Wie die Störche an der Niers zu einem ganz besonderen Nest kamen …

Es gibt schon seit einigen Jahren nistende Storchenpaare an der Niers und zwar in Cloerbruch bei Viersen und in Vinkrath bei Grefrath. In unserer Gegend, im Raum Süchteln, sah man hin und wieder durchziehende Störche auf den Feldern, die immer für reges Aufsehen sorgten. Der Süchtelner Herbert Ulke erzählt im Rheinischen Spiegel von dem Engagement diesen besonderen Vögeln eine Heimat zu geben – ein wunderbarer und vor allen Dingen positiver Erfahrungsbericht. 

Viersen-Süchteln – „Auch nachdem die Renaturierung der Niers im Bereich Fritzbruch im Jahr 2020 abgeschlossen war, hätte es niemand für möglich gehalten, dass sich hier Störche zur Brut ansiedeln. Im Nachhinein betrachtet war wohl diese Renaturierung die Initialzündung für Familie Adebar, bei uns an der Niers ein Nest zu bauen.

Es dauerte noch bis ins Frühjahr 2022, als ich bei meiner täglichen Runde mit meinem Hund Flynn ein seltsames Klappern hörte. Auf der Suche nach der Geräuschquelle konnte ich in einigen 100 m eine durch Sturm gekappte Pappel ausmachen, auf deren Spitze in ca. 18 m Höhe, 2 Störche ein Nest bauten und dies mit dem entsprechenden Geklapper begleiteten.

Foto: Privat

Das Nest mutete sehr filigran auf dieser Baumstumpfspitze an und meine Befürchtung war, dass das wohl nicht den ersten Sturm überdauern würde. Gott sei Dank überstand jedoch die Nestkonstruktion die ersten und auch heftigen Stürme. Schon recht bald konnte man auch erkennen, dass zwei Jungvögel geschlüpft waren und die Fütterungen wurden zu einer Attraktion vieler Spaziergänger, Wanderer und Fotografen. Da sich das Nest in einem sehr sumpfigen Bereich befand, war ein nötiger Abstand zu jeder Zeit gewährleistet und die Jungvögel konnten in Ruhe zu ausgewachsenen Störchen heranwachsen. Im September 2022 verließen uns dann das Storchenpaar und der ausgewachsene Nachwuchs um in das Winterquartier nach Spanien oder Afrika zu fliegen.

Groß war die Freude als wir dann schon Ende Februar 2023 die Rückkehr feststellen konnten. Sofort wurde damit begonnen das Nest wieder herzurichten um das Brutgeschäft zu beginnen. Irgendwann Ende März/Anfang April konnte man den Erfolg in Form von zwei Jungstörchen beobachten. Leider mussten wir jedoch im Frühjahr 2023 feststellen, dass das Nest teilweise abgestürzt und die Jungvögel dabei getötet wurden. Den Grund für den Absturz konnten wir zum damaligen Zeitpunkt nicht ermitteln, lag aber wohl an der sehr filigranen Konstruktion auf einer zu kleinen Baumstumpffläche.

Foto: Privat

Wir konnten beobachten, wie das sichtlich geschockte Storchenpaar sofort wieder begonnen hatte das Nest wieder aufzubauen, obwohl es für ein erneutes Gelege schon zu spät war. Bis zur Abreise in das Winterquartier hat das Storchenpaar den Bereich in und um das Nest nicht verlassen, was darauf hindeutete, dass man wohl in 2024 wieder mit ihnen rechnen muss.

Ende August/Anfang September konnten wir direkt an unserer Grundstücksgrenze (unweit vom Nest an der Niers) ca. 60 Störche beobachten, die sich auf dem Feld sammelten um in den Süden zu fliegen. Ich bin sicher, dass „unsere“ Störche dabei waren. Für mich und meinen Nachbarn, Tom Breuksch, der als ehrenamtlicher Naturschutzwart für die Naturschutzbehörde des Kreis Viersen tätig ist, war sofort klar, dass wir hier eingreifen und bis spätestens Ende Januar 2024 eine „Absturzsicherung“ installieren müssen. Viele Menschen, die ich auf meiner täglichen Runde treffen konnte, haben signalisiert das Vorhaben finanziell und konstruktiv mit Manpower zu unterstützen.

