Für den Kampf gegen den Klimawandel ist ein vollständiges Verständnis des globalen Ökosystems notwendig. Möglich machen das Satelliten durch den Blick von oben auf die Welt – wie etwa mit dem deutschen Umweltsatelliten EnMAP, der im April gestartet wird.
Weltraum – Dieser Umweltbeobachter wird einen völlig neuen Blick auf unsere Erde erlauben, schreibt Marco Fuchs, Vorstandsvorsitzender des Raumfahrtunternehmens OHB SE, in der neuesten Folge seiner Kolumne „Space Encounter“, die im Digitalmagazin auf der Internetseite des Unternehmens veröffentlicht wurde (https://ots.de/6asHHR). Hier die ganze Kolumne zum Nachlesen:
Im Kampf gegen den Klimawandel haben Wissenschaft und Politik schon sehr bald eine neue Waffe zur Verfügung: der deutsche Umweltsatellit EnMAP (Environmental Mapping and Analysis Programme) hat die letzten Tests erfolgreich bestanden und ist somit bereit für den Start ins All. Der ist für April 2022 vom Raumfahrtzentrum Cape Canaveral in Florida/USA geplant. Ab dann wird mit EnMAP eine völlig neue Ära der Erdbeobachtung beginnen. Denn dieses Projekt der Partner Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Bundesministerium für Wirtschaft und Energie sowie OHB wird als deutsche Umweltmission vor allem den Klimawandel und seine Auswirkungen auf alle Ökosysteme im Blick haben. Zu Land und zu Wasser.
Das Besondere und technologisch Spektakuläre an dem Satelliten ist, wie er funktioniert. EnMAP arbeitet mit der sogenannten abbildenden Spektroskopie. Diese Technologie erlaubt es, einen größeren und weit über das sichtbare Licht hinausgehenden Wellenlängenbereich mit vielkanaligen Bildern aufzuzeichnen. Um diese sogenannten Hyperspektralbilder zu erhalten, wurde der Satellit mit einem Hyperspektralinstrument ausgestattet, das vom OHB-Zentrum für Optik und Wissenschaft in Oberpfaffenhofen bei München entwickelt wurde. Dieses Instrument zeichnet das von der Erde reflektierte Sonnenlicht im Wellenlängenbereich zwischen 420 nm und 2450 nm in exakt 242 aneinandergereihten, schmalen Spektralbändern auf und erlaubt Einblicke in den Zustand der Oberfläche der Erde, die bislang so nicht möglich waren.
Warum ist das so? Nun, alle Materialien auf der Erdoberfläche reflektieren das Sonnenlicht in einer bestimmten Art und Weise, der Fachbegriff dafür lautet Spektralsignatur. Diese Signatur kann das Messinstrument des Satelliten in Bildern darstellen, den erwähnten Hyperspektralbildern. Anhand dieser Bilder und den abgebildeten Farbspektren ist es möglich, nicht nur Materialien genau zu bestimmen, sondern auch eine Auskunft darüber zu erhalten, wie viel davon gefunden wurde.
Diese Informationen sind von größtem praktischem Nutzen etwa für die Land- und Forstwirtschaft. Ein Beispiel: mit der Hyperspektralmethode kann auf einem Acker nicht nur die angebaute Frucht erkannt werden. Es ist auch möglich, den Gehalt an Mineralien oder Wasser im Boden zu bestimmen. Das wiederum würde einem Unternehmen aus der Landwirtschaft helfen, den Ertrag zu steigern, weil durch die EnMAP-Daten exakt bekannt wäre, wo zu viel oder zu wenig Wasser und wo zu viel oder zu wenig Dünger vorhanden ist. Übertragen auf die Perspektive für den gesamten Planeten wird die Relevanz dieser Erkenntnisse sofort deutlich: Laut einer Prognose der Vereinten Nationen werden im Jahr 2100 rund 11 Milliarden Menschen auf der Erde leben. Jedoch ist die Fläche, auf der Ackerbau und Landwirtschaft möglich ist, begrenzt. Insgesamt sind es nur rund drei Prozent der Gesamtfläche der Erde, Tendenz fallend durch die fortschreitende Versiegelung.
