um die Fleischrationen für die nächsten Monate zu sichern. Wie viel Fleisch er für sich selbst reservierte und welche sonstigen Dienste meiner Mutter er einforderte, blieb unausgesprochen. Mutter klagte nicht, nicht über ihr Leben, nicht über das Leben anderer. Sie hätte viele Gründe gehabt. Wer hätte ihr zugehört? Dennoch habe ich sie nie verbittert oder griesgrämig erlebt. Sie sang gern, vielleicht, um die Schatten der Vergangenheit und Gegenwart für eine Weile beiseite zu schieben. Ein Lied zu singen, mochte befreiend wirken. Sie nahm ihr Leben hin. Ihr blieb das Beten. Ob es geholfen hat, weiß ich nicht.

Trotz ihrer Vorbehalte gegenüber himmlischen Versprechungen war sie eine tief religiöse Frau, mit einer eher wortkargen Frömmigkeit. Kein „lieber Gott“, dem sie sich anvertraute. Keine „fromme Seele“. Sonntags- und Werktags-Gottesdienste begannen für sie nie zu früh, um sich auf den Weg zur Kirche zu machen. Mit der „Frommes“, der Frühmesse, begann ihr Tag. Mich nahm sie mit. Ich hinterfragte es nicht. Wenn unsere Familie vor dem Abendessen in der Küche auf den Knien lag, war Rosenkranz-Zeit. „Der für uns gegeißelt worden ist.“ „Der für uns das schwere Kreuz getragen hat.“ Das Geschehen um das Leiden und Sterben Jesu ließ in der Fastenzeit die Rosenkranzperlen durch die Finger gleiten. Die Knie beschwerten sich nicht über die unbequeme Körperhaltung. Sie waren im Winter geschützt durch lange Strümpfe. Mutter hatte sie gestrickt.

Am Wochenende saß sie auf der Küchenbank. Vor ihr auf dem Tisch lag ein Stapel alter Zeitungen. Mit dem Brotmesser zerteilte sie Seite für Seite in kleine handliche Stücke und legte sie zu einem Block aufeinander. Mit der Schere bohrte sie ein Loch am oberen Ende durch den Stapel und zog eine Schnur hindurch. Mit dem Bündel in der Hand ging sie nach draußen zu jenem Ort, den wir „Örtchen“ nannten. Die „Sitzungen“ dauerten mal kürzer, mal länger, je nachdem, welche Nachricht man vom Stapel holte.

An wortreiche Klagen meiner Mutter kann ich mich nicht erinnern. Ihren Schmerz über den frühen Tod meines Vaters hat sie nie gezeigt. Für Trauer blieben weder Raum noch Zeit. Negative Erlebnisse wurden verdrängt. In fast allen Häusern gab es ähnlich leidvolle Erfahrungen. Warum sollte es uns anders ergehen? Sie hätte viele Gründe für viele Tränen gehabt. Geflossen sind sie nur spärlich. Oder sie blieben mir verborgen. (opm)

Foto: Catkin/Pixabay

Foto: Privat

Aus: Die Pendeluhr. Stationen erinnerungswürdiger Jahre

Peter Josef Dickers wurde 1938 in Büttgen geboren. Nach einem Studium der Katholischen Theologie sowie der Philosophie und Pädagogik in Bonn, Fribourg/Schweiz, Köln sowie Düsseldorf erhielt er 1965 die Priesterweihe. Anschließend  war er in der Seelsorge und im Schuldienst tätig, bis er sich 1977 in den Laienstand rückversetzen ließ und heiratete. Nach der Laisierung war er hauptamtlich tätig an den Beruflichen Schulen in Kempen (jetzt Rhein-Maas-Kolleg) mit den Fächern Kath. Religionslehre, Pädagogik, Soziallehre, Jugendhilfe/Jugendrecht.

„Seit der Pensionierung bin ich weiterhin engagiert durch meine Schreibtätigkeit, mein Vorlese-Engagement in diversen Einrichtungen und sonstige Initiativen. In den Sommermonaten lese ich zeitweise als „Lektor“ auf Flusskreuzfahrt-Schiffen aus meinen bisher erschienenen Büchern“, so Peter Josef Dickers, der mittlerweile in Mönchengladbach beheimatet ist.

Ein Kommentar

  1. Lieber Herr Dickers, wie Sie das zu Papier bringen ist einfach eine Tatsache wo ich nur Behaupten kann, das heute dir größere Teil der Mütter das nicht bewusst ist, was ein Krieg uns bringt, und wo die meisten Männer meistens Gefallen sind. Mütter waren einfach Perfekte Beschützer und sorgten für Vorrat. Das ohne Kindergeld und ohne Sozialamt. Da war noch Verstand da! Heute oft noch nicht eine Berufliche Ausbildung und schon Schwanger und wollen alles sofort haben ohne Gegenleistung. Wenn je eine Hochzeit kommt alles auf Kosten der Allgemeinheit. Was Mütter früher geschafft haben ist mehr als nur den Muttertag mit vor Lob. Sie haben ja auch nach den Krieg Deutschland mit Aufgebaut und aus den Kindern ist was geworden ansonsten würde Deutschland mit solcher Wirtschaft nicht Existieren. Der Muttertag müsste öfters gefeiert werden, da sollen wir drauf stolz sein. Danke Mutter. Danke Herr Josef Dickers.

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