Literarisches: Ich wollte fasten. Dann las ich das Kleingedruckte

„Sie wohnen in wunderschönen Ferienwohnungen, farblich abgestimmt und geschmackvoll eingerichtet. Für Gemütlichkeit und Entspannung sorgt eine Sauna im Fastenhaus.“ War es das, was ich suchte?
Von Peter Josef Dickers

Literarisches – Es ist Fastenzeit. Der Anlass also gegeben. Eine Regeneration von Körper, Geist und Seele versprach mir die Anzeige, wenn ich bereit wäre zu fasten. War es an der Zeit, meinen Körper zu entschlacken und für geistige Klarheit zu sorgen? Der Fastende würde mit Fastensuppen, Säften und Tees verwöhnt. Entschlackung, Selbsterfahrung und Loslassen wären wie eine Reise zu inneren Werten. Körper und Geist würden es mir danken.

Dennoch konnte ich mich nicht entschließen, für eine bioaktive Entgiftung ins Fastenhaus überzusiedeln. Auch Gemüsesaft und Buttermilch, verbunden mit Mittagsruhe und Leberwickel, waren kein hinreichender Motivationsschub. Ich war bereit zu fasten; aber musste ich dafür eine Tortur für Körper und Geist auf mich nehmen? Der Ernährungsexperte in mir warnte mich vor dem Fastenexperten.

Ich suchte Alternativen. Heilfasten im Kloster. Fastenwandern im Vogtland. Fastenreisen und Fastenurlaub im Himalaya. Der Himalaya war zu weit weg. Fasten an der Ostsee bot sich an. „Lassen Sie sich verzaubern vom Charme der Ostseeküste. Entspannen Sie in der Weite der Strände.“ Wandern würde die Stimmung heben, stand im Prospekt, baue Stress ab und fördere die Entschlackung. Ich wusste zwar nicht, welche Schlacken ich mit mir herumschleppte, aber mein Interesse war geweckt.

Foto: congerdesign/Pixabay

Dann las ich das Kleingedruckte. „Um 9.00 Uhr treffen wir uns zum Obstfrühstück, besprechen den Tag, füllen die Trinkgefäße und nehmen den Frühstückstee zu uns. Gegen 10.00 Uhr brechen wir auf. Am Abend gibt es verschiedene Früchte zur Auswahl.“ Der Ernährungsexperte meldete sich. Warum gab es den Charme der Ostseeküste nur in Verbindung mit Frühstückstee? Zum Glück gab es eine Alternative. „Kohlsuppenfasten und Wandern an der Ostsee“. Kohl ist gut für die Nerven. Kohl hilft bei Schlafstörungen. Kohlsuppenfasten weckte meine Neugier, da kein Verzicht auf feste Nahrung damit verbunden war. Man durfte im essen, und zwar so viel man möchte. Immer war man satt und gut gelaunt. Zusammen mit dem Wandern schien das eine ideale Kombination zu sein.

Dann las ich das Kleingedruckte. Eine Woche lang Kohlsuppe – morgens, mittags, abends. Welcher Ernährungsexperte hatte sich das ausgedacht? Meine Fasten-Sehnsucht ließ merklich nach. Ich wollte bereits aufgeben, da wurde ich auf eine Fastenreise zur Blumeninsel Madeira aufmerksam. Die Lobeshymnen der Teilnehmer nahmen kein Ende. Schon zum dritten Mal wären sie dort gewesen. Lustig und temperamentvoll waren die Tage. Hatte ich das richtige Angebot entdeckt?

Dann las ich das Kleingedruckte. Flugkosten. Hotelkosten. Tagungskosten. Materialkosten. Die Kosten reichten aus, mich ein Jahr lang in meinem Schlemmer-Restaurant verwöhnen lassen. Musste ich verreisen, um fasten zu können? Wenn Fasten mit Verzichten zu tun hat, konnte ich sofort beginnen. Ich verzichtete auf Fastenhaus und Fastenreise, auf Fastenwandern und Fastenurlaub. Fasten war einfacher als ich dachte. Weihnachten hatte ich auf Geschenke verzichtet. Schwer war mir das nicht gefallen, da ich schon alles habe. Zur Fastenzeit gibt es Seefisch und Predigt, sagen die Franzosen. Damit lässt sich fasten. Nichts sprach dagegen, damit zu beginnen. (opm)


Aus: Peter Josef Dickers, Ein bisschen Sehnsucht

Foto: Privat

Peter Josef Dickers wurde 1938 in Büttgen geboren. Nach einem Studium der Katholischen Theologie sowie der Philosophie und Pädagogik in Bonn, Fribourg/Schweiz, Köln sowie Düsseldorf erhielt er 1965 die Priesterweihe. Anschließend  war er in der Seelsorge und im Schuldienst tätig, bis er sich 1977 in den Laienstand rückversetzen ließ und heiratete. Nach der Laisierung war er hauptamtlich tätig an den Beruflichen Schulen in Kempen (jetzt Rhein-Maas-Kolleg) mit den Fächern Kath. Religionslehre, Pädagogik, Soziallehre, Jugendhilfe/Jugendrecht.

„Seit der Pensionierung bin ich weiterhin engagiert durch meine Schreibtätigkeit, mein Vorlese-Engagement in diversen Einrichtungen und sonstige Initiativen. In den Sommermonaten lese ich zeitweise als „Lektor“ auf Flusskreuzfahrt-Schiffen aus meinen bisher erschienenen Büchern“, so Peter Josef Dickers, der mittlerweile in Mönchengladbach beheimatet ist.