Die vielen Menschen, die künftig auf der Erde leben, müssen jedoch ernährt werden. Das ist eine gewaltige Herausforderung und kann nur durch eine optimierte Landwirtschaft erreicht werden. Dazu wird es nötig sein, bessere und effizientere Möglichkeiten zu finden, zu bewässern, zu düngen, Ernte- und Anbauzeitpunkte ideal zu bestimmen sowie die Pflanzen zu schützen. All dies wird im Idealfall zu mehr Ertrag und mehr Effizienz der Bewirtschaftung führen. Möglich wird das mit den Daten des Hyperspektralinstruments. Sie erlauben es, Nährstoffmängel, Wasserstress oder Schädlingsbefall frühzeitig zu erkennen und mit Maßnahmen zu reagieren, die einen Ausfall von Ernten verhindern helfen.
Dieses Beispiel beschreibt ganz gut, welchen unverzichtbaren Nutzen EnMAP für das Verständnis der komplexen Prozesse und Rückkoppelungsmechanismen im Ökosystem Erde spielen wird. Denn allein an der Frage der nachhaltigen globalen Landnutzung wird sich das Schicksal einer sehr großen Zahl von Menschen auf der Erde entscheiden. Der Satellit wird in der Lage sein, in kurzen Abständen die Oberfläche in verschiedenen Regionen der Erde in hoher räumlicher und herausragender spektraler Auflösung abzubilden. Das eröffnet Wissenschaftlern weltweit völlig neue Möglichkeiten, die Eigenschaften und Zusammensetzung von Vegetation, Böden und Wasser zu verstehen und daraus Entwicklungsprognosen abzuleiten. Diese wiederrum erlauben deutlich bessere und effizientere Entscheidungen für Maßnahmen gegen Umwelt- und Klimaprobleme.
EnMAP wird neben der Landfläche auch die Küstengebiete und Binnengewässer genau unter die Lupe nehmen. Der Satellit sieht dabei Details, die dem menschlichen Auge verborgen bleiben. Wie unter einem Mikroskop macht sein Hyperspektralinstrument zum Beispiel Schadstoffe in Seen und Küstengewässern sichtbar und lässt sie quantitativ genau bestimmen. Wo früher aufwendig Wasserproben entnommen wurden, reicht künftig also ein Blick aus dem All, um die Wasserqualität großflächig zu ermitteln. Gleiches gilt für mineralische Proben, um zum Beispiel den Grad der Bodenverschmutzung zu erheben. Das kann zum Beispiel nach Unglücken in Chemiefabriken nützlich sein. Statt Menschen der Gefahr auszusetzen, Proben vor Ort einzusammeln, reicht also künftig ein risikofreier Blick aus dem All.
Der Umweltsatellit EnMAP ist absolut faszinierend – im Grunde ist er eine Kombination aus einem Speziallabor und einem Mikroskop, das in 650 Kilometer Höhe um die Erde fliegt. Diese Faszination, ich gebe es zu, hat sich mir allerdings erst nach und nach erschlossen. Was ich als Unternehmer jedoch natürlich regelmäßig verfolgen konnte: wie unfassbar schwierig es für unsere Teams und die beteiligten Wissenschaftler aus Potsdam über all die Jahre gewesen ist, die Herausforderungen zu meistern, um das Hyperspektralinstrument so zu bauen, dass die gewünschten Ergebnisse erzeugt werden können.
Für unsere Ingenieurinnen und Ingenieure im Zentrum für Optik und Wissenschaft war die Arbeit am Hyperspektralinstrument eine technologische Herausforderung, die am Rande des Machbaren lag. Aus diesem Grund hat die Entwicklung auch viel länger gedauert als ursprünglich geplant. Doch nun ist EnMAP startbereit. Und ich habe mit großer Freude festgestellt, dass die Wissenschafts-Community auf der ganzen Welt mit Spannung auf den Start von EnMAP blickt, der demnächst mit einer Rakete des US-Raumfahrtunternehmens Space X erfolgen wird. Sie kann es nämlich kaum erwarten, die in dieser Qualität bislang nicht vorliegenden Daten in ihre Forschungen einzubauen. EnMAP wird die Analyse des Ökosystems Erde auf ein neues Level heben, davon bin ich überzeugt. Und ich bin sehr stolz darauf, dass dies durch die Leistung von Wissenschaft und Industrie aus Deutschland gelungen ist. (opm/OHB)