Literarisches: Ein tolles Spiel

Es war wirklich ein tolles Spiel. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich zuletzt in einem Fußballstadion war, und dann noch in einem solchen Tempel. Ehrfürchtig genoss ich die Atmosphäre. Zu Tempeln habe ich eine besondere Beziehung. Allerdings stehen sie woanders und sind nicht so voll wie dieser.
Von Peter Josef Dickers

Literarisches – Ziemlich früh hatte ich mich auf den Weg gemacht. Ich musste eine Stunde mit dem Zug fahren und wollte vorher die Stadt genießen, die sich diesen Tempel leistet. Es war wie bei einer Wallfahrt. Ein Meer von Fahnen empfing mich. Mehr oder weniger melodische Gesänge erfüllten den Platz vor dem Bahnhof. Aus einem beschaulichen Gang durch die Altstadt wurde ein hektischer Prozessionsweg. Ich trieb dem Stadion-Tempel entgegen.

Die Eintrittskarte hatte mir ein Gönner geschenkt. Jemand, den ich nicht kannte. Ein Anruf im Fußball-Hauptquartier bestätigte, dass die Karte echt war. Kein Stehplatz in der Fan-Kurve. Der Gönner war ein edler Gönner. Kurz vor Spielbeginn saß ich noch allein im Gönner-Block. Irgendetwas konnte nicht stimmen. Rundherum Fanatismus und Enthusiasmus. Das Hochamt musste bald beginnen. Aber um mich herum leere Sitze. Dann schritten Damen und Herren von oben kommend herunter, nahmen neben und vor mir Platz. Fans sahen anders aus. Mein Nachbar zur Rechten erkundigte sich, ob ich mit dem Service zufrieden wäre. Obwohl noch keine Tore gefallen waren, nickte ich zustimmend.

Es wurde ein tolles Spiel. Da auf beiden Seiten ein Tor fiel, konnte ich mal für die einen, mal für die anderen jubeln. Über Lautsprecher gab es musikalische Sondereinlagen. Ein Oberpriester pries Taten und Vorzüge der Akteure. Die Lesungen in Tempeln, die ich ansonsten besuche, hören sich weniger dramatisch an. Vermutlich gab es zur Halbzeit eine Ansprache. Unverständlich für mich, dass fünf Minuten vor Halbzeit-Beginn Aufbruchstimmung im Block einsetzte. So geschlossen, wie sie gekommen waren, zogen die Damen und Herren zurück nach oben. Was war oben? Ich ging den Herrschaften hinterher. Oben wurde serviert. Kuchen und Kanapees wurden gereicht. Ich fragte nach einem Bier und was es kostete. Die Frage war unangemessen. Mit kostenfreien Häppchen auf der Hand startete ich in die zweite Halbzeit.

Für wen das Tor kurz vor Spielende fiel, war nicht so wichtig. Die Block-Karawane zog bereits nach oben. Leider hatte ich keinen Tisch reserviert, aber das Steak medium schmeckte auch im Stehen. Ich wusste nicht, dass bei Tempel-Feiern gespeist und diniert wird. Ich hätte einige Fragen gehabt, aber sie wären unangemessen gewesen.

Wenn ich wieder in meinem mir vertrauten Tempel bin, wird er weniger voll und der Service bescheiden sein. Ich werde mich fragen, warum jener Tempel ausverkauft war, mein Tempel dagegen viele freie Plätze hat. Gibt es nicht genug Gönner für meinen Tempel? Sollte auch mein Tempel Fahnen und Fan-Artikel aus dem Schrank holen und die Besucher mit Pauken und Trompeten Einzug halten? Ich werde es vorschlagen. (opm)

Foto: Rheinischer Spiegel/Martin Häming

Foto: Privat

Peter Josef Dickers wurde 1938 in Büttgen geboren. Nach einem Studium der Katholischen Theologie sowie der Philosophie und Pädagogik in Bonn, Fribourg/Schweiz, Köln sowie Düsseldorf erhielt er 1965 die Priesterweihe. Anschließend  war er in der Seelsorge und im Schuldienst tätig, bis er sich 1977 in den Laienstand rückversetzen ließ und heiratete. Nach der Laisierung war er hauptamtlich tätig an den Beruflichen Schulen in Kempen (jetzt Rhein-Maas-Kolleg) mit den Fächern Kath. Religionslehre, Pädagogik, Soziallehre, Jugendhilfe/Jugendrecht.

„Seit der Pensionierung bin ich weiterhin engagiert durch meine Schreibtätigkeit, mein Vorlese-Engagement in diversen Einrichtungen und sonstige Initiativen. In den Sommermonaten lese ich zeitweise als „Lektor“ auf Flusskreuzfahrt-Schiffen aus meinen bisher erschienenen Büchern“, so Peter Josef Dickers, der mittlerweile in Mönchengladbach beheimatet ist.