Literarisches: Zeugnistag. Erinnerung an „Nachhilfe“-Stunden

„Gallien ist insgesamt in drei Teile aufgeteilt.“ Jan weiß nicht, warum ihn das interessieren soll. Seit Wochen versuche ich bei ihm Ansätze eines Interesses an Cäsars Eroberung Galliens zu wecken. Ich verschweige ihm, dass schon der Pädagoge Basedow vor gut zweihundert Jahren die alten Sprachen zu Plagegeistern der Jugend erklärte.
Von Peter Josef Dickers

Literarisches – Meine Geduld mit Jan ist unerschöpflich, Jans Desinteresse auch. „Als Ariovist von Cäsars Ankunft erfuhr, schickte er Gesandte zu ihm.“ Jan findet es immerhin interessant, dass sie ins Gespräch kommen wollen. „Mein Vater sollte das wissen.“ „Das mit Ariovist?“ „Sage ich doch.“ Der Gallische Krieg wird aktuell.
Wie lange ich bleiben will, möchte er wissen. „Von mir aus können wir aufhören.“ Erwidere ich. „Haben Sie keine Lust?“ Ich bleibe, nicht wegen Cäsar oder Ariovist, sondern wegen Jans Verhältnis zu seinem Vater.

„Sie sind kein richtiger Lehrer.“ Sein unerwarteter Kommentar. Nachdem ich ihm erzählte, dass ich mit dem Notendurchschnitt meines Abiturzeugnisses heute keine Chance hätte, den Numerus Clausus zu schaffen, bin ich in seiner Achtung gestiegen. „Warum machen Sie das eigentlich?“ „Was?“ „Das mit mir.“ Jan scheint sich über meine Frustrationstoleranz zu wundern. „Ich an Ihrer Stelle hätte längst Schluss gemacht.“ Ich überhöre das. „Wenn ich das hier schaffe, haben Sie einen Orden verdient.“ Er scheint nicht die Hoffnung aufgegeben zu haben, dass es nach diversen Niederlagen einen Sieg für ihn geben könnte.

Ich bin kein Nachhilfe-Institut, das in Kurzzeitpflege korrigieren soll, was versäumt wurde. An Jan würden sich Institute aller Art die Zähne ausbeißen. Ich könnte ihn nicht bewegen, Ein Schulbuch mit nach Mallorca zu nehmen und am Swimming-Pool Grammatik zu pauken. Jan reagiert nicht auf Kommando-Pädagogik. Ich versuche es mit Gespräch. Das ist mühsam und zeitaufwendig. „Nachhilfe“ ist gefragt. Institute verdienen Geld damit. Notwendiger wäre oft „Lebenshilfe“. Es gibt dafür aber keinen Orden. Manche Eltern bestehen darauf, dafür sei die Schule da.
Es ist wieder Schuljahresende und gleichzeitig Zeugnis-Tag. Manches hat sich seit meiner Zeit im schulischen Bereich geändert. Auf „Nachhilfe“, in welcher Weise auch immer, wird man vermutlich nicht verzichten können. (opm)

Foto: Silke/Pixabay

Foto: Privat

Aus: Peter Josef Dickers, Ein bisschen Sehnsucht

Peter Josef Dickers wurde 1938 in Büttgen geboren. Nach einem Studium der Katholischen Theologie sowie der Philosophie und Pädagogik in Bonn, Fribourg/Schweiz, Köln sowie Düsseldorf erhielt er 1965 die Priesterweihe. Anschließend  war er in der Seelsorge und im Schuldienst tätig, bis er sich 1977 in den Laienstand rückversetzen ließ und heiratete. Nach der Laisierung war er hauptamtlich tätig an den Beruflichen Schulen in Kempen (jetzt Rhein-Maas-Kolleg) mit den Fächern Kath. Religionslehre, Pädagogik, Soziallehre, Jugendhilfe/Jugendrecht.

„Seit der Pensionierung bin ich weiterhin engagiert durch meine Schreibtätigkeit, mein Vorlese-Engagement in diversen Einrichtungen und sonstige Initiativen. In den Sommermonaten lese ich zeitweise als „Lektor“ auf Flusskreuzfahrt-Schiffen aus meinen bisher erschienenen Büchern“, so Peter Josef Dickers, der mittlerweile in Mönchengladbach beheimatet ist.

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