Die KG Helenabrunn zündete den ersten Funken im Vierscher Saalkarneval

Noch bevor der Jahreswechsel überhaupt in Sichtweite geraten ist, hat die Karnevalsgesellschaft Helenabrunn am gestrigen Abend den Sitzungskarneval in Alt-Viersen eröffnet.
Von RS-Redakteurin Sabrina Köhler und Martin Häming

Viersche – Mit einer ungewöhnlich frühen Auftaktveranstaltung hat die Karnevalsgesellschaft Helenabrunn am gestrigen Abend den Sitzungskarneval in Alt-Viersen eröffnet. Im Evangelischen Gemeindehaus an der Königsallee bot die Gesellschaft ein abwechslungsreiches Programm aus Ehrungen, Musik, Redebeiträgen und Tänzen. Die rundum dicht gefüllte Bühne, zahlreiche Traditionsvereine sowie prominente Gäste aus dem lokalen und regionalen Karneval prägten den Abend, der damit einen offiziellen Startpunkt der neuen Session setzte – wenn auch früher als viele Jecken es gewohnt sind. Die in Viersen ungewöhnlich frühe Galasitzung war im Vorfeld direkt aus verschiedenen Gründen häufig nicht auf fruchtbaren Boden gefallen und führte im Vorfeld zu Gesprächsbedarf innerhalb der närrischen Familie. Der eine oder andere ließ daher sein Ornat an diesem Abend im Schrank.

Dennoch, der Saal war durchweg besetzt und bereits beim Einzug der Gesellschaft brandete der erste Klatschmarsch auf: Senatoren, die Lenebürscher, die Tanzgarde Alt Viersen 2020 e. V. und dazu die strahlenden Farben der Narren im Publikum – alles zusammen ergab ein lebendiges Mosaik aus Tradition und Vorfreude. Präsident Helmut Schatten führte mit gewohnt ruhiger Hand durch den Abend, während Detlef Kremers den rhythmischen Herzschlag des Saals setzte.

Foto: Rheinischer Spiegel/Martin Häming

Schon früh setzte der Abend ein kraftvolles Zeichen: Die Ehrungen der Senatoren Marcus Hunziger – seines Zeichens Präsident und Trainer der Tanzgarde Alt Viersen 2020 e. V. – sowie Thomas Poos und Stefan Malorny würdigten Engagement, das weit über die Grenzen einer Session hinausreicht. Doch bevor sich die Stimmung überhaupt wieder setzen konnte, erhob sich der Saal für eine Persönlichkeit, die im Viersener Karneval tiefer verwurzelt ist als so manche Kiefer in den Weiten des Niederrheins: Hans-Willy Bouren.

Der Karnevalsverband linker Niederrhein verlieh ihm den KLN-Orden in Gold – eine Auszeichnung, die kaum treffender hätte fallen können. Bouren, 1944 geboren, trägt ein Leben voller Ehrenämter, Brauchtumspflege und kommunaler Verantwortung wie eine zweite Haut. Groß- und Einzelhandelskaufmann, Vertriebsleiter Außendienst, Kinderprinz von Helenabrunn, Mitgründer des Lennebürscher Ordens, langjähriger Senator, Prinz der Session 1998/99 gemeinsam mit seiner Brigitte – und das ist nur der Anfang einer Liste, die ebenso beeindruckend wie bewegend ist. Bruderschaften, Ritterschaften, Prinzengarden, jahrzehntelange Ratsarbeit, stellvertretender Bürgermeister, Träger des Ehrenrings der Stadt Viersen, des Goldenen Vierscher Herzens, des Bundesverdienstkreuzes – und über allem sein unerschütterliches Engagement für die Concordia, deren Name nur fällt und schon raunt der Saal anerkennend.

Foto: Rheinischer Spiegel/Martin Häming

Die Laudatio, gehalten von Bürgermeister Christoph Hopp, verwandelte sich zu einem poetischen Bühnenstück – voller Witz, Rhythmus und Respekt. Der Saal lauschte so aufmerksam, dass man das Rascheln eines Karnevalsordens hätte hören können. Jeder Vers traf, das Publikum lachte, nickte, war berührt. Und als der Bürgermeister zum Schluss in ein stehendes Applaudieren überleitete, fühlte man: Dieser Moment war nicht nur Ehrung, sondern Geschichte.

Doch die Bühne sollte an diesem Abend ein weiteres Mal zur Plattform eines herausragenden Lebenswerks werden. Helmut Schatten selbst erhielt den Orden des Bund Deutscher Karneval in Gold mit Brillanten – eine der höchsten Auszeichnungen, die der deutsche Karneval vergibt. Schatten, 1961 in Nettetal geboren, steht seit Jahrzehnten im Zentrum karnevalistischen Wirkens: Prinz der Ki Ka Kai a 1985, Prinz der Narrenherrlichkeit 2023/2024, unermüdlicher Sitzungspräsident, Motor von Benefizaktionen, Mitgestalter unzähliger Vereinsprojekte. Sein Engagement umfasst rund 20 Vereine und dürfte sich kaum in Zahlen fassen lassen – wohl aber in der Leidenschaft, die an diesem Abend spürbar wurde.

