Vorstandspraktikum mit Weitblick: Wie junge Menschen in Viersen für das Ehrenamt begeistert werden

Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen stellt im Rahmen des „Engagements des Monats“ regelmäßig herausragende Initiativen vor, die sich mit innovativen Ideen für das Gemeinwohl einsetzen. Im April 2025 wird die St. Josefs und St. Gereon Schützenbruderschaft Viersen für ihr zukunftsweisendes Projekt ausgezeichnet. 

Viersen – Mit einem Vorstandspraktikum begeistert sie junge Menschen für die aktive Mitarbeit im Verein und schafft damit eine nachhaltige Verbindung zwischen Tradition und Zukunft. Das Projekt ist zugleich für den Engagementpreis NRW 2025 nominiert und zeigt eindrucksvoll, wie modernes Ehrenamt gelingen kann (https://www.engagiert-in-nrw.de/anerkennung/engagementpreis-nrw/engagements-des-monats-2025).


Wie bringt man junge Menschen dazu, Verantwortung in einem Vereinsvorstand zu übernehmen? Die traditionsreiche St. Josefs und St. Gereon Schützenbruderschaft Viersen hat mit ihrem Vorstandspraktikum eine Lösung gefunden – ein innovatives und spannendes Modell, das Nachwuchs für das Ehrenamt begeistert. Die Erfolgsgeschichte zeigt, wie Tradition und Zukunftsdenken Hand in Hand gehen können.

Es ist ein Dienstagabend in Viersen. Im kleinen Versammlungsraum der St. Josefs und St. Gereon Schützenbruderschaft herrscht konzentrierte Stille. Die Vorstandsmitglieder sitzen um einen langen Holztisch. Vor ihnen liegen Notizblöcke, Stifte und eine Tagesordnung. Zwischen ihnen: zwei Jugendliche, die aufmerksam zuhören. Ab und zu notieren sie sich etwas. Manchmal stellen sie Fragen. Sie sind Praktikanten im Vorstand – ein besonderes Modell, das den Nachwuchs für ehrenamtliche Vereinsarbeit sichern soll.

„Wir haben damals gemerkt, dass viele junge Menschen Interesse an Vereinsarbeit haben und sich gerne engagieren möchten, aber nicht genau wissen, was sie erwartet“, erzählt Alissa Paffrath, die vor sechs Jahren selbst als Praktikantin in den Vorstand gekommen ist. Heute ist sie Schriftführerin. „Durch das Praktikum bekommen sie einen realistischen Einblick und können entscheiden, ob sie Verantwortung übernehmen möchten.“

Ein Experiment wird zur Erfolgsgeschichte
Entstanden ist die Idee 2018 aus einer Notlage. Wie viele andere Vereine suchte die Schützenbruderschaft dringend Nachwuchs für den Vorstand. Denn neben dem regelmäßigen Schießsport und dem Traditionssport Fahnenschwenken gibt es in den Bruderschaften viele weitere Aufgabenfelder, darunter die Organisation der Schützenfeste, aber auch soziale Engagements, die geplant werden wollen. Doch gerade junge Mitglieder zögerten, ein Amt zu übernehmen. Zu unklar war für sie, welche Aufgaben damit verbunden sind. Also machten Alissa Paffrath und Anna-Lena Bergs, damals 16 und 17 Jahre jung, den Vorschlag, ein Vorstandspraktikum zu testen.

Der damalige Präsident Norbert Wassenberg unterstützte die Idee sofort. Die beiden jungen Damen durften für einige Monate den Vorstand begleiten – ohne Verpflichtung, ohne sofortige Wahl. „Das hat uns das Gefühl genommen, ins kalte Wasser geworfen zu werden”, erklärt Paffrath.

Das Experiment war ein voller Erfolg. Die Praktikantinnen bekamen Einblick in die Vorstandsarbeit, konnten Fragen stellen und erste Aufgaben übernehmen. Nach wenigen Monaten entschieden sich beide, offizielle Posten zu übernehmen. Seitdem ist das Praktikum fester Bestandteil der Jugendarbeit der Bruderschaft.

Vereinsarbeit lernen – aber wie?
Das Vorstandspraktikum gliedert sich in zwei Phasen. Zuerst geht es um die Grundlagen: Wie funktionieren Sitzungen? Was steht in der Satzung? Welche Aufgaben haben die verschiedenen Vorstandsmitglieder? Die Praktikanten nehmen an mehreren Sitzungen teil und verstehen so die Vereinsarbeit hinter den Kulissen.

