Laut für die Freiheit: Das Jugendparlament rief, Mönchengladbach folgte

Am gestrigen Freitag verwandelte sich der Mönchengladbacher Sonnenhausplatz in ein pulsierendes Zentrum demokratischen Engagements. Unter dem Motto „Neutral sein reicht nicht“ hatte das Jugendparlament Mönchengladbach zu einer Demonstration aufgerufen, die mit beeindruckender Resonanz beantwortet wurde. Rund 1.500 Menschen folgten dem Appell und setzten gemeinsam ein starkes Zeichen für Toleranz, Vielfalt und gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Von RS-Redakteurin Sabrina Köhler und Inge Kroese

Mönchengladbach – Bereits vor dem Start füllte sich der Platz mit einer bunten Menge: Familien mit Kindern, Jugendliche mit selbst gestalteten Plakaten, Senioren – Menschen aller Generationen und Hintergründe fanden hier zusammen. Doch bevor die Auftaktkundgebung beginnen konnte, sorgte ein technisches Problem für Irritation: Die Mikrofone fielen aus. Der Verdacht lag nahe, dass jemand absichtlich die Sicherung herausgetreten hatte. Doch dieser Versuch, die Stimmen der Demonstrierenden zu unterdrücken, scheiterte. Als die Technik wieder funktionierte, richtete eine Sprecherin klare Worte an die Menge: „Wir lassen uns nicht zum Schweigen bringen!“

Foto: Rheinischer Spiegel/Inge Kroese

Die Demonstration, die vom Sonnenhausplatz durch die Innenstadt führte, verlief friedlich und ohne größere Störungen – auch wenn es einige kleinere Situationen am Rande gab, die von der Polizei souverän gelöst wurden. Doch die Botschaften waren unmissverständlich: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer machten deutlich, dass es in einer Zeit zunehmender gesellschaftlicher Spaltung nicht ausreicht, neutral zu bleiben. „Demokratie bedeutet, gehört zu werden und mitzubestimmen. Doch dafür müssen wir laut sein“, erklärte eine der Demonstrantinnen.

Mit Blick auf die bevorstehende Bundestagswahl und die besorgniserregend hohen Umfragewerte rechtsextremer Parteien war der Protest mehr als nur ein Zeichen – er war ein Aufruf zum Handeln. „Ich habe Angst um meine Zukunft und die meiner Mitmenschen“, erklärte eine Teilnehmerin emotional. „Wir stehen heute hier für alle, die in dieser Gesellschaft marginalisiert werden – für Menschen mit Migrationsgeschichte, für Frauen, für queere Menschen, für alle, die Diskriminierung erfahren.“

Foto: Rheinischer Spiegel/Inge Kroese

Die Demonstrierenden wurden auch von politischen Vertretern unterstützt, auch wenn diese keinen Platz auf der Bühne fanden, die dem Jugendparlament gehörte. CDU-Landtagsabgeordneter Jochen Klenner betonte die Notwendigkeit parteiübergreifender Zusammenarbeit: „Wir müssen jetzt geschlossen für die Demokratie eintreten.“ Auch Lena Zingsheim-Zobel (Grüne) und Oberbürgermeister Felix Heinrichs (SPD) lobten das Engagement der Jugend. „Dass so viele junge Menschen hier sind, macht Mut für die Zukunft“, unterstrich SPD-Bundestagsabgeordnete Gülistan Yüksel.

Lange geplant hatte man für diese Veranstaltung, zu diesem Zeitpunkt war eine neue Bundestagswahl noch gar nicht in Sicht. „Wir wussten weder, dass in zwei Wochen eine vorgezogene Bundestagswahl stattfinden wird, noch dass in ganz Deutschland wieder Menschen auf die Straßen gehen würden. Wir wussten nicht, wie wichtig diese Veranstaltung werden würde. Das ist für uns, das ist für uns nämlich Demokratie“, schallte es aus dem Lautsprecher.

„Das Privileg zu haben, hier stehen zu können. Das Privileg zu haben, sich seine eigene Meinung bilden zu können. Das Privileg zu haben, sich mitteilen zu können, sagen zu können, wenn uns etwas nicht passt, aber auch gehört zu werden, gefragt zu werden, bei Themen, die uns was angehen, bevor Dinge über unserem Kopf bestimmt werden. In einer Welt leben zu dürfen, in welcher man wirklich gehört wird. Dafür reicht Neutralität leider nicht aus. Dafür muss man ein Zeichen setzen. Ich mache mir nicht nur Sorgen, sondern ich habe Angst davor, in einer Welt zu leben, die so voll von Hass und Hetze ist. Ich habe Angst um meine eigene Zukunft und noch viel viel mehr um die meiner Mitmenschen, dessen Existenz von rechtem Gedankengut bedroht wird. Heute versammeln wir uns für alle, die nicht in das rückständige Weltbild von FaschistInnen passen. Für Menschen mit Migrationsgeschichte, für Frauen, für Queere und Transpersonen, für Menschen mit Behinderung und für all jene, die ausgegrenzt und unterdrückt werden.

Es ist schockierend und man sollte sich immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass der Mann innerhalb einer Ehe das Recht hatte, alle Entscheidungen, die das gemeinschaftliche oder eheliche Leben betrafen, zu treffen. Unsere Uromas, Omas und Mütter haben für unsere Rechte gekämpft, damit ihre Kinder, Enkelin und Urenkelin ein besseres Leben führen können. Und langsam entwickeln wir uns zurück. Warum müssen wir einen Kampf kämpfen, den sie schon längst gewonnen haben? Wir brauchen PolitikerInnen, die sich für uns stark machen und diese Themen nicht mit rechter Hetze beantworten.

Foto: Rheinischer Spiegel/Inge Kroese

Denn wenn ich im Dunkeln durch Mönchengladbach laufe, habe ich Angst vor jedem Mann. Die Herkunft ist irrelevant. Es sind patriarchale Strukturen, die Gewalt ermöglichen und begünstigen. Es reicht nicht, nichts zu sagen. Positioniert euch klar antirassistisch, antisexistisch, anti-queer-feindlich. Ergreift Partei für Menschen die Diskriminierung erfahren und zeigt, dass sich jemand kümmert. Engagiert euch politisch und besucht Demonstrationen.“

Besonders eindrucksvoll war die musikalische Untermalung: Rapperin Simah brachte mit ihren kraftvollen Texten die Emotionen auf den Punkt. „Das ist unser Soundtrack gegen Hass“, rief sie von der Bühne, während der Demonstrationszug durch die Hindenburgstraße zog und lautstark „Nazis raus!“ skandierte. Doch nicht alle Zuschauer teilten die Werte der Demonstrierenden. Ein Mann schwenkte eine Deutschlandfahne aus dem Fenster und schrie Parolen gegen die Protestierenden.

Als die Abschlusskundgebung gegen 19:30 Uhr endete, war eines klar: Diese Demonstration war mehr als ein Protest. Sie war ein kraftvolles Bekenntnis zur Demokratie, ein Weckruf gegen Gleichgültigkeit und ein Zeichen der Hoffnung. Mönchengladbach hat bewiesen: Neutralität ist keine Option. Wer für eine gerechte Gesellschaft kämpft, muss Haltung zeigen – und genau das haben die Menschen eindrucksvoll getan. (sk)

Foto: Rheinischer Spiegel/Inge Kroese