Weihnachtliche Geschichten – „An der Weihnachtskrippe im Hamburger Michel“

Sankt Michaelis. Der „Michel“. Dem Erzengel Michael geweiht. Bedeutendste norddeutsche Barockkirche. Wahrzeichen der Hansestadt Hamburg. Weihnachten im Michel. Unübersehbar viele Kerzen. Angezündet von unübersehbar vielen Besuchern. Christvesper für Kinder und ihre Eltern.
Literarisches zur Weihnachtszeit von Peter Josef Dickers

Advent – Der Pastor trägt ein Jesus-Kind in die Krippe. Ein Krippenspiel schließt sich an, noch nicht der Beginn des Gottesdienstes, aber es gehört dazu.
Niemand kann sich der Atmosphäre entziehen. Alle haben darauf gewartet, stimmen in die alten weihnachtlichen Lieder ein, hören die Botschaft aus dem Lukasevangelium: „Es begab sich zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde.“ Die Menschwerdung Gottes wird gefeiert.

Die symbolische Darstellung dieses Ereignisses, die Krippe im Altarraum, ist umlagert von Kindern und Erwachsenen. Sie wurde von der Puppenmacherin Barbara Runschke geschaffen. In der Presse las ich, dass die Figuren restauriert wurden, weil sie durch viele Umstände gelitten hatten. Mutter Maria hatte einen gebrochenen Arm. Auch bei anderen Mitgliedern der Heiligen Familie war orthopädische Hilfe angebracht: Arme und Beine mussten eingerenkt, Gelenke stabilisiert werden. Die Bekleidung der Figuren war ausbesserungs- oder erneuerungsbedürftig.

Foto: hbieser/Pixabay

Ohne die seit Jahren fälligen Maßnahmen konnte die Familie nicht öffentlich auftreten. Es war nicht sicher, ob sich die Gottesmutter wegen der genannten Handicaps in der Lage sah, in der Krippe Platz zu nehmen.
Besucher aus aller Welt würden kommen und zumindest aus Neugier einen Abstecher von der Reeperbahn zu Sankt Michael machen. Niemand konnte sich eine Krippe vorstellen, bei der die Mutter des Kindes durch Abwesenheit glänzte.

Inzwischen hatte ich mich nach vorn gedrängt und konnte aus relativer Nähe einen Blick auf das wundersame und zugleich menschlich-alltägliche Geschehen werfen. Gelassene Ruhe ging von den Figuren und dem Hintergrund aus, im Gegensatz zu der Betriebsamkeit im Kircheninnern.
Himmel und Erde trafen aufeinander; vor der Kirchentür eine realitätsferne Verbindung. Hier drinnen nicht nur geduldet, sondern erhofft als Verheißung einer doch nicht so heillosen Welt.

Verschiedene, im Leben selten harmonisierende Zugehörigkeiten boten sich dem Betrachter an: Zwei irdische Menschen zusammen mit einem himmlischen Kind. Nach unqualifiziertem Tun und Alltag aussehende, nicht in die gehobene Gesellschaft passende Hirten. Kulturelle und migrationsbedingte Unterschiede verratende Personen aus fernen Kontinenten.
Die sich da über das Kind beugten, hatten vor der Kirchentür wenig miteinander zu tun. Drinnen verband sie ein gemeinsames Ziel: Persönliche Befindlichkeiten beiseitelassen, sich befreien von Ängsten, wenn neue Orientierung gesucht wird. Die Weihnachtskrippe im „Michel“. Zwischen Reeperbahn und Flaniermeile Jungfernstieg. Heillose Welten gibt es nicht. (opm)


Aus: Peter Josef Dickers, Nicht unfehlbar. Geschichten in aufgeregten Zeiten, Verlag Books on Demand Norderstedt 2020, 9,99 Euro, auch als e-book lieferbar. ISBN 978-3-7526-3268-2

Foto: Winkler

Peter Josef Dickers wurde 1938 in Büttgen geboren. Nach einem Studium der Katholischen Theologie sowie der Philosophie und Pädagogik in Bonn, Fribourg/Schweiz, Köln sowie Düsseldorf erhielt er 1965 die Priesterweihe. Anschließend  war er in der Seelsorge und im Schuldienst tätig, bis er sich 1977 in den Laienstand rückversetzen ließ und heiratete. Nach der Laisierung war er hauptamtlich tätig an den Beruflichen Schulen in Kempen (jetzt Rhein-Maas-Kolleg) mit den Fächern Kath. Religionslehre, Pädagogik, Soziallehre, Jugendhilfe/Jugendrecht.

„Seit der Pensionierung bin ich weiterhin engagiert durch meine Schreibtätigkeit, mein Vorlese-Engagement in diversen Einrichtungen und sonstige Initiativen. In den Sommermonaten lese ich zeitweise als „Lektor“ auf Flusskreuzfahrt-Schiffen aus meinen bisher erschienenen Büchern“, so Peter Josef Dickers, der mittlerweile in Mönchengladbach beheimatet ist.