Deutschland/Gaziantep – „Das Ausmaß der Zerstörung ist nach wie vor unfassbar. Obwohl in vielen Teilen der Türkei die Aufräumarbeiten voranschreiten und teilweise mit dem Wiederaufbau begonnen wurde, stehen Millionen von Menschen vor dem Nichts“, erklärt Dr. Thomas Weiss, Leiter der Nahostabteilung von Malteser International. Das verheerende Erdbeben, das im Februar 2023 die Türkei und Syrien erschütterte, markierte eine der größten Katastrophen in der jüngsten Geschichte der Region. Über 57.000 Menschen haben ihr Leben verloren, während mehr als 350.000 Gebäude zerstört oder beschädigt wurden. Knapp 18 Millionen Menschen in der Türkei und dem benachbarten Syrien waren und sind direkt von den Auswirkungen des Bebens betroffen (UN OCHA). Unmittelbar nach der Katastrophe hatte Malteser International ein Nothilfeteam entsandt, das die lokalen Behörden in der Türkei, und Partnerorganisationen in Syrien bei der Bereitstellung dringend benötigter Hilfsgüter unterstützte. Jetzt, sechs Monate später, hat Malteser International die Hilfsmaßnahmen ausgeweitet und setzt sich langfristig für die vom Erdbeben betroffenen Menschen ein.
Hoher Bedarf an humanitärer Unterstützung
Laut Angaben der UN sind mehr als zehn Millionen Menschen in den betroffenen Regionen weiterhin auf humanitäre Hilfe angewiesen. „Die Bedürfnisse sind vielfältig: medizinische Versorgung und Nachsorge, psychosoziale Betreuung zur Bewältigung von Traumata sowie die Bereitstellung von Grundversorgungsgütern in Notunterkünften und Camps sind nur einige davon“, ergänzt Weiss.
Hilfsmaßnahmen in der Türkei
In der Türkei, insbesondere in den Gemeinden Kilis und Hatay, leben tausende Menschen in Notunterkünften, da ihre Häuser zerstört oder unbewohnbar sind. In Zusammenarbeit mit dem Türkischen Roten Halbmond und Hand in Hand for Aid Development (HIHFAD) stellt Malteser International Decken, Matratzen und Unterkunftspakete zur Grundversorgung bereit. Zudem betreibt die Organisation in Kilis zusammen mit der Partnerorganisation Independent Doctors Association (IDA) ein Physiotherapiezentrum, um Verletzten und Betroffenen des Erdbebens Rehabilitationsmaßnahmen anzubieten. Seit dem Erdbeben konnten mehr als 700 Therapiesitzungen durchgeführt werden. Ergänzend dazu unterstützt Malteser International in Zusammenarbeit mit den Partnerorganisationen HIHFAD, SARD und der Stadtverwaltung von Kilis die Verteilung von Lebensmittelpaketen und Bargeld zur Beschaffung von Lebensmitteln auf den lokalen Märkten. „Unsere Aktivitäten konzentrieren sich besonders auf die ganzheitliche Gesundheitsversorgung. Doch hinter all unseren Aktionen stehen die Geschichten Tausender Menschen. Die Menschen suchen das Gespräch, und die bewegenden Erzählungen, die unsere Kolleginnen und Kollegen vor Ort hören, sind unser Ansporn, weiterhin unser Bestes für die Betroffenen zu geben und sie bestmöglich zu unterstützen“, betont Weiss.
Hilfsmaßnahmen in Syrien: Eine weitere Katastrophe in einer der größten humanitären Krisen
Die bereits komplexe humanitäre Notlage in Syrien hat sich durch das Erdbeben weiter verschärft und stellt eine der größten humanitären Krisen der Welt dar. Im Nordwesten Syriens sind über vier Millionen Menschen dringend auf Hilfe angewiesen. Malteser International arbeitet in Nordwestsyrien eng mit Partnerorganisationen zusammen, um medizinische Versorgung vor Ort bereitzustellen und die Verteilung von Grundnahrungsmitteln in Notunterkünften, Camps und informellen Siedlungen zu übernehmen. Zudem installieren die Partnerorganisationen vor Ort Wasser- und Hygieneeinrichtungen.
Gegenwärtig unterstützt Malteser International sechs Krankenhäuser, eine Geburtsklinik mit Kinderkrankenhaus sowie acht Basisgesundheitsstationen in den Regionen Idlib und Nord-Aleppo. Zudem wurde im Juli im Rahmen eines Gemeinschaftsprojekts ein neues Container-Krankenhaus in Afrin eröffnet, das bis zu 150.000 Bedürftigen in der Region medizinische Versorgung ermöglicht und als Hauptreferenzkrankenhaus im Bezirk dienen wird. In Zusammenarbeit mit IDA entsandte Malteser International zudem fünf mobile medizinische Einheiten in die vom Erdbeben betroffenen Gebiete in Afrin, Azaz und Harim. HIHFAD verteilt in Camps der Region Lebensmittel, Brot, Wasser, Heizmaterial und Hygieneartikel, um eine Grundversorgung sicherzustellen. Zudem wurden von SARD insgesamt zehn Latrinen und Wassertanks in neu errichteten Notunterkünften aufgestellt.
Unterstützung für traumatisierte Kinder
„Sechs Monate sind seit dem Erdbeben vergangen. Noch immer müssen Trümmer von zerstörten Gebäuden und Infrastruktur beseitigt werden. Neben den physischen Auswirkungen leiden die Menschen vor allem unter unsichtbaren Wunden, den psychischen Traumata, die Zeit brauchen, um zu heilen“, beschreibt Bilal Al-Kurdi, Mitarbeiter der Hilfsorganisation HIHFAD, die Situation. Vor allem Kinder, Frauen und ältere Menschen in der Region leiden unter den Folgen des Erdbebens. „Um die psychische Gesundheit der Kinder zu unterstützen, ist die Einrichtung kinderfreundlicher und sicherer Orte, an denen sie spielen und für einen Moment dem Alltag in den Camps entfliehen können, eine wichtige Maßnahme“, sagt Dr. Thomas Weiss.
„Der Bedarf an humanitärer Hilfe war bereits vor dem Erdbeben immens, doch mit dieser weiteren Katastrophe vervielfacht er sich exponentiell. Wir sind dankbar für die bestehenden Partnerstrukturen vor Ort, die es uns ermöglichen, den Menschen weiterhin beizustehen – auch unter widrigsten Umständen, etwa wenn erneute Schließungen der Grenzübergänge befürchtet werden. Bisher konnten wir unsere Partnerorganisationen vor Ort mit Hilfslieferungen unterstützen, und auch wenn wir nicht wissen, was die Zukunft bringt, so ist eines sicher: Wir werden die Menschen in Nordwestsyrien nicht allein lassen und ihnen beistehen“, betont Dr. Thomas Weiss. (opm)