Morgen ist Christi Himmelfahrt. In meiner Kindheit war dies stets ein stiller Feiertag. Kein Lärm, kein Gedränge wie zu Ostern oder Weihnachten. Kein Geschenkpapier raschelte, keine Kirchenglocken läuteten in überschwänglicher Freude. Und doch war da etwas Erhabenes, fast Unsichtbares – wie ein zarter Windstoß, der durchs hohe Gras zieht, ohne dass man seinen Ursprung benennen könnte.
Von Magdalene Walther
Literarisches – Ich erinnere mich an die ersten Male, als ich davon hörte. In der Kirche meiner Tante, ein schmuckloser Bau aus den sechziger Jahren, stand der Pfarrer vor dem Altar und sprach von dem Moment, als Christus vor den Augen seiner Jünger emporgehoben wurde, in die Wolken hinein, als wäre der Himmel selbst ein Tor, das sich für ihn geöffnet hatte. Ich verstand wenig, nur dass er „zum Vater“ zurückkehrte. Es klang wie eine Heimkehr, und das tröstete mich.
Später, als die Jahre über mich hinwegzogen wie die Jahreszeiten über Felder, erkannte ich mehr: Christi Himmelfahrt war kein Abschied, sondern ein Übergang. Kein Verlust, sondern Verheißung. Er ging nicht, um fern zu sein, sondern um näher zu sein – auf eine Weise, die sich dem Auge entzog, aber dem Herzen zugänglich blieb. „Ich bin bei euch alle Tage“, hatte er gesagt, und genau das ist es, was in diesem Tag liegt: Gegenwart im Verschwinden.
In den siebziger Jahren wurde Christi Himmelfahrt auch „Vatertag“. Männer zogen mit Bollerwagen über Land, mit Bier und Lachen, vielleicht als eine unbewusste Parodie auf den göttlichen Vater. Für mich blieb der Tag immer ein stiller, ein Tag des Spaziergangs. Ich ging gern in die Felder, beobachtete die Vögel, wie sie sich mühelos in die Lüfte erhoben, und stellte mir vor, wie es gewesen sein musste, Zeuge dieser Himmelfahrt zu sein – mit einer Mischung aus Erstaunen und Wehmut.
In den neunziger Jahren, als das Leben geschäftiger wurde, verlor der Feiertag an Glanz. Er fiel unter die Räder des Terminkalenders, war nicht mehr Anlass für Einkehr, sondern eher für ein verlängertes Wochenende. Und doch, jedes Mal, wenn ich an diesem Tag innehielt, spürte ich ihn wieder: jenen leisen Ruf nach oben, nach dem Mehr, das über uns liegt. Vielleicht ist es genau das, was Himmelfahrt bedeutet – der Hinweis, dass unser Leben nicht im Irdischen erschöpft ist.
Heute, viele Jahrzehnte später, steht mein Enkel mit mir im Garten. Er fragt, was Christi Himmelfahrt sei. Ich schaue in den Himmel, und während ein Flugzeug silbern durch die blaue Weite zieht, beginne ich zu erzählen. Von Jesus, der hinaufstieg. Von Jüngern, die zurückblieben mit leeren Blicken, aber voll Hoffnung. Von einem Gott, der nicht über uns thront, sondern in uns wohnt. Mein Enkel hört zu, schweigend, mit jener Offenheit, die nur Kindern eigen ist.
Ich glaube, das ist es, was bleibt – das Erzählen. Das Erinnern. Das Weitergeben jener Ahnung, dass zwischen Himmel und Erde mehr liegt als das, was wir sehen. Christi Himmelfahrt ist eine Einladung, nach oben zu schauen – und zugleich in uns hinein. (mw)