Tom Breuksch und ich ahnten zu diesem Zeitpunkt noch nicht wieviel Schwierigkeiten wir bis zu Realisierung überwinden müssen, waren uns aber von Anfang an einig, dass aufgeben keine Option ist. Zuerst einmal musste festgestellt werden wem eigentlich das Grundstück gehört auf dem der Baum mit dem Nest steht. Nach einigen Rückfragen konnten wir den Niersverband ermitteln. Nach einigen Emails und Telefonaten hin und her, bekamen wir dann die schriftliche Genehmigung Hand an den Baum zu legen um die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Jetzt galt zu klären wie die Absturzsicherung aussehen muss, was ebenfalls recht schwierig war, weil wir die Situation nur vom Boden aus beurteilen konnten und das Nest in ca. 18 m Höhe thronte. Auch die Kontaktaufnahme mit Fachleuten aus dem Bereich brachte uns nicht weiter.

Foto: Privat

Das noch größere Problem war die Frage: wie kommen wir da oben dran? Denn den ursprünglichen Plan mit einem Leiterwagen oder einem Hubsteiger zu arbeiten mussten wir sehr schnell verwerfen, da der Untergrund sehr sumpfig ist und jedes Gerät schon bei der Anfahrt stecken bleiben würde. Darüber hinaus hätte man auch keine Standsicherheit um in ca. 18 m Höhe unfallfrei arbeiten zu können. Was tun? Wie gesagt ist aufgeben keine Option und die Zeit lief. Auch ein Ortstermin mit Mario Snellen und Kollegen von der Naturschutzbehörde Kreis Viersen brachte uns keine brauchbare Lösung.

Tom Breuksch und ich kamen dann zu der Erkenntnis, hier kann nur eine komplett neue Nestkonstruktion und ein Baumkletterer helfen. Ich kümmerte mich um die Nestkonstruktion und wurde über das Internet in Niedersachsen fündig. Tom Breuksch nahm Kontakt mit diversen Baumkletterern auf, wovon eigentlich alle auf Grund der Gefahrensituation (morscher Baum), danken ablehnten, bis eben auf einen wahren Teufelskerl namens Leo Karmanns, der nach einem Ortstermin signalisierte das Risiko eingehen zu können.

Wir waren uns eigentlich bewusst die finanzielle Seite privat abdecken zu müssen, wobei wir auf zahlreiche Sponsoren und auf Eigenmittel zurückgreifen konnten. Bei einer erneuten Kontaktaufnahme mit der Naturschutzbehörde Kreis Viersen um den Montagetermin 10.01.2024 um 9:30 Uhr mitzuteilen, wurde uns von Herrn Snellen mitgeteilt, dass alle Kosten vom Kreis übernommen werden, was uns natürlich sehr freute.

Foto: Privat

Im Dezember 2023 wurde die Nestkonstruktion per Spediteur bei mir angeliefert. Da mir die Halterungen als nicht ausreichend erschienen, bemühte ich einen alten Bekannten aus meiner früheren beruflichen Tätigkeit noch zusätzliche Haltewinkel aus Edelstahl anzufertigen. Den Nestrand konnte ich mit heimischen Weidenruten und vielen Kabelbindern einflechten. Am 10.01.2024 um 9 Uhr wurde ich mit dem Nest und Montagematerial von Tom Breuksch in seinem VW-Bulli abgeholt. Es waren -6°C aber strahlender Sonnenschein. Pünktlich um 9:30 Uhr waren dann auch Leo Karmanns mit seinem Sohn und Mario Snellen in Begleitung vor Ort. Zuerst einmal musste das gesamte Material mehrere 100 m durch eine Sumpfwiese an den Montageort transportiert werden.

Nach dem Anlegen der Sicherheitsausrüstung stieg dann Leo Karmanns in den Baum, entfernte erst einmal einige Baumpilze um überhaupt hoch zu kommen, um dann nach ca. 30 Minuten in ca. 10 – 12 m Höhe festzustellen, daß jeder weitere Höhenmeter lebensgefährlich ist, da der Baumstumpf ab dieser Höhe total morsch ist, was er eindrucksvoll demonstrierte indem er mit der Hand große Stücke aus dem Stamm entfernen konnte.

