Ein kolossales Fest der Freude beim 75. Kappenabend der Gesellschaft Erholung

Unter dem närrischen Motto „Die Erholung fiert kolossal, et freut sich jung un aal!“ versammelten sich am gestrigen Abend Karnevalsjecken aller Generationen im ehrwürdigen Gesellschaftshaus Erholung in Viersen. Der traditionsreiche Kappenabend bot ein spektakuläres Programm voller Tanz, Musik und rheinischem Frohsinn.
Von RS-Redakteurin Nadja Becker und Martin Häming

Viersche – Hach, was für ein schöner Abend, noch immer hallt der jecke Klang in den Ohren. Gekonnt durch den Abend führte Moderator Lothar Beeck, während Björn Wagner mit seinem musikalischen Talent für den passenden Soundtrack dieser jecken Nacht sorgte. Als erfahrener Alleinunterhalter, Moderator und Entertainer ließ er mit Keyboard, Gesang und einer ordentlichen Portion Humor die Herzen der Gäste höherschlagen.

Foto: Rheinischer Spiegel/Martin Häming

Den feierlichen Auftakt des mittlerweile 75. Kappenabends der Gesellschaft Erholung e. V. gestaltete das Viersener Kinderprinzenpaar, Cilian I. und Marisa I., das mit strahlenden Gesichtern und tänzerischem Können den Saal betrat. Ihr mitreißender Tanz riss das Publikum bereits früh mit und ließ die Vorfreude auf das weitere Programm steigen.

Foto: Rheinischer Spiegel/Martin Häming
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Es folgte eine Parade hochkarätiger Tanzgarden, die mit präzisen Choreografien und farbenprächtigen Kostümen beeindruckten. Die Roahser Funken, gefolgt von der Tanzgarde der KG Hoseria, lieferten energiegeladene Auftritte, bevor die Süchtelner Garden das Zepter übernahmen. Besonders die Kapellengarde – trainiert von Sina, Annika, Laura und Lina – sowie die Webergarde unter der Leitung von Lara Pesch begeisterten mit ihren synchronen Darbietungen.

Foto: Rheinischer Spiegel/Martin Häming
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Ein besonderes Highlight des Abends war der Auftritt der Boisheimer Karnevalsgesellschaft Ki Ka Kai a, die in Begleitung der wunderbaren Vier-Stadt-Musiker ein goldenes Mikrofon für Achim Bungardt mitbrachte. Nach über 25 Jahren unermüdlichen Einsatzes tritt Bungardt etwas in den Hintergrund – doch der Karneval in Viersen muss nicht bangen: Lothar Beeck wurde als exzellenter Nachfolger für die Moderation gefunden.

Foto: Rheinischer Spiegel/Martin Häming
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Ein weiteres charmantes Spektakel boten die Vierscher Möhnen, die vom Vierscher Kanzler liebevoll „seine Mottenkügelchen“ genannt werden. Ihre humorvolle und ausgelassene Art zeigte einmal mehr, warum die Möhnen in Viersche gute Tradition und immer zeitlos sind. Oh ja, in ihren flackert die Flamme der 5. Jahreszeit nicht nur, sie brennt voller Leidenschaft.

Foto: Rheinischer Spiegel/Martin Häming

Zum großen Finale bot die Showtanzgruppe Vierscher Mispelblüten eine atemberaubende Darbietung. Mit ihrem diesjährigen Motto „Hüttenzauber“ brachten sie jecke Stimmung, die bis spät in die Nacht anhalten sollte. Besonders bemerkenswert: Die Mispelblüten sind nicht nur in Viersen, sondern auch in Düsseldorf und Umgebung gern gesehene Gäste auf den Bühnen des Karnevals.

Foto: Rheinischer Spiegel/Martin Häming

Neben all den Show-Acts hatte die Gesellschaft Erholung noch eine besondere Überraschung zu bieten, denn wenn am kommenden Tulpensonntag der farbenfrohe Festzug durch Viersen zieht, erhalten die teilnehmenden Fußgruppen eine besondere Anerkennung. Die Gesellschaft Erholung e. V., mit 148-jähriger Tradition, wird die drei schönsten Fußgruppen prämieren. Mit dieser Ehrung soll das kreative Engagement der Gruppen gewürdigt und das Brauchtum des Karnevals weiter gefördert werden … und schließlich haben die Mitglieder der Gesellschaft Erholung einen der besten Blicke auf den närrischen Lindwurm, der bekanntermaßen über die Bahnhofstraße und damit direkt am Gesellschaftshaus mit der Nr. 36 vorbei zieht.

