Brandenburg: Unterwegs im Oderbruch

Die Vielfalt einer Grenzregion – Was man im Europäischen Kulturerbe Oderbruch alles erleben kann.

Reisen – Das Oderbruch liegt am östlichsten Rand von Brandenburg. Stille Wiesen, durchzogen von Wassergräben, dazwischen ein paar niedrige Büsche und riesige Felder soweit das Auge reicht. Die Grenze zum Nachbarland Polen ist nicht weit entfernt. Von Berlin sind es bis hier hingegen nur rund anderthalb Stunden. Das frühere Sumpfgebiet ließ einst König Friedrich II., volkstümlich der „Alte Fritz“ genannt, trocken legen und von neuen Bewohnern besiedeln. Das lässt sich auch heute noch an vielen Ortsnamen erkennen: Sie heißen Neureetz, Neulietzegöricke oder Neuküstrinchen. Ebenso sind auch französisch lautende wie Vevais oder Croustillier darunter, um nur einige zu nennen. So ungewöhnlich wie manche Dorfnamen hier klingen, so eigensinnig ist auch die flache, weite Landschaft, die auf vielfältige Weise erkundet werden kann.

Das Oderbruch ist die erste Kulturlandschaft in Europa, die das Europäische Kulturerbe-Siegel erhält. Offiziell verliehen wird der Titel am 13. Juni 2022 in Brüssel. Qualifiziert dafür sind Stätten, die beispielhaft für die europäische Einigung sowie die Ideale und Geschichte Europas stehen.

Foto: Seenland Oder-Spree e.V./Florian Läufer

Von Beauregard über Neureetz bis Vevais

Im 18. Jahrhundert schufen die ersten Kolonisten das Oderbruch, die aus vielen Teilen Europas kamen. Mit bestem ingenieurtechnischen Wissen dieser Zeit entstand ein Wassersystem, das bis heute funktioniert. Für den gewaltigen Eingriff in diese Landschaft hatte König Friedrich II. alle Kräfte mobilisiert und so die Grundlage für den größten besiedelten Flusspolder Europas geschaffen. Nachdem das so entstandene Oderbruch 1753 trocken gelegt war, strömten Kolonisten aus ganz Europa hier her und schufen einen neuen und vielfältigen Lebens- und Wirtschaftsraum.

Für die Menschen, die sich infolgedessen hier ansiedelten, wurden neue Straßendörfer angelegt. Diese Orte kann man bis heute an den typischen Namen erkennen, die alle mit der Silbe „Neu“ beginnen. Sie heißen Neureetz oder Neuküstrinchen, ebenso französisch lautende wie Beauregard, Vevais oder Croustillier finden sich darunter. Die frankophonen Bezeichnungen sind darauf zurückzuführen, weil viele der ersten Siedlerinnen und Siedler aus dem französisch sprachigen Raum angeworben worden waren.

Touren per Rad, zu Fuß und mit dem Kanu

Der zuerst angelegte Ort nach der Besiedlung heißt Neuglietzegöricke und wurde inzwischen als Ortsteil der Gemeinde Neulewin vollständig unter Denkmalschutz gestellt. Im Zentrum des hübschen Ortes, direkt neben der Kirche, befindet sich das Kolonisten Kaffee im ehemaligen Dorfkonsum. Dieser Ort ist unbedingt einen Besuch wert ( Neulietzegöricke – ältestes Kolonistendorf im Oderbruch). Besonders gut geht dies mit dem Fahrrad, zum Beispiel auf der Tour, die zu besonderen Fontane-Orten im Oderbruch führt. Mehr unter http://ots.de/7Sq5A0. Ebenso die Radtour „Auf den Spuren des Alten Fritz“ führt zu mehreren Kolonistendörfern wie Letschin, Neulietzegöricke und Altlewin: Auf den Spuren des Alten Fritz – Entdeckertour

Wer in die Abgeschiedenheit dieser Landschaft eintauchen möchte, sollte die Radtour „Oderbruch – vom Berg ins Tal“ sich vornehmen. Zu sehen gibt es hier große Koppeln sowie verstreute Gehöfte, auf denen ab und an Schafe blöken. Weitere Infos hier: Oderbruch – Vom Berg ins Tal

Neue Radverbindung nach Polen

Ein Highlight für Eisenbahnfans ist eine Radtour über die ehemalige Oderbruchbahn. Sie war mehr als ein halbes Jahrhundert so etwas wie die Lebensader der Region. Mehr als 40 Stationen gab es auf den insgesamt 111 Kilometern. Sie verband die kleinen und großen Orte des Oderbruchs und bot zugleich Anschluss an die große Metropole Berlin. Heute führt der Oderbruchbahn-Radweg durch die stille Landschaft. Mehr unter: Oderbruchbahn-Radweg

Einst führte diese Eisenbahnstrecke bis über die Oder ins heutige Polen. Zwar sind die Schienen längst abgebaut, die Brücke über den Fluss steht aber noch und wurde zu einem Radweg umgebaut, so dass das Radwegenetz auf deutscher Seite nun mit dem auf der polnischen Seite direkt verbunden ist. Am 25. Juni 2022 wird die umgebaute Europabrücke von Neurüdnitz ins polnische Siekerki auch auf deutscher Seite fertiggestellt sein. Offiziell eröffnet wird die Brücke am 3. September 2022.