Ratlosigkeit machte sich breit, da wir ursprünglich dachten nur 1 bis 2 m kappen zu müssen um den Korb installieren zu können. Nach kurzer Diskussion waren wir uns alle einig, dass wir jetzt nicht aufgeben können und eben ca. 4 – 6 m kappen müssen, was für Leo Karmanns, im Baum hängend, nicht ganz ungefährlich war. Er setzte aber seine ganze Erfahrung ein und es erfolgte ein grosses Aufatmen, als 6 m Baumstamm mit grossem Getöse in die richtige Richtung herunterstürzten. Nach einem kurzen Durchschnaufen wurde die nun brauchbare Auflagefläche auf dem Baumstumpf noch kurz plan bearbeitet um dann das ca. 30 kg schwere Nest per Seilwinde hochzuziehen. Vorher wurde noch der genaue Stammdurchmesser durchgegeben um die Halterungen auf dem Boden schonmal vorzumontieren, was unsere Aufgabe war.

Aufgrund der Platzsituation am Stamm musste Leo Karmanns dann alleine das schwere Nest positionieren, was nicht im ersten Anlauf gelang. Die Erleichterung war allen anzumerken, als es ihm gelang nach dem 3. oder 4. Anlauf die Konstruktion auf die vorbereitete Baumstumpffläche zu wuchten. Danach stieg dann sein Sohn Matthias auch in den Baum um mit seinem Vater die Befestigungen mit diversen Winkeln und Gurten vorzunehmen. Nach einer Hängeprobe am Nest sind wir sicher: Hier stürzt nichts mehr ab. Es war schon nach 14 Uhr als die Aktion beendet war und Leo Karmanns, nach 4 Stunden Schwerstarbeit im Baum, wieder festen Boden unter den Füßen hatte.

Foto: Rheinischer Spiegel

Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass Leo Karmanns bereits 60 Jahre alt ist und unseren uneingeschränkten Respekt für diese Leistung verdient hat. Auf meine Frage warum er sich entgegen aller anderen Baumkletterern das zugetraut hat, antwortete er: aus Liebe zur Natur und weil diese Aktion nicht alltäglich ist. Es ist uns klar hier nichts für die Ewigkeit gebaut zu haben, denn der Baumstumpf wird in 3 bis 5 Jahren nicht mehr stabil genug sein um das Nest zu tragen. Alle Beteiligten wissen hier eine Stahlkonstruktion anstatt des Baumstumpfs installieren zu müssen. Mit Beteiligten meine ich in erster Linie die Naturschutzbehörde des Kreis Viersen, nicht zuletzt wegen evtl. erforderlichen Baugenehmigungen, denn wir sind ja in Deutschland.

Nachdem wir nun schon seit drei Wochen täglich auf die Rückkehr gewartet haben, war es am 13.03.2024 um 9:20 Uhr endlich soweit. Wie täglich war ich mit meinem Hund Flynn unterwegs und auch auf dem Weg zu unserem „Projekt“. Wollte schon enttäuscht abdrehen, als Mr. oder Mrs. ADEBAR aus dem Nichts angeflogen kam, sich auf das Nest setzte, mit lautem Klappern die Besitzansprüche anmeldete und sofort anfing die Unordnung im Nest zu beseitigen. Bin sofort und soweit es ging in die Wiese hineingelaufen um so nah wie möglich heranzukommen. Als mir dann das Wasser in die Schuhe lief und ich knöcheltief im Sumpf feststeckte, habe ich schnell noch Fotos mit meinem Handy gemacht, die leider nicht die beste Qualität haben.

Jetzt warten wir noch auf den Partner bzw. Partnerin, was unter Umständen noch einige Tage dauern kann. Wir waren schon reichlich nervös, da ein Nest zwischen Oedt und Hagenbroich schon seit ca. 3 Wochen besetzt ist und wir nicht wussten, ob unser „Sanierungsprojekt“ beim Fritzbruch – Storch auch Anklang finden würde. Allen Beteiligten nochmals HERZLICHEN DANK – es hat sich gelohnt!“ (opm)

Auf dem Feld in Viersen-Helenabrunn siedelten sich direkt vier Störche hinter dem Traktor an. Foto: Rheinischer Spiegel

 

 

 

 

 

Ein Kommentar

  1. Wir sind total angetan. Vielen Dank an alle, die das möglich gemacht haben. Wir, wie auch viele andere Oedter, freuen uns immer wieder, dass die Störche wieder heimisch geworden sind.

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