Gemeinsam gegen Unwissen und Hass

Antisemitismus hat viele Gesichter. Häufig erschwert auch fehlendes Wissen über die jüdische Kultur ein positives Miteinander. Für Felix Klein, den Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, gibt es viel zu tun. Im Interview erklärt er, wie jede und jeder Einzelne mithelfen kann.

Gesellschaft – Herr Dr. Klein, Sie sind seit fünf Jahren Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus. Wie hat sich die Situation hier in Deutschland seither entwickelt?

Dr. Felix Klein: Seit der Einrichtung meines Amtes haben wir schon viel erreicht. Insbesondere, dass die Bundesregierung Ende vergangenen Jahres erstmals eine Strategie vorgelegt hat, die ausschließlich die Bekämpfung von Antisemitismus und die Förderung jüdischen Lebens im Fokus hat, ist ein echter Meilenstein. Und wir müssen unsere Bemühungen weiter verstärken. Denn Juden, oder als Jüdinnen und Juden wahrgenommene Menschen, werden in Deutschland auf offener Straße beschimpft, bespuckt und gar bedroht, ganz zu schweigen von schrecklicher Hetze im Internet. Das zeigt: Es gibt weiter Handlungsbedarf. Antisemitismus ist immer noch und immer wieder ein massives Problem.

Was ist Ihre Botschaft an Jüdinnen und Juden – auch für die Zukunft, die sich aktuell in Deutschland nicht sicher fühlen?

Klein:  Ich finde, das wichtigste Gefühl, das Heimat vermitteln kann, ist Sicherheit und Geborgenheit. Wenn sich Jüdinnen und Juden in ihrer Heimat Deutschland nicht sicher fühlen, macht mich das betroffen, denn das ist ein unhaltbarer Zustand. Ich kann aber versichern, dass die Bundesregierung und die Sicherheitsbehörden alles tun, um ein sicheres Lebensumfeld in Deutschland zu schaffen. Gleichzeitig arbeiten wir mit aller Kraft daran, die Gesellschaft zu sensibilisieren und hier ein Bewusstsein für alltäglichen Antisemitismus zu schaffen. Denn jede und jeder ist als Teil unserer Gesellschaft dazu aufgerufen und sollte die Verantwortung empfinden, mit dem eigenen Verhalten dazu beizutragen, dass wir tolerant und friedvoll miteinander leben können und aufeinander achten.

Sind Juden die besseren Autofahrer? Der Antisemitismusbeauftragte Felix Klein unterstützt das Projekt www.fragemauer.de – dort beantwortet die Initiative Elnet über tausend unterhaltsame und bisweilen ungewöhnliche Fragen zum Judentum. Das Projekt vermittelt interessante Fakten und macht neugierig auf (weitere) Begegnungen mit Jüdinnen und Juden.

Im Judentum gibt es einige religiöse Speisevorschriften, die unter dem Begriff Kaschrut zusammengefasst werden. Damit eine Mahlzeit „koscher“, das heißt erlaubt ist, dürfen Milch und Fleisch nicht zusammen zubereitet und gegessen werden. Foto: ELNET Deutschland e.V.

Im November des vergangenen Jahres hat unter Ihrer Federführung zum ersten Mal eine Bundesregierung eine Antisemitismusstrategie vorgelegt. Worum geht es dabei?

Klein: Richtig, ja. Ich hatte die Strategie ja schon kurz angesprochen. Die Verhütung und Bekämpfung von Antisemitismus ist Aufgabe der gesamten Gesellschaft.  Deshalb adressiert die Strategie staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure gleichermaßen: Sie kann und soll von allen politischen und gesellschaftlichen Ebenen genutzt werden. Sie dient dazu, laufende Maßnahmen und Programme zu überprüfen und anzupassen. Mit ihr kann bestimmt werden, was in einem Umfeld fehlt, um optimale Bedingungen für die Prävention und Bekämpfung von Judenhass zu schaffen und Jüdinnen und Juden bestmöglich einzubeziehen und zu unterstützen. Jüdinnen und Juden sollen sich des Rückhalts der Bundesregierung und der Bevölkerung sicher sein.

Welche Ideen gibt es, um jüdisches Leben besser sichtbar zu machen? 

Klein:  Jüdische Kultur und jüdisches Leben als bedeutenden Bestandteil des Alltags in Deutschland sichtbar zu machen – das ist entscheidend, damit Jüdinnen und Juden Deutschland als ihre Heimat empfinden können – gerade vor dem Hintergrund des Zivilisationsbruchs der Shoah. Mit diesem Ziel habe ich im vergangenen Jahr den Ehrenamtspreis für jüdisches Leben in Deutschland ins Leben gerufen. Mit dem Preis soll ehrenamtliches Engagement ausgezeichnet werden, das jüdisches Leben in Deutschland zeigt und stärkt. Er richtet sich an Einzelpersonen, Vereine, Initiativen oder Gruppen und ich freue mich sehr, dass es in diesem Jahr mehr als 90 Bewerbungen gab. Anfang September haben wir die beiden siegreichen Teams, die Jugendorganisation „Netzer Germany“ und den Verein „Limmud Deutschland“, im Rahmen einer feierlichen Preisverleihung in Berlin geehrt.

Antisemitismus-Prävention ist in Deutschland eng mit der Holocausterinnerung und Holocaustaufarbeitung verknüpft. Wie kann es uns gelingen, jungen Menschen diese Zusammenhänge zu vermitteln?

Klein: Das ist ein sehr wichtiger Aspekt, denn gerade junge Menschen müssen unsere Geschichte und die daraus erwachsende Verantwortung kennen. Wir brauchen eine Erinnerungskultur, die nicht in Ritualen erstarrt. Ich sehe hier gerade die Schulen in der Pflicht. Das beginnt damit, bereits in der Lehrerausbildung bessere Kenntnisse zum Thema Israel zu vermitteln und Gedenkstättenbesuche für angehende Lehrerinnen und Lehrer verpflichtend zu machen. Wir müssen als Gesellschaft ganz deutlich machen, wer in Deutschland heimisch sein möchte oder werden möchte, muss auch wissen: Der Holocaust ist das größte jemals von Deutschen begangene Verbrechen. Wer Juden angreift, stellt sich gegen unsere Werte und all unsere Bemühungen, aus der Geschichte zu lernen.

Was empfehlen Sie Menschen ganz konkret, wenn sie in ihrem beruflichen oder schulischen Umfeld antisemitische Gesten mitbekommen?

Klein: Ich empfehle, entschlossen einzuschreiten und deutlich auszusprechen: Halt! Das ist antisemitisch. Leider ist es so, dass vielen Menschen nicht einmal bewusst ist, wenn sie sich judenfeindlich äußern. Hier kann Aufklärung wichtig sein. Wird eine bewusst antisemitische Gesinnung bei dem Gegenüber deutlich, sind diese Personen teilweise schwer zu überzeugen. Aber umso wichtiger ist, dass die Umstehenden erkennen, dass solche Aussagen nicht unkommentiert stehen bleiben.

2021/2022 wurden 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland gefeiert. Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Judentums hier in Deutschland?

Klein: Ich wünsche mir, dass wir den Schwung aus dem Festjahr mitnehmen und weitertragen, auch auf europäischer Ebene. Menschen in der EU haben mit Interesse verfolgt, was wir während des Festjahres an Veranstaltungen in Deutschland gemacht haben. Ich setze mich daher dafür ein, von Brüssel aus Aktivitäten zu organisieren, um in Europa jüdisches Leben, Tradition, Religion und Kultur vorzustellen. (opm)