Preisgelder in Höhe von 555 €, 333 € und 111 € werden für die ersten drei Plätze vergeben. Während des Umzugs werden sämtliche Fußgruppen fotografiert. Diese Aufnahmen dienen der Jury als Bewertungsgrundlage, um die fantasievollsten und originellsten Darbietungen auszuwählen. Die Gesellschaft Erholung e. V. legt großen Wert darauf, die Vielfalt und den Ideenreichtum der Karnevalisten in Viersen zu unterstützen. Die Auszeichnung soll die Bedeutung der Fußgruppen für den Viersener Karneval unterstreichen und deren Beitrag zur lebendigen Gestaltung des Brauchtums hervorheben. Die Gewinnergruppen werden nach dem Umzug benachrichtigt. Die feierliche Preisverleihung findet im Rahmen des Sommerfestes am 26. Juli 2025 statt. Dort werden die Sieger offiziell geehrt.

Foto: Rheinischer Spiegel/Martin Häming

Moment, 148 Jahre ist die Gesellschaft Erholung schon alt? Tatsächlich, die Gesellschaft Erholung, gegründet im Jahr 1877, blickt auf eine bewegte Geschichte zurück. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts führten die rasante industrielle Entwicklung und der gesellschaftliche Wandel zur Entstehung zahlreicher Bürgergesellschaften in den Städten der preußischen Rheinprovinz. Diese Vereinigungen hatten das Ziel das gesellschaftliche Leben zu bereichern, indem sie Feste, Bälle, Ausflüge und kulturelle Veranstaltungen organisierten. Inspiriert wurden sie von den nach der Französischen Revolution entstandenen Salons und Zirkeln, in denen sich Bürger mit Kunst, Literatur und Politik auseinandersetzten. Namen wie „Harmonie“, „Casino“ oder „Erholung“ spiegelten dabei den Geist der damaligen Zeit wider.

Eine der ältesten dieser Gesellschaften ist die „Gesellschaft Erholung Mönchengladbach“, die bereits 1801 gegründet wurde. Ursprünglich war die Mitgliedschaft dort Unternehmern und Selbstständigen vorbehalten. Mit der Zeit entstanden zahlreiche ähnliche Vereinigungen, die zwar vergleichbare Ziele verfolgten, aber durch den Kulturkampf ab Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend konfessionell geprägt wurden.

In Viersen wurde im Jahr 1860 die „Gesellschaft Casino“ gegründet – ein Zusammenschluss protestantischer Industrieller, Kaufleute, Rechtsanwälte und Ärzte. Ihr Gesellschaftshaus befand sich in der Bahnhofstraße 14, dem heutigen Eingang zum Casinogarten. Diese Gesellschaft bestand bis 1938, bevor sie ihr Vereinshaus an die NSDAP verkaufte. Das Gebäude wurde im Zweiten Weltkrieg bei schweren Luftangriffen zerstört.

Die „Gesellschaft Erholung Viersen“ wurde 1877 gegründet. Die Bürger Konnertz, Krichel, Rütten, Schäfer und Lefen unterzeichneten am 12. April 1877 den ersten notariellen Gesellschaftsvertrag, mit dem eine Aktiengesellschaft gegründet wurde. Einer der prägenden Akteure war Hermann-Josef Braun, auf den der Schreinermeister Anton Schmitz als Vorstandsmitglied folgte. Das heutige Gesellschaftshaus an der Bahnhofstraße 36 wurde 1883 errichtet. Der Fabrikant und Unternehmer Ewald Corty beauftragte den renommierten Mönchengladbacher Architekten Wilhelm Weigelt mit der Planung und Umsetzung des Gebäudes. Weigelt, der auch den Umbau des Gebhard’schen Kontorgebäudes zum Rathaus der Stadt Viersen leitete, schuf ein repräsentatives Bauwerk, das bis heute als Veranstaltungsort dient.

Im Jahr 1932 kaufte die Gesellschaft Erholung e. V. das Gebäude, nachdem ihr vorheriges Gesellschaftshaus an der Ecke Hauptstraße/Lambersartstraße an den Gastronomen Schlunken veräußert worden war. Zwischen 1932 und 1938 existierten somit zwei Gesellschaftshäuser auf der Bahnhofstraße – das der Gesellschaft Casino (Hausnummer 14) und das der Gesellschaft Erholung (Hausnummer 36). Mit der Auflösung der Gesellschaft Casino im Jahr 1938 und der Zerstörung ihres Vereinshauses während des Zweiten Weltkriegs blieb die Gesellschaft Erholung e. V. als zentrale Institution für gesellschaftliche Veranstaltungen in Viersen bestehen. Bis heute bewahrt und pflegt sie das kulturelle Erbe der Stadt (www.erholung-viersen.de). (nb)