Literarisches: Wallfahrt nach Kevelaer – Zur Trösterin der Betrübten

Fußpilger aus Viersen trafen sich samstags, mitten in der Nacht vor der Kirche St. Clemens. Radpilger machten sich in der Frühe an St. Clemens, St. Maria Hilfe der Christen und an St. Franziskus, Süchteln-Vorst auf den Weg.
Von Peter Josef Dickers

Literarisches – Der Pfarrer von Kevelaer erhielt 1884 das Privileg, an Marienhochfesten den päpstlichen Segen zu erteilen. Dieses Recht besteht immer noch. Die Marienwallfahrt nach Kevelaer geht zurück auf das Jahr 1642. Seit dieser Zeit ziehen Prozessionen nach dort aus Deutschland und Holland, aus Belgien und Luxemburg. Oft mit Opferkerzen, manche geschmückt mit einem Wappenschild. Papst Johannes Paul II., Kardinal Ratzinger, Mutter Teresa beteten in Kevelaer, das sich seit 2017 „Wallfahrtsstadt Kevelaer“ nennen darf.

Ich sitze in der Kerzenkapelle. Zur Ruhe kommen möchte ich. Gelingt mir das, wenn um mich herum viele Kerzen ihre Geschichten erzählen? Wenn sie berichten, wer sie herbrachte und warum? Kann ich den Blick abwenden von den Wappenschildern und Tafeln, von den Danksagungstäfelchen und Plaketten? „25 Jahre Fußwallfahrt.“ „Motorradfahrer-Wallfahrt.“ „Internationale Jugendwallfahrt.“ „Royal Airforce.“

Alle brachten Kerzen mit, ein „Beedevaartoffer“, sagt eine holländische Inschrift. Bei der abendlichen Vesper brennen mehr als hundert Kerzen und tauchen den Raum in ein imaginäres Licht.
Auf dem Altartisch der Gnadenkapelle stehen Schachteln mit „geopferten Kerzen.“ Wann und wo werden sie ihr Licht spenden? Ein dienstbarer Geist fährt mit einer Sack-Karre eine Fuhre noch nicht geopferter Kerzen in die Kapelle. Viele Kartons mit vielen Kerzen. Wallfahrtsopfer-Logistik zu Ehren der „Consolatrix Afflictorum“, der „Trösterin der Betrübten“.

Eine Familiensippe betritt den kleinen Raum. Nach Tröstung suchend sieht niemand aus. Kerzen finden ihr Interesse, vielleicht als Vorratshaltung für kommende Winternächte. Einen Strauß roter Rosen stellen sie als Dank in das Blumenmeer vor dem Altar. Ist es abwegig, wenn sich Menschen keine Gedanken darüber machen, andere für sich sorgen zu lassen und auf diese Weise am Überfluss unserer Zeit teilnehmen zu können? Das Sortiment im Kerzenhaus neben der Basilika würde vielleicht ihren Geldbeutel überfordern.

„An dieser Stelle sollst du mir ein Kapellchen bauen.“ Das flüsterte der Überlieferung nach eine unbekannte Stimme einem Händler vor vierhundert Jahren zu, als er an einem Hagelkreuz betete. Kevelaer entwickelte sich inzwischen zu einer Pilgerstadt. Das Hagelkreuz steht nicht mehr da. Stattdessen eine Gnadenkapelle, Kerzenkapelle, Beichtkapelle, Sakramentskapelle. Und die große Wallfahrtskirche, die zur Päpstlichen Basilika erhoben wurde. Geweiht ist sie der Aufnahme Mariens in den Himmel. Alle Pilger wollen dort einmal hin. Die Verantwortlichen der Kevelaer-Bruderschaften sorgen jedoch dafür, dass sie vorerst auf Erden bleiben. Wer sich Maria anvertraut, dessen Anliegen nimmt sie entgegen. Sie spricht jedem Mut zu. Glaubende und Zweifelnde, Fragende und Suchende vertrauen sich ihr an. „Fall sieben Mal hin, steh sieben Mal wieder auf.“

Der Verkehrsverein weiß, welche Bedürfnisse Pilger außerdem haben. Kerzengeschäfte sind geöffnet. Gastwirte und Hoteliers, Gastronomen und Konditoren freuen sich auf Wallfahrer. Wallfahrt hält Leib und Seele zusammen. Die Gottesmutter wird es verstehen. Zum Schluss wird ja wieder gebetet. (opm)

Foto: Rheinischer Spiegel/Martin Häming

Foto: Privat

Peter Josef Dickers wurde 1938 in Büttgen geboren. Nach einem Studium der Katholischen Theologie sowie der Philosophie und Pädagogik in Bonn, Fribourg/Schweiz, Köln sowie Düsseldorf erhielt er 1965 die Priesterweihe. Anschließend  war er in der Seelsorge und im Schuldienst tätig, bis er sich 1977 in den Laienstand rückversetzen ließ und heiratete. Nach der Laisierung war er hauptamtlich tätig an den Beruflichen Schulen in Kempen (jetzt Rhein-Maas-Kolleg) mit den Fächern Kath. Religionslehre, Pädagogik, Soziallehre, Jugendhilfe/Jugendrecht.

„Seit der Pensionierung bin ich weiterhin engagiert durch meine Schreibtätigkeit, mein Vorlese-Engagement in diversen Einrichtungen und sonstige Initiativen. In den Sommermonaten lese ich zeitweise als „Lektor“ auf Flusskreuzfahrt-Schiffen aus meinen bisher erschienenen Büchern“, so Peter Josef Dickers, der mittlerweile in Mönchengladbach beheimatet ist.