Unser Schiff legt in Honningsvåg an. Ein bisschen wähnt man sich am Ende der Welt. Mir geht es jedenfalls so. Obwohl sich die Sonne hinter einem Grauschleier verbirgt, wird mir bei den ungewöhnlichen Lichtverhältnissen bewusst, dass der Planet Erde begrenzt ist und gleichzeitig über sich hinausweist auf jenseitige Planeten, auf jenseitiges Leben, vielleicht auch auf ein generelles. Jenseits.
Von Peter Josef Dickers
Literarisches – Viele Mitreisende sehen das anders. Sie steigen in Busse um, die zum Besucherzentrum der Nordkap-Halle fahren. Dort können sie u. a. im Kino „atemberaubende Bilder über den hohen Norden“ betrachten. Ein Restaurant mit integriertem Café bietet Schutz vor den oft heftigen Winden der Barentssee. Nicht wenige Reisende verbringen dort ihre Zeit bis zur Rückfahrt der Busse. Warum sind sie nicht auf dem Schiff geblieben?
Ich habe ein anderes Ziel. Seit 1997 lebt die aus Nürnberg stammende Eva Schmutterer zusammen mit ihrem Mann in einem kleinen Fischerdorf wenige Kilometer vom Nordkap entfernt. „Die Zeit, nach der wir uns am meisten sehnen, ist Ende Januar, wenn die Sonne nach der langen Polarnacht wieder über dem Horizont steht. Eine viertel Minute lang dauert das am ersten Tag. Danach geht sie jeden Tag zehn Minuten früher auf und zehn Minuten später unter.“ Nachzulesen in einem ihrer Bücher.
Eva Schmutterer hat in dem kleinen Dorf die Galerie „East of the Sun“, „Östlich der Sonne“, eröffnet. Sie schreibt nicht nur. Sie malt auch. Mit besonderer Technik klebt sie auf ihre Landschaftsskizzen buntes Papier und lässt Kollagen entstehen. Die Mitternachtssonne, die steil ins Meer abstürzende Landschaft, der rote Mohn und der Leuchtturm in den Felsen sind Grundmotive ihres Schaffens, dessen Vielfalt beeindruckt. Evas Bilder fangen die auf Menschen mystisch wirkende Landschaft ein. Das ständig sich wandelnde Licht spiegelt sich in den Bildern wider. So erlebt Eva die Natur und wird ein Teil von ihr. Ich bin sprachlos.
Wer interessiert sich für Evas Kunst? Ihre Antwort: „Viele.“ Manche haben über das Internet von ihr erfahren. Es gebe Leute, die gezielt in die Galerie kommen, um ein Bild zu kaufen, sagt sie. Noch erstaunlicher für mich: Einheimische gehören zu ihren besten Kunden, nicht gelegentliche Kunst-Interessierte aus Europa und Amerika. Es gebe nicht viele Häuser hier, in denen kein Bild von ihr hänge.
Einige Bilder möchte man sofort mit nach Hause nehmen: „Der ferne Horizont“. Eine Frau in einer weiten Landschaft schaut auf das Meer. Die winterliche „Kirche in Honningsvåg“ mit einem Mond im blauen Licht. Auch das im Blauton gehaltene Bild „Unter dem Mond“. Jedes dieser Bilder könnte ich mir über meinem Schreibtisch daheim vorstellen.
In Evas Galerie, in ihren Büchern, bei ihr persönlich kann man im „Kleinen“ entdecken, wie faszinierend „groß“ und unendlich unsere Welt ist. Es fahren keine Touristen-Busse zu Evas Galerie. Sie ist etwas für Entdecker. Schade, dass sie so weit entfernt ist. (opm)


Peter Josef Dickers wurde 1938 in Büttgen geboren. Nach einem Studium der Katholischen Theologie sowie der Philosophie und Pädagogik in Bonn, Fribourg/Schweiz, Köln sowie Düsseldorf erhielt er 1965 die Priesterweihe. Anschließend war er in der Seelsorge und im Schuldienst tätig, bis er sich 1977 in den Laienstand rückversetzen ließ und heiratete. Nach der Laisierung war er hauptamtlich tätig an den Beruflichen Schulen in Kempen (jetzt Rhein-Maas-Kolleg) mit den Fächern Kath. Religionslehre, Pädagogik, Soziallehre, Jugendhilfe/Jugendrecht.
„Seit der Pensionierung bin ich weiterhin engagiert durch meine Schreibtätigkeit, mein Vorlese-Engagement in diversen Einrichtungen und sonstige Initiativen. In den Sommermonaten lese ich zeitweise als „Lektor“ auf Flusskreuzfahrt-Schiffen aus meinen bisher erschienenen Büchern“, so Peter Josef Dickers, der mittlerweile in Mönchengladbach beheimatet ist.