Foto: Rheinischer Spiegel/Martin Häming

Als schließlich das Prinzenpaar Wolfgang III. und Estefania I. mit ihrem Gefolge und der Prinzengarde der Viersener Narrenherrlichkeit einzog – angeführt vom Viersener Tambourcorps -, hob sich die Stimmung in eine weitere Ebene des Festlichen. Sie sangen, sie feierten und die Garde tanzte – mit Regimentstochter Anna-Lena, deren akrobatische Finesse seit der letzten Session zum Glanzpunkt vieler Auftritte zählt. Der Saal kochte, und die Prinzengarde lieferte ihre legendäre Zugabe ab. Nicht vergessen will dabei allerdings das Gastgeschenk, welches das Prinzenpaar in dieser Session mitbringt: Ein Baum. Gut noch nur ist es ein symbolischer Baum, doch im nächsten Jahr soll dann ein echter gepflanzt werden.

Foto: Rheinischer Spiegel/Martin Häming

Kaum war der Applaus verhallt, da zogen zwei Herren die Aufmerksamkeit auf ihre ganz eigene Weise auf sich: Achim und Harry. Wer Zwiegespräche kennt, kennt ihre Kunst, doch was sie an diesem Abend boten, war eine kleine Meisterklasse in rheinischem Humor. Ein Blick, ein Satz, ein Konter – das Publikum bog sich vor Lachen, als würden die beiden seit Jahrhunderten auf dieser Bühne stehen.

Foto: Rheinischer Spiegel/Martin Häming

Moment, da fehlte doch noch ein Vierscher Gewächs. Wenn schließlich ihr Trainer als Ehrensenator ausgezeichnet wird, dann darf auch ein Tanz der Tanzgarde Alt Viersen 2020 nicht fehlen. Ihm zu Ehren und natürlich für die närrische Welt wurden die Beine so hoch in die Luft geschwungen, dass die in den späten Stunden der Nacht nun gerade tippende Schreiberin fast schon neidisch wurde. Nein, ein Spagat geht dann auch nicht mehr, umso wunderbarer war es daher zu sehen, wie die jungen Damen die Bühne eroberten.

Foto: Rheinischer Spiegel/Martin Häming

Musikalisch ging es weiter: HaPe Jonen brachte mit Trompete, Ukulele, einer Stimme, die durch Mark und Bein geht, und einem Boogie-Woogie-Tempo, das selbst müde Tanzbeine erweckte, eine unverwechselbare Mischung aus Nostalgie und Temperament.

Foto: Rheinischer Spiegel/Martin Häming

Als danach Ausbilder Schmidt die Bühne betrat, veränderte sich die Stimmung im Saal schlagartig – als hätte jemand den Tarnmodus des Humors auf „Alarmstufe Rot“ gestellt. Holger Müller, der Mann hinter der legendären Kunstfigur, marschierte in seiner altbekannten, olivgrünen Uniform auf, das korallenrote Barett schief auf dem Kopf, und brüllte sein berühmtes „Morgen, ihr Luschen!“ in den Raum. Die Gäste reagierten routiniert und lautstark mit „Morgen, Chef!“, sodass für einen Moment das Evangelische Gemeindehaus mehr an einen Truppenübungsplatz erinnerte als an eine Karnevalsbühne.

Schmidt legte los, wie man es von ihm kennt: laut, präzise, komisch – mit einer Mischung aus überzeichneter Bundeswehr-Logik, trockenem Sarkasmus und einer Beobachtungsgabe, die an diesem Abend erstaunlich viele Alltagssituationen entlarvte. Er erzählte von seinen Erlebnissen in der Grundausbildung, von Kameraden, die seiner Ansicht nach „selbst als Kleiderbügel überfordert wären“, und von modernen Herausforderungen, die laut ihm „in keinem Dienstgradhandbuch vorgesehen“ seien. Besonders seine Anekdoten über Bürokratie, Zivilleben und digitale Missverständnisse lösten immer wieder lautes Gelächter aus.

Foto: Rheinischer Spiegel/Martin Häming

Müllers Erfahrung als Bühnendarsteller wurde in jeder Geste sichtbar: Er marschierte abrupt an den Bühnenrand, fixierte einzelne Zuschauer, konterte Zwischenrufe mit geübter Schärfe und traf mit seiner überdrehten Kommandoton-Art genau das humoristische Zentrum des Publikums. Zwischendurch klappte er scheinbar mühelos in authentische Erinnerungen aus seiner eigenen Militärzeit – mit Begriffen, die so mancher im Saal nur halb verstand, aber komplett komisch fand. Als er sich schließlich mit einem letzten donnernden „Weitermachen!“ verabschiedete, war klar: Auch wenn nicht alle Programmpunkte dieses Abends überall Zustimmung fanden, dieser Auftritt schaffte es große Teile des Publikums mitzureißen und für einige Minuten in echtes, unbeschwertes Lachen zu versetzen.

