Literarisches – Raus damit

Ich glitzerte und strahlte. So schön wie ich war niemand weit und breit. Von überall her kamen die Leute und bewunderten mich. Stolz wuchs ich über mich hinaus. Auf alle sah ich herab. Ich schmiedete Pläne, wie ich noch heller strahlen konnte.
Literarisches von Peter Josef Dickers

Literarisches – Das war bis gestern. Heute Vormittag hat mich ein Krake am Schopf gepackt, in die Höhe gerissen und mich auf ein großes Fahrzeug geworfen. Unsanft landete ich auf dem Boden. Meine Glitzerketten und bunten Kugeln zerbrachen. Warum hat man mir das angetan?

Weg damit, sagte der Mann, der mich aus meinen glänzenden Träumen riss. „Warum?“, fragte ich. „Wir sammeln ausgediente Weihnachtsbäume ein.“ Das habe in der Zeitung gestanden, brummte er. Für Zirkuselefanten seien sie ein Festschmaus. Ich aber soll an einen Weihnachtsbaum-Sammelplatz gebracht, wie unbrauchbares Zeug auf einen Haufen geworfen und verbrannt werden.

Andere Tannenbäume würden einfach aus dem Fenster auf die Straße geworfen. Es gebe sogar eine Weihnachtsbaum-Weitwurf-Meisterschaft. Wer einen Baum am weitesten werfe, erhalte eine Urkunde.

Entwürdigend nenne ich das. Keine Miene verzog der Mann. Die schlechte Nachricht hielt er für eine gute. Hatte er vergessen, dass er zu denen gehörte, die mich vor nicht allzu langer Zeit zum Glänzen gebracht hatten? Jetzt tat er so, als hätte es diese Zeit nie gegeben. „Besondere Dinge brauchen einen besonderen Ort“, lobte er mich, als er mithalf, mich auf dem Marktplatz aufzustellen. Jetzt ruft er: „Weg mit ihm.“ „Raus mit ihm.“ „Entrümpeln befreit.“ „Kommt Neues ins Haus, fliegt Altes heraus.“

Foto: cherylkcantu/Pixabay

Was habe ich falsch gemacht? Habe ich nicht hell genug geleuchtet? War ich nicht groß genug? Ausgedient hätte ich, sagen sie. Reif für den Müll. Wie Falschgeld werde ich behandelt. Wie Blendwerk, mit dem man nichts mehr anfangen kann. Aufschreien möchte ich und protestieren gegen das Vergessen werden, gegen das Überflüssigsein. In den Wald zu meinen Verwandten darf ich nicht. Müll gehöre nicht in den Wald, sagen sie. Müllbeseitigung im Wald sei verboten.

Es wird ihnen leidtun, so mit mir umzugehen. Ich weiß, wie schwer es ist, sich von Dingen zu trennen, die man liebgewonnen hat. Menschen sind Gewohnheitstiere. Sie halten auch dann an etwas fest, wenn sie es nicht mehr brauchen. Wer mich gern hatte und leuchten sah, kann mich nicht vergessen und wegwerfen. Loslassen ist nicht so leicht, wie behauptet wird. Aus den Augen, aus dem Sinn? Das glaube ich nicht. Liebenswert war ich. Daher kann ich nicht minderwertig geworden sein. Die Menschen bewunderten mich. Ich liebte sie, weil es mir guttat. Hört mich jemand? Oder ist es schon zu spät? (opm)


Aus: Peter Josef Dickers, Nicht ganz alltägliche Geschichten

Foto: Winkler

Peter Josef Dickers wurde 1938 in Büttgen geboren. Nach einem Studium der Katholischen Theologie sowie der Philosophie und Pädagogik in Bonn, Fribourg/Schweiz, Köln sowie Düsseldorf erhielt er 1965 die Priesterweihe. Anschließend  war er in der Seelsorge und im Schuldienst tätig, bis er sich 1977 in den Laienstand rückversetzen ließ und heiratete. Nach der Laisierung war er hauptamtlich tätig an den Beruflichen Schulen in Kempen (jetzt Rhein-Maas-Kolleg) mit den Fächern Kath. Religionslehre, Pädagogik, Soziallehre, Jugendhilfe/Jugendrecht.

„Seit der Pensionierung bin ich weiterhin engagiert durch meine Schreibtätigkeit, mein Vorlese-Engagement in diversen Einrichtungen und sonstige Initiativen. In den Sommermonaten lese ich zeitweise als „Lektor“ auf Flusskreuzfahrt-Schiffen aus meinen bisher erschienenen Büchern“, so Peter Josef Dickers, der mittlerweile in Mönchengladbach beheimatet ist.