Danach kommt die Praxis. „Jeder kann sich ein eigenes kleines Projekt suchen“, erklärt Paffrath. „Das kann eine Vereinsfeier sein, eine Aktion für die Jugend oder eine neue Idee für Social Media.“ Der Vorstand begleitet die Praktikanten eng, lässt ihnen aber auch Freiraum für eigene Entscheidungen.

Die Jugendlichen profitieren dabei nicht nur für den Verein, sondern auch für ihr eigenes Leben. „Sie lernen Teamarbeit, Organisation und Verantwortung“, sagt Paffrath. „Und sie gehen mit einem gestärkten Selbstbewusstsein daraus hervor.“

Ein Leitfaden zur Übertragbarkeit
Heute ist die St. Josefs und St. Gereon Schützenbruderschaft Viersen in Sachen Nachwuchsarbeit führend. „Wir haben hier in der Region die aktivste Jugendarbeit“, sagt Paffrath stolz. Mehrere Jugendliche sind aus dem Praktikum heraus in den Vorstand gekommen – fünf allein in den letzten Jahren.

Doch nicht nur im eigenen Verein zeigt das Projekt Wirkung. „Die Stadt Viersen wurde bei einem Austausch in einem Stadtvierteltreffen auf das Vorstandspraktikum aufmerksam und war von der Idee begeistert“, erinnert sich Paffrath.

Dr. Christian Giardina aus der städtischen Fachstelle für Gemeinwesenarbeit recherchierte zum Thema und stellte fest, dass es zu diesem besonderen Modell bis dato noch keine weiterführenden Informationen gibt. Eine schriftliche Anleitung könnte aber weiteren Vereinen und Organisationen die Umsetzung eines solchen Projekts vereinfachen. So entwickelte er in Zusammenarbeit mit Wassenberg, Paffrath und Bergs einen Leitfaden.

Der “Leitfaden Vorstandspraktikum” beschreibt in einer übersichtlichen Form, wie das Praktikum funktioniert, welche Herausforderungen es gibt und warum es sich lohnt, dieses Modell zu etablieren. Er stellt den Ablauf strukturiert dar und dient als Orientierungshilfe. Für alle Vereine und Interessierten ist er unter https://www.viersen.de/leitfaden-vorstandspraktikum frei zugänglich.

Hürden und Herausforderungen
Trotz des Erfolgs gibt es auch Herausforderungen. Besonders die Jugendlichen brauchen anfangs oft Mut, sich in der Vorstandsrunde zu Wort zu melden. „Es ist nicht einfach, mit 16 oder 17 in einer Runde mit erfahrenen Vorstandsmitgliedern die eigene Meinung zu sagen“, gibt Paffrath zu.

Doch der Verein setzt auf Unterstützung. „Die Älteren nehmen die Jugendlichen ernst“, sagt sie. „Wir merken, dass sie uns nicht nur als Jugendgruppe sehen, sondern als gleichwertige Vereinsmitglieder.“

Eine weitere Herausforderung ist die Zeit. Das Ehrenamt findet oft abends oder am Wochenende statt – eine zusätzliche Belastung neben Schule oder Ausbildung. Deshalb ist das Praktikum flexibel. Jeder kann sich so einbringen, wie es passt. „Manche sind nur bei den Sitzungen dabei, andere organisieren ein Event“, so Paffrath.

Zukunftspläne und Träume
Die Schützenbruderschaft Viersen will das Vorstandspraktikum weiter ausbauen. „Wir möchten noch mehr Jugendliche erreichen“, sagt Paffrath. Eine Idee ist, das Praktikum noch stärker mit Schulen zu verknüpfen und grundsätzlich die Sichtbarkeit zu erhöhen.

Die Nominierung für den Engagementpreis NRW 2025 ist für den Verein und alle Beteiligten eine große Wertschätzung. Sollte der Verein mit dem Engagementpreis NRW 2025 ausgezeichnet werden und damit verbunden 5.000 Euro Preisgeld gewinnen, könnte eine Jugendfahrt realisiert werden – für viele Mitglieder ein lang gehegter Wunsch.

Auch ohne die Auszeichnung als Sieger ist für Alissa Paffrath klar: Das Vorstandspraktikum ist eine Bereicherung – für den Verein, für die Jugendlichen und für das Ehrenamt insgesamt. „Es hat mir gezeigt, dass ich mehr kann, als ich dachte“, sagt sie. Und genau das ist das Ziel: Talente fördern, Potenziale entfalten und die Zukunft des Ehrenamts sichern. (opm/Land NRW)

Foto: St. Josefs und St. Gereon Schützenbruderschaft Viersen