Zwischen Integration und Isolation: Führt Viersen eine Bezahlkarte für Geflüchtete ein?

In der jüngsten Sitzung des Integrationsrates der Stadt Viersen wurde die Bezahlkarte für Geflüchtete angesprochen, ein Thema, das politische und gesellschaftliche Wellen schlägt. Diese Karte, eine bargeldlose Alternative zu herkömmlichen Sozialleistungen, ist mittlerweile im Asylbewerbergesetz vorgesehen, doch die Entscheidung über die konkrete Umsetzung liegt letztlich bei den Kommunen. Viersen steht nun vor der Frage, ob die Stadt diesem System beitreten wird oder alternative Wege zur Unterstützung Schutzsuchender sucht.
Von RS-Redakteurin Sabrina Köhler

Viersen – Bei der Vorstellung des Themas im Integrationsrat am Donnerstagabend dieser Woche wurden schnell verschiedene politische Positionen deutlich. Während eine abschließende Entscheidung auf kommunaler Ebene noch aussteht, zeichnen sich in den Fraktionen bereits unterschiedliche Meinungen ab. Abschließend sei allerdings noch in keiner Fraktion über das Thema entschieden worden. Da zum Ende des Jahres weitere gesetzliche Rahmenbedingungen zur Bezahlkarte in NRW für Flüchtlinge in Erstlingseinrichtungen erwartet werden, steht der Punkt zahlreich auf den Tagesordnungspunkten der Kommunen. Auch die Stadt Viersen muss daher eingehend die Vor- und Nachteile des neuen Systems prüfen, denn eine entsprechende Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes war bereits am 16. Mai 2024 in Kraft getreten.

Der Flüchtlingsrat Nordrhein-Westfalen äußerte im Vorfeld mit einem Brief an alle Integrationsräte scharfe Kritik an der Einführung der Bezahlkarte und appellierte das Projekt nicht zu unterstützen. Ihre Argumente umfassen sowohl praktische als auch ethische und rechtliche Bedenken. So sei das System verwaltungstechnisch aufwendig und könne diskriminierende Effekte haben, da es die Möglichkeiten der Betroffenen zur freien Lebensgestaltung einschränkt.

Die Verwaltungskosten für die Bezahlkarte seien erheblich, und die eingeschränkte Verfügbarkeit von Bargeld beeinträchtige alltägliche Ausgaben. Ein weiterer Kritikpunkt betrifft den Datenschutz: Behörden könnten detaillierte Einblicke in finanzielle Aktivitäten der Karteninhaber gewinnen, was die Privatsphäre der Geflüchteten gefährdet. Da die Bezahlkarte gezielt den Zugang zu bestimmten Dienstleistungen ermöglicht oder einschränkt, befürchtet der Flüchtlingsrat NRW, dass dies die gesellschaftliche Integration erheblich behindern könnte. Das Fehlen einer universellen finanziellen Situation könnte sich auch auf alltägliche Dinge auswirken, wie den Abschluss von Verträgen, zum Beispiel für Mobilfunk oder Versicherungen, und den Zugang zu digitalem Zahlungsverkehr.

Das sieht die Bundesregierung anders, die die Entscheidung Anfang des Jahres in der Ampelkoalition getroffen hatte. So wird ausgeführt, dass die Einführung einer Bezahlkarte für Geflüchtete, als Alternative zu Bargeld, Sachleistungen und Wertgutscheinen, mehrere Vorteile für Staat und Kommunen habe, aber auch für die Menschen, die von diesen Leistungen profitieren.

