Alle nannten ihn Buddha. Wenn jemand Unterricht bei Buddha hatte, wurde er bemitleidet. Buddha konnte nicht unterrichten. Alle sagten das. Kaum einer nahm ihn Ernst. Aber er konnte lächeln. Selbst wenn jemand Unfug angestellt hatte, lächelte Buddha.
Von Peter Josef Dickers
Literarisches – Ein halbes Jahr vor dem Abitur beschloss ich, einen Hebräisch-Kurs zu belegen. Einziger Hebräisch-Lehrer war Buddha. Ich spürte den unverhohlenen Spott meiner Mitschüler. Dennoch fragte ich ihn, ob es möglich sei. Buddha lächelte. Wenn ich bereit wäre, wöchentlich mindestens zwei Mal mit ihm Hebräisch zu pauken, könnte ich das schaffen.
Nach dem Unterricht blieb ich in der Schule, weil auch Buddha für mich in der Schule blieb. Er packte sein Butterbrot aus, und ich kramte meine Stulle aus der Tasche. Manchmal aß ich sein Käsebrot und er meine Wurstschnitte. Wir kauten und buchstabierten das hebräische Alphabet. Ich lernte die hebräische Bibel lesen und erfuhr, dass „Tohuwabohu“ am Anfang der Schöpfungsgeschichte steht: „Die Erde war wüst und leer.“ Ich fühlte mich auch so. Buddha weckte mein Interesse, die Leere zu füllen.
Die Abiturprüfungen liefen in einem anderen Rahmen ab als heute. Jeder Abiturient musste nach der schriftlichen in die mündliche Prüfung. Das Schicksal entschied sich gegen mich. Ich musste ins Hebräische. Buddha sah mich untröstlich. Aber er lächelte. Ich könnte das schaffen, ermunterte er mich. Ein langer Text wurde mir zum Übersetzen vorgelegt. Schon weil er lang war, schien ich chancenlos zu sein. Dann holte mich Buddha zur Prüfung ab. Lächelnd erkannte er, wie ich mich fühlte. Kurz vor der Tür des Prüfungsraums blieb er stehen und sagte: „Wenn du gleich die vielen Lehrer siehst, die uns zuhören, dann denk daran: Nur zwei Leute verstehen Hebräisch – du und ich.“
Hebräisch war mein Lieblingsfach. (opm)
Aus dem Buch: Ein bisschen Sehnsucht
Peter Josef Dickers wurde 1938 in Büttgen geboren. Nach einem Studium der Katholischen Theologie sowie der Philosophie und Pädagogik in Bonn, Fribourg/Schweiz, Köln sowie Düsseldorf erhielt er 1965 die Priesterweihe. Anschließend war er in der Seelsorge und im Schuldienst tätig, bis er sich 1977 in den Laienstand rückversetzen ließ und heiratete. Nach der Laisierung war er hauptamtlich tätig an den Beruflichen Schulen in Kempen (jetzt Rhein-Maas-Kolleg) mit den Fächern Kath. Religionslehre, Pädagogik, Soziallehre, Jugendhilfe/Jugendrecht.
„Seit der Pensionierung bin ich weiterhin engagiert durch meine Schreibtätigkeit, mein Vorlese-Engagement in diversen Einrichtungen und sonstige Initiativen. In den Sommermonaten lese ich zeitweise als „Lektor“ auf Flusskreuzfahrt-Schiffen aus meinen bisher erschienenen Büchern“, so Peter Josef Dickers, der mittlerweile in Mönchengladbach beheimatet ist.