Gipfel zu Fuß erstürmen im Oderbruch

Alpines Wandern mit fast tausend Höhenmetern, vier Aussichtstürmen und dem einzigen Watzmann außerhalb Bayerns – auch das ist am Rande des Oderbruchs möglich. Im hügeligen und von Schluchten durchzogenen Oberbarnimer Hochplateau können sich Wanderfans zwischen Falkenberg und Bad Freienwalde auf eine herausfordernde Strecke begeben. Weitere Infos unter: Mekka für Gipfelstürmer

Ebenso zu Wasser lässt sich das Oderbruch erkunden – und zwar über die Flussläufe der Alten Oder. „Von Wriezen nach Oderberg auf der Alten Oder Nord“ heißt die Tour. Knorrige Bäume und ausgedehnte Schilfzonen prägen das Bild dieser Landschaft, die Lebensraum für zahlreiche Tiere und Pflanzen bietet. Mit Bad Freienwalde und Oderberg liegen zudem zwei sehenswerte Orte auf diesem Wasserweg. Mehr Infos zu dieser Tour unter: Von Wriezen nach Oderberg auf der Alten Oder

Ein weiteres kulturelles Highlight des Oderbruchs ist im Ort Zollbrücke zu finden. Hier steht mit dem „Theater am Rand“ eine kulturelle Spielstätte der ganz besonderen Art. Akteure und Betreiber des wohl östlichsten Theaters in Deutschland sind der Akkordeonist Tobias Morgenstern und Schauspieler Thomas Rühmann, bekannt aus der ARD-Serie „In aller Freundschaft“. www.theateramrand.de

Kultur erleben im Oderbruch ist außerdem im Filmmuseum „Kinder von Golzow“ möglich. In der gleichnamigen Langzeit-Dokumentation, die zu DDR-Zeiten begann, wird die Geschichte am Beispiel von 18 Porträts von Jungen und Mädchen aus Golzow von 1961 über die Wendezeit bis zum Jahr 2005 lebendig. www.kinder-von-golzow.com

Im Oderbruch-Museum in Altranft wird das einmaliges Wassersystem, seine Menschen und ländliche Kultur der Region präsentiert. In den Ausstellungen des historischen Gebäudes eines brandenburgischen Gutsbauerndorfs kommen vor allem die hier lebenden Menschen selbst zu Wort und berichten über das ländliche Handwerk, den Wandel ihres Dorfes sowie die Veränderungen in der Landwirtschaft. www.oderbruchmuseum.de

Vor der auf einem Höhenzug gelegenen märkischen Stadt Seelow erstreckt sich kilometerweit das Oderbruch. Wer den Ort in Richtung Küstrin passiert hat, dem fällt unweigerlich das monumentale, über vier Meter hohe Denkmal eines sowjetischen Soldaten ins Auge. Das unmittelbar nach dem Sieg über Nazideutschland errichtete Denkmal gehört wie der benachbarte sowjetische Soldatenfriedhof zur Gedenkstätte Seelower Höhen. Hier wird daran erinnert, dass die Geschichte des Oderbruchs nicht nur von seiner Kultivierung in der Ära Friedrich des II. geprägt wurde, sondern im Frühjahr 1945 die Kulisse für eine der entscheidenden Schlachten in der Schlussphase des Zweiten Weltkriegs bildete. Weitere Infos: www.seelowerhoehen.de

Ungewöhnliche Übernachtungen

Wer länger im Oderbruch bleiben möchte und mal und eine unkonventionelle Übernachtung ohne 5-Sterne-Luxus sucht, wird im Erlenhof in Kienitz fündig. Hier gibt es ein Domizil mit sechs Schäferwagen, in denen die Feriengäste übernachten können ( www.erlenhof-im-oderbruch.de). Für Eisenbahnfans gibt es in Groß Neuendorf besondere Quartiere in ehemaligen Bahnwaggons der Oderbruchbahn. Sie stehen direkt Fluss und bieten damit einen grandiosen Ausblick auf die Oder ( www.verladeturm.de). Hübsche Ferienwohnungen gibt es auch in Häusern und Gutshöfen der Kolonistendörfer. Wer es gediegener mag, der kann das Hotel Schloss Neuhardenberg als perfekten Ausgangspunkt für Touren im Oderbruch wählen. ( www.schlossneuhardenberg.de).

Ohne Auto ins Oderbruch: Um bequem ins Oderbruch zu reisen bieten sich Bahn und Bus an. Auf diese Weise kann man eine Rad- oder Wandertour in einem bestimmten Ort beginnen und einem anderen enden lassen. Von Berlin entweder den Regionalexpress RE3 bis Eberswalde oder den RE1 bis Frankfurt (Oder) nehmen. Dort umsteigen in die Regionalbahn RB60, die durchs Oderbruch fährt und beide Städte verbindet. Im Oderbruch selbst fährt zudem die Ausflugslinie 879, die unter anderem in Bad Freienwalde sowie Wriezen hält und auf die Fahrzeiten der Bahn abgestimmt ist. Mehr unter: Oderbus Ausflugslinie 879 (opm)