Literarisches: Das Osterwunder von Süchteln – Ein Karsamstagsmärchen vom Niederrhein

Die Glocken der Kirche St. Clemens schwiegen, als der Karsamstag in Süchteln anbrach. Ein feiner Morgennebel lag über den Feldern des Niederrheins, und auf der Hochstraße duftete es bereits nach frischen Brötchen aus den Bäckereien. Doch mitten in dieser ruhigen Szenerie stand die kleine Emma ratlos vor den verschlossenen Türen der Irmgardiskapelle inmitten hochgewachsener Bäume. 
Von Magdalene Walther

Literarisches – „Es muss hier irgendwo sein…“, murmelte sie und hielt ein vergilbtes Pergament in den Händen. Ihr Großvater, ein leidenschaftlicher Geschichtenerzähler, hatte ihr erzählt, dass es in Süchteln einen geheimen Osterbrunnen gäbe – einen magischen Ort, an dem das Wasser in der Osternacht leuchtete wie flüssiges Gold.

Mit klopfendem Herzen folgte Emma den Anweisungen auf der Karte. Sie führte sie vorbei an der Niers, über alte Kopfsteinpflasterwege in Süchteln, bis zu einer alten Eiche auf den Süchtelner Höhen, unter der eine verwitterte Bank stand. Dort, so sagte die Legende, solle man am Karsamstag genau zur Dämmerung eine Kerze entzünden und ein stilles Gebet sprechen.

Emma zögerte nicht lange. Als die Sonne langsam die ersten Spitzen der Baumwipel strich, stellte sie eine kleine Kerze auf den moosbewachsenen Stein neben der Eiche. Kaum hatte sie das Streichholz entzündet, begann der Boden unter ihr leicht zu beben. Plötzlich sprudelte eine Quelle zwischen den Wurzeln der alten Eiche hervor. Das Wasser glitzerte in einem sanften Goldton – es war der Osterbrunnen!

Ein Lächeln huschte über Emmas Gesicht, als sie sich erinnerte, was ihr Großvater ihr noch gesagt hatte: „Wer am Osterbrunnen Wasser schöpft, dem wird ein Wunsch erfüllt.“ Mit zitternden Händen füllte sie ihre kleine Flasche, schloss die Augen und wünschte sich, dass ihr Opa, der seit langer Zeit krank war, wieder gesund werden würde.

Am nächsten Morgen, als die Osterglocken die Irmgardisstadt mit ihrem Klang erfüllten, wachte Emma in ihrem Bett auf. In der Küche hörten sie vertraute Stimmen. Als sie hineinstürmte, traute sie ihren Augen kaum: Ihr Großvater saß am Tisch, trank seinen Kaffee und lächelte sie an – so gesund und munter wie schon lange nicht mehr.

Emma wusste: Das Osterwunder von Süchteln war wahr geworden. (mw)

Irmgardisquelle auf den Süchtelner Höhen – Foto: Rheinischer Spiegel