Foto: Rheinischer Spiegel/Martin Häming

Akrobatisch und tänzerisch brillierte ebenfalls die Tanzgarde Marialinden. Ihre Hebefiguren schienen die Decke zu berühren, die Würfe ließen das Publikum staunen, und die Musik brachte die Halle in rhythmisches Wippen. Jede Choreografie war ein kleines Kunstwerk – ein rot-schwarzes Feuerwerk aus Energie und Disziplin.

Ach ja, sind se net scheen … der Moment als Viersche zur Großstadt wurde. Das Prinzenpaar der Landeshauptstadt Düsseldorf – das frisch proklamierte Prinz Marcus I. (Marcus Hülscher) und Venetia Nicole (Nicole Nothen) – zog mit seiner Begleitung in das Gemeindehaus ein. Als Prinzenpaar der 201. Session im Düsseldorfer Brauchtum repräsentieren sie die Metropole am Rhein und brachten entsprechend viel Glanz und Tradition mit nach Viersen.

Begleitet von der Prinzengarde, deren strahlende Uniformen und präzise Formation sofort ins Auge fielen, präsentierten sie sich dem Publikum mit sichtbarer Freude an der jungen Session. Besonders beeindruckend war der Auftritt des Mariechens, das mit einer energiegeladenen, sauber ausgeführten Tanzdarbietung Akzente setzte und den Saal spürbar belebte. Vergessen werden will aber auch nicht das wunderbare Lied des Prinzenpaares und auch die Stimmen der Prinzengarde blieben nicht still zur Musik.

Foto: Rheinischer Spiegel/Martin Häming

International wurde es, als der erste singende Pizzabäcker Deutschlands – Fabio Gandolfo – die Bühne enterte. Während Pizzateig wie ein jonglierter Planet über seinen Händen kreiste, sang er Schlager mit italienischem Charme.

Foto: Rheinischer Spiegel/Martin Häming

Dann kamen sie, die Boore: Lederhosen, kölsche Tön’, Kultstatus. „Rut sin de Ruse“ brauchte keine drei Sekunden, um die Halle in ein wogendes, laut singendes Meer zu verwandeln. Die Hits folgten Schlag auf Schlag – jeck, rhythmisch, heimatlich. Mit ihren Stimmen und ihrer Art verwandelten sie den Saal in ein kleines kölsches Festzelt.

Die Boore legten los, als würde sie den Saal von Null auf Hundert in einem einzigen Takt nach vorne katapultieren. Mit ihrem typischen Sound – einer Mischung aus kölscher Mundart, poppigen Melodien und einer Bühnendynamik, die sich sofort auf das Publikum übertrug – zündeten die Boore ein musikalisches Feuerwerk. Die Band spielte sich direkt in jene emotionale Schnittstelle zwischen Karneval, Heimatgefühl und ausgelassener Feierfreude, die sie seit Jahren auszeichnet.

Foto: Rheinischer Spiegel/Martin Häming

Doch es blieb nicht bei einem Klassiker. Mit Liedern wie „Jeck es Jeil“, „Rut un Wiess“ oder „Su oder Su“ brachten sie die typische kölsche Leichtigkeit in den Raum: ein Wechselspiel aus eingängigen Melodien, Humor, Heimatgefühl und tanzbaren Rhythmen. Das Gemeindehaus verwandelte sich für eine halbe Stunde in einen kleinen, aber höchst lebendigen Ableger einer Kölner Karnevalsbühne. Die Band spielte präzise und gleichzeitig mitreißend, jeder Einsatz saß, und doch wirkte alles spontan und spielerisch. Diese Mischung verlieh ihrem Auftritt jene besondere Qualität, die man selten künstlich erzeugen kann: Es war ehrlich, lebendig und zutiefst karnevalistisch.

Den Schlusspunkt setzten De Kellerjunges – jene Band, die einst in einem Keller begann und heute jedes Publikum innerhalb weniger Akkorde begeistert. Mit Klassikern wurde das Gemeindehaus endgültig zum singenden, tanzenden, vibrierenden Herz der neuen Session. Es war eben Stück kölsche Musikgeschichte – und zwar so authentisch, wie man es nur von einer Band erwarten kann, die seit 1990 gemeinsam unterwegs ist und ihren Namen sprichwörtlich einem Probenraum im Keller verdankt. Dieser Ursprung schwingt bis heute in ihrer Ausstrahlung mit: bodenständig, nahbar und gleichzeitig voller Bühnenroutine, die aus unzähligen Auftritten über drei Jahrzehnte gewachsen ist.

Foto: Rheinischer Spiegel/Martin Häming

Der Klang ihrer Instrumente – warm, vertraut, mit einem deutlichen Schlag kölschem Lebensgefühl – füllte den Raum schneller als man „Viva Colonia“ sagen konnte. Die Kellerjunges haben die seltene Fähigkeit, schon mit wenigen Tönen das Publikum abzuholen. Ihre Liedauswahl war ein Streifzug durch jene Klassiker, die viele Gäste nicht nur kannten, sondern förmlich im Herzen tragen. De Kellerjunges setzten ein kraftvolles Zeichen. Und die Vierstadt Viersen antwortete mit Begeisterung. (sk)