Ein wesentlicher Vorteil der Bezahlkarte sei die Erleichterung für die Verwaltungen in Städten und Gemeinden. Anstelle von regelmäßigen Bar- oder Sachmittelausgaben, was sowohl personellen als auch organisatorischen Aufwand bedeute, ließen sich die Leistungen einfach und zentral über die Karte buchen. Dies spare Verwaltungsressourcen und ermögliche eine großzügigere Abwicklung der finanziellen Unterstützung. Die Bezahlkarte sei zudem darauf ausgelegt, dass die bereitgestellten Mittel ausschließlich im Inland verwendet werden. Dies diene dem Zweck, dass die Gelder tatsächlich für den Lebensunterhalt der Geflüchteten vor Ort eingesetzt würden. So könnten Geflüchtete ihre Einkäufe und alltäglichen Bedürfnisse bedecken, ohne dass die Möglichkeit bestünde die Gelder für andere Zwecke, wie etwa Überweisungen in das Heimatland, zu verwenden. Dadurch bleibt die Unterstützung auf die Integration und den Lebensunterhalt in Deutschland ausgerichtet.

Mit der Bezahlkarte erhalten die Länder und Kommunen weiterhin mehr Spielraum bei der Gestaltung und Ausgabe von Asylbewerberleistungen, so die weiteren Ausführungen der Bundesregierung. Die Karte ermögliche es den zuständigen Behörden, je nach individueller Situation und Region bedarfsgerechter zu entscheiden. So könnten die Höhe und Häufigkeit der Zahlungen variabel gestaltet werden, abhängig von den lokalen Bedingungen oder den individuellen Bedürfnissen der Geflüchteten. In Fällen, in denen eine Bezahlkarte weniger sinnvoll erscheint – zum Beispiel bei Personen, die Einkommen aus Arbeit, Ausbildung oder BAföG beziehen und ein Girokonto haben – können die Leistungen alternativ auf das Konto überwiesen werden. Durch die Bezahlkarte lassen sich die bereitgestellten Gelder gezielt einsetzen, um den geflüchteten finanziellen Sicherheit im Alltag zu geben, während gleichzeitig sichergestellt wird, dass die Mittel ausschließlich für notwendige Lebenshaltungskosten in Deutschland verwendet werden.

Die Einführung der Bezahlkarte schaffe zudem einheitliche Standards für die Auszahlung von Asylbewerberleistungen in Deutschland und sorge für eine rechtliche Grundlage, die den Ländern und Gemeinden eine einheitliche Handhabung ermöglicht. Nach umfassender Abstimmung und Gesetzesänderung haben alle Bundesländer Zugriff auf die festgelegten Mindeststandards und können die Bezahlkarte entsprechend der individuellen Bedürfnisse in ihren Regionen gestalten.

Aktuell leben 966 geflüchtete Menschen in Viersen, die sich auf 21 Nationalitäten verteilen. Die Mehrheit, 824 Personen, stammt aus der Ukraine und ist größtenteils in privatem Wohnraum untergebracht. Eine Überfüllung der Landesaufnahmequote um 121,3 % hat dazu geführt, dass Viersen derzeit nur vereinzelt Neuankömmlinge aufnimmt, hauptsächlich im Rahmen von Familienzusammenführungen.

Von den insgesamt 966 geflüchteten Menschen befinden sich 52 unbegleitete minderjährige Ausländer, hauptsächlich aus Syrien und Afghanistan, in der Betreuung des Fachbereichs Kinder, Jugend und Familie. Die räumliche Verteilung der Geflüchteten im Stadtgebiet zeigt, dass Viersen bislang in der Lage war, eine bedarfsgerechte Unterbringung sicherzustellen und für viele Schutzsuchende eine Lebensumgebung außerhalb der zentralen Unterkünfte zu schaffen.

Die Diskussion um die Bezahlkarte wird in Viersen noch fortgeführt. Eine Entscheidung steht aus, und der Integrationsrat plant auf der Grundlage weiterführender Informationen erneut zu beraten. Alle Kommunen stehen dabei vor der Aufgabe nicht nur eine kurzfristige Lösung für die geflüchteten Menschen zu finden, sondern auch langfristig eine politische Linie zu entwickeln, die Integration und gesellschaftliche Teilhabe fördert. (sk)

Foto: Michal Jarmoluk/Pixabay